Nato - Der Zwei-Prozent-Fetisch

Donald Trump setzt Deutschland unter Druck, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erfüllen. Doch will das Bündnis seine Verteidigungs- und Interventionsfähigkeit erhöhen, braucht es einen innovativen Blick auf die Militärausgaben und nicht das Starren auf eine willkürlich gewählte Prozentzahl

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Die Fixierung auf einen bestimmten Prozentsatz sagt nichts darüber aus, wofür das Geld benutzt wird / picture alliance
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Autoreninfo

Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München und Gastgeber im sicherheitspolitischen Podcast Sicherheitshalber. Zuletzt erschien sein Buch
„Weltunordnung – Die globalen Krisen und das Versagen des Westens“ (C.H. Beck, München 2016). Masala ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Politik

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Seit dem denkwürdigen Nato-Gipfel, der am 11. und 12. Juli 2018 in Brüssel stattfand und den US-Präsident Donald Trump beinahe platzen ließ, ist das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel auch in Deutschland wieder in aller Munde. Mit dem Zwei-Prozent-Ziel ist die von der Nato bereits 2002 vereinbarte und 2014 auf ihrem Gipfel von Wales bestätigte Vision gemeint, dass alle Bündnispartner sich darum bemühen werden, innerhalb eines Jahrzehnts ihre Verteidigungsausgaben bis in die Nähe dieses Zielwerts zu erhöhen. Und obgleich es sich bei dieser Vereinbarung von Wales nicht um eine rechtlich bindende Verpflichtung handelt, die alle Nato-Partner eingegangen sind, sondern lediglich um eine politische Willensbekundung, hat sie eine Eigendynamik entwickelt, auch in Deutschland.

Der Großen Koalition half die Vereinbarung von Wales, eine Trendwende bei der Finanzierung der Bundeswehr herbeizuführen. Der Verteidigungshaus­halt wurde erheblich erhöht. Allein im Jahr 2019 wird die Bundeswehr 43,23 Milliarden Euro erhalten und damit 12 Prozent mehr als 2018. Dies ist auch dringend nötig, nachdem die Bundeswehr fast 20 Jahre kaputtgespart wurde und mittlerweile am Rande ihrer Einsatzfähigkeit steht. Doch trotz der beschlossenen Erhöhung wird die Bundesrepublik auch in absehbarer Zeit das Zwei-Prozent-Ziel nicht erreichen.

180-Grad-Wende der SPD

Für die amerikanischen Administrationen stellte die Vereinbarung darüber hinaus einen Hebel dar, um Druck auf die europäischen Verbündeten auszuüben, mehr Geld für Verteidigung auszugeben. Diesen Hebel hatte bereits Barack Obama weidlich genutzt, und die Trump-Administration tritt da in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin. Allerdings verbindet Donald Trump seine Forderung nach 2 oder gar mehr Prozent mit der Androhung eines amerikanischen Rückzugs aus der Allianz. Der US-Präsident ist der festen Überzeugung, dass die Amerikaner zu viel und die Europäer zu wenig für das Bündnis gezahlt haben. Deshalb fordert er von den europäischen Verbündeten eine Steigerung ihrer Verteidigungsausgaben auf sogar 3 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts.

Obwohl Trump an die Politik seines Vorgängers anknüpfte, vollzogen die deutschen Sozialdemokraten nach dessen Wahl eine 180-Grad-Wende. Wurde die Erklärung von Wales vor vier Jahren noch mit der Zustimmung der SPD unterzeichnet, so will die Partei des Sicherheitspolitikers Helmut Schmidt seit 2017 nichts mehr davon wissen. Aus ihrer Sicht bedeutet ein Festhalten an dem Zwei-Prozent-Ziel Aufrüstung. Dieser will sich die selbst ernannte Friedenspartei SPD verweigern.

Die Finanzierung der Verteidigungsausgaben

Unabhängig von der deutschen Debatte um die 2 Prozent gibt es jedoch eine Reihe sehr guter Gründe, die gegen diese von den Nato-Mitgliedstaaten vereinbarte Festlegung sprechen. Sie finden in der deutschen Debatte aber kaum Gehör. Erstens ist die Koppelung von Verteidigungsausgaben an das Bruttoinlands­produkt an sich fragwürdig. Denn sie bedeutet, dass die Verteidigungsausgaben den Stand einer nationalen Wirtschaft widerspiegeln. Konkret heißt dies, Deutschland, das im Jahr 2018 1,24 Prozent (38,5 Milliarden Euro) für Verteidigung ausgibt, würde im Falle eines Wirtschaftseinbruchs automatisch einen
größeren Anteil am Bruttoinlands­produkt
für sein Militär ausgeben, andersherum im Falle eines schnellen wirtschaftlichen Wachstums entsprechend weniger. Aus dieser Perspektive macht die Fixierung auf 2 Prozent keinerlei Sinn.

Innerhalb der Nato ist zweitens überhaupt nicht klar, was alles unter Verteidigungsausgaben zu subsumieren ist. Dieses Argument mag auf den ersten Blick überraschen. Allerdings ist es zum Beispiel so, dass die Bundesrepublik Deutschland seit geraumer Zeit dabei ist, ihre Verkehrsinfrastruktur zu überprüfen und zu modernisieren. So soll unter anderem ermöglicht werden, dass deutsche und amerikanische Truppen gegebenenfalls in die baltischen Staaten verlegt werden können. Deutschland investiert Geld für seine Verteidigung also nicht nur aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums, sondern aus dem Haushalt des Verkehrsministeriums.

Der Teufel steckt im Detail

Oder aus dem Haushalt des Bundesinnenministeriums. Denn auch die Ausgaben, die Deutschland für den besseren Schutz seiner Cyberinfrastruktur tätigt und die ebenfalls nicht den Verteidigungsetat belasten, verbessern letzten Endes die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und damit auch die der Nato. All diese Investitionen werden aber in der Nato-internen Diskussion nicht mit berücksichtigt. Würde man sie zu den deutschen Verteidigungsausgaben hinzurechnen, dann läge die Bundesrepublik nicht bei 1,24 Prozent, sondern möglicherweise bei etwa 1,6 Prozent.

Drittens wird in der Nato gern darauf verwiesen, dass die USA, Frankreich, Großbritannien, Griechenland und auch die Türkei mehr als 2 Prozent oder zumindest fast 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für ihre Verteidigung ausgeben würden. Aber der Teufel steckt auch hier im Detail. Im Fall von Frankreich und Großbritannien zählen zu diesen Ausgaben zum Beispiel auch die Ausgaben für die militärischen Nuklearprogramme und den Unterhalt der Überseebasen. Dies gilt in einem noch größeren Umfang für die USA. Deren Flugzeugträger sowie deren Nuklear- und Raketenstreitkräfte operieren in erheblichem Maße unabhängig von der Allianz. Auf der anderen Seite werden die Verteidigungsausgaben der verfeindeten Verbündeten Griechenland und Türkei zu einem sehr hohen Anteil des Etats für das Personal und deren Pensionen aufgewandt.

Alle diese Beispiele zeigen: Eine Fixierung auf einen bestimmten Prozentsatz sagt nichts darüber aus, wofür das Geld benutzt wird, und trägt somit nicht zwingend zu einer Steigerung der Verteidigungs- und Interventionsfähigkeit der Nato bei. Dass die europäischen Streitkräfte mehr für ihre Sicherheit machen und ihre Verteidigungsausgaben erhöhen müssen, steht nicht in Abrede. Anders können sie den Gefahren und Risiken, die sich der Allianz im 21. Jahrhundert stellen, nicht adäquat begegnen. Die Festlegung auf einen bestimmten Prozentsatz, der zudem noch an die falsche Messgröße, das Bruttoinlandsprodukt, gebunden wird, erscheint dafür aber ungeeignet.

Der Fetisch des Zwei-Prozent-Ziels

Sinnvoller wäre es, dass sich die ­Nato-Mitgliedstaaten auf eine Matrix für ihre Verteidigungsausgaben verständigen, in der bestimmte Ausgaben für bestimmte Sektoren festgelegt werden. Zum Beispiel für Forschung und Entwicklung, für Rüstung, für Ausrüstung, für Training. Ferner bedarf es in Zeiten hybrider Kriegsführung auch einer breiteren Perspektive beim Blick auf die Landesverteidigung. Im 21. Jahrhundert umfassen die Verteidigungsausgaben nicht nur jene finanziellen Mittel, die den Verteidigungsministerien von den Parlamenten unmittelbar zur Verfügung gestellt werden. Verteidigungsausgaben sind darüber hinaus vielmehr alle Ausgaben, die Staaten und ihren Gesellschaften dabei helfen, widerstandsfähiger gegenüber hybriden Bedrohungen zu werden. Verteidigungsausgaben sind zudem all jene Ausgaben infrastruktureller Art, die getätigt werden müssen, damit im Verteidigungsfall Truppen reibungslos von A nach B verlegt werden können.

Erst wenn die Nato zu solch einer Betrachtungsweise von Verteidigungsausgaben gekommen ist, kann die eigentliche Diskussion zwischen den Mitgliedstaaten beginnen: über die notwendige Steigerung von Verteidigungsausgaben, über die notwendige Modernisierung vor allem der europäischen Streitkräfte, über kreative Lösungen. Und nur so lässt sich die „schwerste Krise der Allianz seit ihrer Gründung“, wie ein hoher Diplomat bei der Nato seiner Regierung unlängst schrieb, abwenden. Sich weiterhin auf das Zwei-Prozent-Ziel zu fixieren, kommt hingegen einem Fetisch gleich.

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.












 

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