Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft - Ausverkauf der Demokratie

Die doppelte Staatsangehörigkeit gilt vielen als Geschenk der Globalisierung. Doch dadurch wird die Staatsbürgerschaft entwertet und der Nationalstaat verliert an Bedeutung. Eigentlich dient die Mehrstaatlichkeit geostrategischen Interessen

Die doppelte Staatsbürgerschaft – ein Fortschritt und eine Entwicklung hin zum Weltstaat ohne Grenzen? Bild: picture alliance
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Autoreninfo

Sonja Margolina, Jahrgang 1951, ist 1986 aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik emigriert. Sie arbeitet als Journalistin und Buchautorin.

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In einer Diskussionsrunde bei Anne Will im April dieses Jahres wurde ein neuer Gast vorgestellt: Mustafa Yeneroğlu, der als Abgeordneter für Erdogans Partei AKP im türkischen Parlament sitzt. Vor seinem erfolgreichen Wechsel in die türkische Politik bekleidete er, wenn auch nicht allzu lange, das Amt des Generalsekretärs der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V.“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bescheinigt Millî Görüş ein antidemokratisches Staatsverständnis und Ablehnung der westlichen Demokratie.

Vor diesem Hintergrund ist die Vermutung nicht abwegig, dass der AKP-Abgeordnete sich nach Kräften dafür engagiert, Deutschtürken für seine Partei zu mobilisieren und den Einfluss der Türkei auf die deutsche Politik zu stärken. Doch das Besondere an seiner grenzübergreifenden politischen Tätigkeit ist der Umstand, dass er die doppelte Staatsangehörigkeit besitzt. Herr Yeneroğlu, ein deutscher Staatsbürger, ist also für eine ausländische Partei tätig und trägt zur Verbreitung ihrer Werte in Deutschland bei. Bei Anne Will wurde dieser Widerspruch nicht thematisiert. So entstand der Eindruck, es sei völlig normal und legitim, als deutscher Staatsbürger im türkischen Parlament zu sitzen.

Zwei Seelen in einer Brust
 

Dabei führt der Fall Yeneroğlu ein politisches Konfliktpotenzial vor Augen, das die Mehrstaatlichkeit gerade dann in sich birgt, wenn ein Bürger Demokratie und Autoritarismus in einer Brust vereinen soll. Den potenziellen Konflikt erkennt auch der Gesetzgeber, der im Einbürgerungsgesetz nahelegt: „Grundsätzlich gilt im Rahmen der Einbürgerung das Prinzip der Vermeidung von Mehr­staatigkeit“. In der Tat erfährt der Ausländer, der den Antrag auf Einbürgerung stellt, dass er sich aus seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit auszubürgern und dieses Verfahren durch eine Konsulats-Bescheinigung zu belegen habe.

Diese Klausel hin oder her: Jedem Ausländer sind zahlreiche Landsleute bekannt, die vom Vermeidungspassus nicht betroffen zu sein scheinen. Denn von den EU-Bürgern einmal abgesehen, gibt es in der Bundesrepublik nennenswerte Gruppen, die auch weiterhin ihre Pässe legal behalten dürfen. Dazu gehören zum Beispiel Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler. Man könnte meinen, Flüchtling ist jener, der in seinem Land verfolgt wurde und nicht zurückkehren darf. Wenn er jedoch nicht verfolgt wird, hat er kein Anrecht auf diesen Status. Wer als Flüchtling seine Ferien in seiner Heimat verbringt, führt diesen Status ad absurdum.

Ein Russlanddeutscher, der in seinem Land zur diskriminierten Minderheit gehörte und das „Recht auf Heimat“ in Anspruch genommen hat, erhält die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch. Im Vergleich zu anderen Anwärtern ist das ein großes Privileg, denn die meisten Ausländer müssen mehrere Jahre auf die Einbürgerung warten und ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgeben. Tatsache ist also: „Ausländische Mitbürger“ sind vor dem Einbürgerungsgesetz nicht gleich. Die einen müssen Mehrstaatigkeit vermeiden, den anderen wird sie gestattet. Anstatt jeden Antragsteller nach gleichen Regeln einzubürgern, wird die Unterscheidung verschiedener Herkunftsgruppen zu quasi ethnischen Minderheiten festgeschrieben.

Diener zweier Herren
 

Viele mögen in der Mehrstaatlichkeit einen Fortschritt und eine Entwicklung hin zum Weltstaat ohne Grenzen erkennen. Das ist eine Utopie. Praktisch bedeutet dies die Relativierung des Staates in seinen Grenzen – und damit seiner Souveränität – wie auch die Relativierung des Souveräns als Gemeinschaft der Staatsbürger.

In Wirklichkeit wird die Staatsangehörigkeit, ähnlich wie die Volkszugehörigkeit in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, immer häufiger als Instrument der Geopolitik benutzt. So sucht Russland, die „russische Welt“ jenseits seiner Grenzen für seine geostrategischen Interessen zu vereinnahmen. Es nimmt sich das Recht heraus, russischsprachige Minderheiten – mögen sie auch längst eine andere Staatsangehörigkeit angenommen haben – in den jeweiligen Gebieten zu „schützen“. Auch die Landnahme wie etwa in Abchasien, Süd-Ossetien, Transnistrien und auf der Krim wurde von der Einbürgerung der Bevölkerung durch die Ausgabe russischer Pässen begleitet, um deren Abspaltung festzuschreiben.

Und auch die EU-Mitglieder Rumänien und Ungarn verliehen Moldawiern und Ungarn in der Westukraine die begehrten EU-Pässe. In den 1990er Jahren ließen türkische Konsulate ihre ausgebürgerten Landsleute, nachdem sie in den Besitz deutscher Pässe gekommen waren, gerne wieder eintürken.

Staatsbürgerschaft nicht instrumentalisieren
 

Es gehört inzwischen zum bewährten Arsenal revanchistischer Mächte, die Diaspora für innenpolitische Zwecke und für das Schüren von Konflikten in benachbarten Staaten zu instrumentalisieren.

Es ist schon verrückt: Die deutsche Staatsangehörigkeit gehört nach der amerikanischen, britischen und schweizerischen zu den am meisten begehrten der Welt. Viele verkaufen ihre Seele, um deutscher Staatsbürger zu werden. Doch die Deutschen scheinen ihre Staatsbürgerschaft durch Ausnahmen und Kompromisse immer mehr zu entwerten.

Der Gesetzgeber sollte den Bacchanalien der Mehrstaatlichkeit einen Riegel vorschieben. Wer deutscher Bürger werden will, soll seine frühere Staatsangehörigkeit aufgeben, und zwar ohne Ausnahmen und ohne Boni. Die Staatsbürgerschaft darf nicht zum Wechselgeld geopolitischer Rangeleien und Interessenkonflikte werden. Sonst kann die Zeit kommen, da alle im Land zwar Staatsangehörige sind, aber niemand mehr Bürger.

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