Meistgelesene Texte 2017 - Warum die Schulz-SPD ein Opfer ihrer eigenen Blindheit ist

Schon im Mai war für Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke abzusehen, dass die SPD bei der Bundestagswahl nicht so erfolgreich sein würde wie erhofft. Die Sozialdemokraten wollten das entscheidende Thema einfach nicht sehen

Hat vor dem entscheidenden Thema die Augen verschlossen: Martin Schulz / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Also gut, hören wir auf die SPD und halten wir fest: Es waren Landtagswahlen. Es waren drei Landtagswahlen, im Saarland, in Schleswig-Holstein und nun in Nordrhein-Westfalen, in denen sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einem Amtsinhaber oder einer Amtshinhaberin und den jeweiligen Herausforderern entscheiden mussten.

Drei fette Niederlagen für die SPD

Aber auch dann gilt: Die eine Amtsinhaberin von der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, wurde im Saarland fulminant bestätigt. Die beiden sozialdemokratischen Amtsinhaber, Torsten Albig und Hannelore Kraft, wurden eiskalt abgewählt. Das Ergebnis sind drei CDU-Regierungschefs in diesen Ländern. Und drei fette Niederlagen für die Partei, die sich mit Martin Schulz anschicken wollte, Bundeskanzlerin Angela Merkel nach zwölf Jahren aufs Altenteil zu schicken.

Es war der Plan von Sigmar Gabriel, erst Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident gegen eine unsortierte Union durchzusetzen, darauf den Coup seines eigenen Verzichts zu setzen, Martin Schulz als Kanzlerkandidaten zu bringen und dann in den drei Landtagswahlen vor der Bundestagswahl die Grundsteine für einen Wahlsieg im September zu legen. Teil eins und zwei klappten furios. So furios, dass manchen in der Union schon die Hosen schlackerten. Teil drei ging krachend daneben.

Schulz wollte Thema Innere Sicherheit nicht sehen

Und dieser Teil drei geht voll und ganz auf die Kappe des neuen Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz. In einer sehr eigenen Wahrnehmung der Wirklichkeit glaubte Schulz allen Ernstes, die sozialen Nöte der Menschen in dem Boomland Deutschland seien der Hebel, mit dem man Merkel aus dem Amt komplementieren könnte. Also zog er zu Felde gegen die große Gerechtigkeitslücke, die in seinen Augen auch die Agenda 2010 eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers angerichtet hatte. Anstatt auf die Bundeskanzlerin der Anderen loszugehen, suchte er sein Heil in der Kritik des eigenen Regierungschefs, für dessen Verdienste sogar dessen Nachfolgerin ihm inzwischen mehrfach Respekt gezollt hatte.

Nicht sehen wollte Martin Schulz das große Thema, das viele Menschen umtreibt, seit Angela Merkel in einem historisch einzigartigen Akt grundlegende Regeln von Recht und Ordnung außer Kraft setzte und mit der unkontrollierten Einwanderung von 1,2 Millionen Migranten aus dem muslimischen Kulturkreis das Land und seine Bewohner vor ungeheure Herausforderungen stellte. Damit einhergehend die Vorfälle der Silvesternacht von Köln oder das Attentat vom Berliner Breitscheidplatz, um nur die beiden größten Ereignisse zu nennen. Damit einhergehend ein markanter Anstieg der Kriminalität, insbesondere in den Bereichen Mord, Körperverletzung und Vergewaltigung. Also bei Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit.

Nicht die soziale Sicherheit treibt die Leute in erster Linie um, sondern die innere Sicherheit. Die Sorge, nicht mehr in einem sicheren Land wie noch vor wenigen Jahren zu leben. Die Sorge, dass die Sicherheitsorgane ganze Stadtteile aufgegeben haben. Das Recht und Ordnung relativ geworden sind, abhängig vom Geldbeutel.

SPD packt Merkel nicht an verwundbarster Stelle

Weil Schulz zwar die Kabinettsdisziplin vermied und nicht Minister werden wollte in der Regierung Merkel, die Kanzlerin aber dennoch nicht an ihrer verwundbaren Stelle packte, zahlt die SPD nun den Preis. Sie ist gerade in Nordrhein-Westfalen dafür verantwortlich, dass auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht hunderte Frauen sexuell belästigt und teilweise vergewaltigt wurden. Sie ist dafür verantwortlich, dass sich der als Flüchtling nach Deutschland gekommene Attentäter und Islamist Anis Amri in Nordrhein-Westfalen mehrere Identitäten zulegen konnte, von den Behörden unbehelligt blieb und schließlich auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen bestialisch umbrachte.

Sie, die SPD, ist in Nordrhein-Westfalen nun politisch dafür verantwortlich, dass sie es mit ihrem grünen Koalitionspartner nicht vermochte, die kriminellen Folgen der Zuwanderung in den Griff zu kriegen und die jungen Menschen aus den Fluchtländern so zu beschulen, dass der reguläre Schulbetrieb keinen Schaden nimmt.

Unverfrorenheit der CDU zugelassen

Das ist zwar eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, weil die Kanzlerin inzwischen auf die harte Tour umgestellt hat und viele Leute ein verdammt kurzes Gedächtnis haben. Es gehören zu einer Verkehrung von Ursache und Wirkung, von Urheber und Leidtragendem, aber immer zwei. Einer, der umkehrt, und einer, der das zulässt. Dass die Merkel-CDU, dass Armin Laschet mit seinem Merkel-Flüchtlingskritiker Wolfgang Bosbach eiskalt diese unverfrorene Nummer von Law and Order gefahren hat, ist das eine. Das andere ist, dass die SPD das zugelassen hat.

Daran ist allein sie selbst schuld. Und es wird nach Lage der Dinge dazu führen, dass sich Merkel als Fels in einer Brandung gerieren wird, die sie zum großen Teil selbst hergestellt hat. Das zu schaffen ist eine politische Leistung, die bei aller Unverfrorenheit Respekt verdient. Und deren Dimension nur noch übertroffen wird von der Ignoranz der Schulz-SPD, die Amtsinhaberin an dem einen Punkt zu packen, an dem sie zu schlagen ist.

Ob die Sozialdemokraten es jetzt begreifen? Wenn man am Wahlabend SPD-Politikern wie Thomas Oppermann zugehört hat, dann musste man den Eindruck gewinnen, dass die Sozialdemokraten noch nicht einmal diesen Schuss von Düsseldorf gehört haben. Mit den Themen Steuer- und Rentengerechtigkeit, so sagte Oppermann am Wahlabend, werde die SPD aus diesem Tal kommen. Sein Auftritt vor der Kamera im Willy-Brandt-Haus hatte etwas Gespenstisch-Entrücktes. 

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