Mitgliederentscheid - Wer der SPD schaden will, muss schnell Genosse werden

Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen entscheiden 440.000 SPD-Mitglieder, ob die Große Koalition zustande kommt oder nicht. Nicht nur demokratisch ist dieser Vorgang fragwürdig. Dass auch Neu-Mitglieder abstimmen dürfen, kommt zudem einer Einladung an alle SPD-Gegner gleich

Mit einem „Nein“ zur GroKo würde man am Niedergang der Sozialdemokraten mitwirken / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Stellen wir uns vor, die SPD-Parteibasis lehnt einen von ihrer Parteiführung mit der CDU/CSU ausgehandelten Koalitionsvertrag ab. Dann bräuchten die Sozialdemokraten eine neue Parteispitze, es käme zu einer kurzlebigen Minderheitsregierung der Union und spätestens im Herbst zu Neuwahlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sozialdemokraten anschließend besser dastünden als heute, ist sehr gering. Es wäre für die SPD der Gau.

Genau darauf zielen die Jungsozialisten und ein Teil der SPD-Linken, die ihre Partei durch den Mitgliederentscheid auf diesen Weg zwingen wollen: Erneuerung in der Opposition mit anschließender Wiederauferstehung der SPD als dezidiert linker Partei mit vielen programmatischen Überschneidungen mit der Linkspartei. Sie werben seit Wochen um neue Mitglieder, damit die Wahrscheinlichkeit wächst, in dem Mitgliederentscheid eine Mehrheit gegen die GroKo zu erringen. 

Man darf all den „Kevins“ in der SPD unterstellen, dass sie glauben, um ein Riese zu werden, müsse man sich zuerst verzwergen. Es dürfte aber in Deutschland nicht wenige geben, die sich von einer NoGroKo-Entscheidung den beschleunigten Niedergang der Sozialdemokratie von einer einst großen Volkspartei zu einer von vielen kleineren Parteien versprechen. Auch die haben ein Interesse, dass die SPD-Mitglieder ihre Führung abwatschen.

Nicht teurer als ein Essen bei McDonald‘s 

Eine kleinere, noch schwächere SPD wünschen sich Anhänger der Union wie von Linkspartei, Grünen und FDP. Schließlich dürften sich alle Hoffnungen machen, aus der Konkursmasse der SPD könnte für sie stimmenmäßig etwas abfallen. Der SPD alles Schlechte gönnen sicherlich auch die AfD-Wähler. Alles, was der „Alt-“ oder „Systempartei“ schadet, ist aus ihrer Sicht gut für Deutschland.

Die basisdemokratische SPD bietet all ihren Gegnern beim Mitgliederentscheid die einmalige Chance, durch einen schnellen Parteibeitritt und ein „Nein“ zur GroKo am Niedergang der Sozialdemokraten mitzuwirken. Die Zugangshürden sind nicht hoch: Man darf nicht Mitglied einer anderen Partei sein und muss halt ein paar Monate lang einen Beitrag zahlen. Studenten und Geringverdiener sind schon mit fünf Euro im Monat dabei. Der SPD-Führung mal schnell ein Bein zu stellen, kostet im Durchschnitt also nicht mehr als ein Essen bei McDonald‘s – macht aber wahrscheinlich mehr Spaß. Anschließend kann man ja wieder austreten. Führende Jungsozialisten haben bereits explizit damit geworben, für zwei Monate Kurzeit-Genosse zu werden. Offenbar eine besondere Spielart der „liquid democracy“, wie sie einst von den Piraten gefordert wurde.

Der Traum aller Altachtundsechziger

Nun lässt sich gegen eine direkte Demokratie à la SPD manches einwenden. So haben am 24. September 9,5 Millionen Bürger mit der Zweitstimme SPD gewählt, was für 153 Bundestagssitze gereicht hat. Was die Stimmen dieser 9,5 Millionen aber wert waren, darüber befinden nun wohl 440.000 SPD-Mitglieder. Die 153 sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestags, auch Volksvertreter genannt, kommt dabei nur die Rolle von Statisten zu. Die Stimme eines Bundestagsabgeordneten ist bei einem Mitgliederentscheid genauso viel oder wenig wert wie die jedes neuen Kurzzeit-Genossen. Das imperative Mandat, Traum aller Altachtundsechziger, wird so Wirklichkeit – wenn auch nicht gerade im Einklang mit der Verfassung.

Ebenso fragwürdig wie diese Form plebiszitärer Politik ist auch das von der SPD gewählte Verfahren. Bei einem Mitgliederentscheid dürfen eben auch die abstimmen, die erst jetzt – aus welchen Motiven auch immer – mal schnell Genossen geworden sind. Wer der SPD schaden oder sich einen Jux machen will, hat genauso viel zu sagen wie derjenige, der seiner Partei seit vielen Jahren die Treue hält

Seit dem SPD-Bundesparteitag im Dezember steht fest, dass die Mitglieder das letzte Wort über eine GroKo-Neuauflage haben sollen. Logisch wäre gewesen, dass nur diejenigen stimmberechtigt sind, die damals bereits Genosse oder Genossin waren. Der vom SPD-Vorstand festgelegte Stichtag vom 6. Februar eröffnet dagegen all denen eine Möglichkeit, die jetzt nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül in die SPD eintreten. Das kommt einer Einladung an SPD-Gegner aus allen Lagern gleich: SPD-Gegner aller Lager, vereinigt euch bei uns.

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