Mülltrennung - Eimer liebt dich!

Auf Alltagsgegenständen wie Mülleimern wird mit lustigen Sprüchen für Mülltrennung geworben. Doch wieso sprechen eher diese Dinge mit uns als unsere Mitmenschen? Der Mensch scheint in der modernen Welt zur Randfigur geworden zu sein

Erschienen in Ausgabe
Pfiffig oder Pfusch / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

So erreichen Sie Sophie Dannenberg:

Anzeige

Gerade dachte ich darüber nach, was jetzt wohl aus Prinz Andrew wird, als auch ich ein eher irres #metoo-Erlebnis hatte. Ich gehe also die Straße lang, werfe ein Papier in den Müll, da heißt es gleich: „Gib’s mir!“ Fand ich dreist. Täter war allerdings kein Mann, sondern ein Mülleimer der Berliner Stadtreinigung (BSR) mit entsprechender Aufschrift. Ein Mann kann sich so was ja nicht mehr erlauben, ein Mülleimer schon. Auf dem nächsten las ich: „Für die Zigarette danach“. Auf dem übernächsten: „Eimer liebt dich“. Na gut. Aber ich versteh das ja. Die Leute sollen ihren Dreck nicht auf die Straße schmeißen, und die BSR, sagt deren Marketingabteilung, will vermitteln, „dass Abfalltrennen und Engagement für unsere Stadt Spaß machen können“. Finde ich zwar nicht, dass alles Spaß machen kann oder muss, aber egal.

Mich interessiert eher die Frage, warum in letzter Zeit alle möglichen tumben Gegenstände vorgeben, Persönlichkeit zu haben. Nicht nur Mülleimer, sondern auch Bankautomaten und Busse. Als ich neulich Geld abhob, stand auf dem Automaten: „Ich gebe und nehme: Aber nur Bares.“ Und der neue E-Bus wollte auch gern witzig sein: „Nein Tanke, ich werde geladen“. Dass nicht nur Menschen, sondern auch Primaten und sogar Elstern über ein Ich-Bewusstsein verfügen, ist ja bekannt – aber Busse?

Zu Gegenständen gnädiger als mit unseresgleichen

Mir ist das unheimlich, weil ich mich nicht erinnern kann, ob an dem Tag, als der Bankautomat und der Bus das Gespräch mit mir suchten, auch irgendein Mensch etwas zu mir gesagt hat. Und wenn, dann machten die Aussagen der Dinge es zunichte. Als ich in der Pubertät war und alle mir auf die Nerven gingen, wünschte ich mir oft, ich wäre allein auf der Welt. Nicht unbedingt für immer, aber mal für ein paar Tage oder Jahre. Und jetzt streift mich manchmal der Gedanke, der Wunsch könnte wahr geworden sein, für uns alle. Doch seit wir allein sind, sind wir nicht mehr allein, die Gegenstände flirten plump mit uns und machen flache Witze. Wir nehmen das nicht besonders übel. Wir sind mit ihnen viel gnädiger als mit unseresgleichen.

In den Geisteswissenschaften gibt es seit Jahren Theorien, die die moderne Vorstellung des autonomen Menschen fallen lassen. Die Welt denkt vielleicht auch ohne den Menschen. Wir kriegen das nicht so mit, aber wir sind schon längst wieder Randfiguren. Das ist auch ein Trost.

Dieser Text ist in der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige