Die Misere der Sozialdemokraten - Hoffen auf Merkels Abgang

Die SPD hat Burgfrieden geschlossen und einen Kanzlerkandidaten gekürt. Nicht einmal Kevin Kühnert schießt noch quer. Selten hat man die Partei so einig erlebt. Trotzdem kommt sie nicht aus dem Umfragen-Tief heraus. Warum?

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, das Führungs-Duo der SPD / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Freundlich ausgedrückt, könnte man sagen: Die SPD macht derzeit alles richtig. Weniger freundlich formuliert, lautet der Befund: Sie macht zumindest keine größeren Fehler. Insgesamt vermittelt die Partei nach außen hin jedenfalls den Eindruck größtmöglicher Geschlossenheit; schon seit längerem sind keine der berühmt-berüchtigten Querschüsse aus der zweiten Reihe mehr zu vernehmen. Selbst Kevin Kühnert, der sonst stets zu saftiger Kapitalismuskritik aufgelegte Juso-Chef, übt sich in geradezu staatstragender Zurückhaltung: Die Verstaatlichung von Dax-Konzernen scheint fürs erste von seiner Agenda verschwunden.

Unprätentiöser Partei-Onkel

Sogar die anfangs noch lautstarken Missfallensbekundungen vieler Sozialdemokraten über das vor gut zehn Monaten ins Amt gewählte Vorsitzenden-Duo Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans haben inzwischen Seltenheitswert. Es mag daran liegen, dass die zumindest auf Außenstehende stets unfreundlich-aggressiv wirkende Esken sich mit ihren provokanten Twitter-Kaskaden mehr zurückhält als noch im Sommer, als sie etwa deutschen Sicherheitskräften latenten Rassismus unterstellte. Oder auch daran, dass die Zusammenarbeit mit Walter-Borjans, der den Spitzenposten in der Partei nie wirklich angestrebt hatte, sich mittlerweile gut eingespielt hat: Der 68-jährige Nordrhein-Westfale hat sich offenbar mit seiner Rolle als netter und unprätentiöser Partei-Onkel abgefunden, während die 59 Jahre alte Schwäbin aus dem Bundestag heraus auch für Parteipolitik zuständig ist.

Und dann gelang den Sozialdemokraten ja noch ein echter Coup: Ohne viel Getöse wurde im August in der Person von Olaf Scholz ein Kanzlerkandidat präsentiert, der eine größtmögliche Akzeptanz auch weit ins sogenannte bürgerliche Lager hinein verspricht. Selbst einstige Kritiker wie Kühnert, der noch wenige Monate zuvor die Wahl Scholzens zum Parteichef hintertrieben hatten, waren plötzlich voll des Lobes für den Bundesfinanzminister. So viel Geschlossenheit kennt man sonst eigentlich nur von der CDU und ihrem (einstmals) disziplinierenden Machtwillen. Man könnte also beinahe von einem kleinen sozialdemokratischen Wunder sprechen.

Kein Lichtblick, nirgends

Das Problem ist nur: In den aktuellen Umfragen ist von diesem Wunder nichts zu spüren: Die SPD verharrt mit Werten irgendwo zwischen 14 und 17 Prozent bleischwer im Keller der Demoskopie. Kein Lichtblick, nirgends. Das einzige, was den Parteifunktionären im Moment Hoffnung macht, ist die personelle Misere bei der CDU. Spätestens Mitte nächsten Jahres würde den Deutschen bewusst, dass Angela Merkel für eine weitere Kanzlerschaft nicht mehr zur Verfügung steht, lautet das Mantra der SPD-Oberen. Und dann sei endlich die Zeit gekommen, um sich selbst wieder in Szene zu setzen. Ganz nebenbei: Sollte Merkel tatsächlich die Hauptursache für die in den vergangenen anderthalb Dekaden verlorene Strahlkraft der Sozialdemokratie gewesen sein, wäre das ein bitteres Armutszeugnis für diese Partei.

Wer auch immer CDU und CSU in den nächsten Bundestagswahlkampf führen wird: Dass der SPD plötzlich die Herzen zufliegen, nur weil Armin Laschet, Friedrich Merz oder Markus Söder halt nicht Angela Merkel sind, kann bezweifelt werden. Denn erstens ist es mit dem innerparteilichen Burgfrieden bei den Sozialdemokraten nicht ganz so weit her, wie es nach außen scheint: Die Parteilinke gibt derzeit nur deswegen Ruhe, weil sie mit Esken/Walter-Borjans ihre eigenen Kandidaten an der Parteispitze weiß. Außerdem ist wegen Corona ein entscheidender Streitpunkt abgeräumt worden: Die „schwarze Null“ nämlich, an der Olaf Scholz ursprünglich eisern festhalten wollte – bis plötzlich wegen der Pandemie an einen ausgeglichenen Haushalt nicht mehr zu denken war.

Inhaltliches Manko

Und dann wäre da noch das inhaltliche Manko: Womit genau will die SPD eigentlich bei den Wählern punkten? Dass mit zeitgeistiger Identitätspolitik für die Sozialdemokraten kein Blumentopf zu gewinnen ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben; die Ergebnisse bei den zurückliegenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen zeichnen da ein klares Bild. Was also tun, um politisch wieder relevant zu werden? Die Antwort auf diese Frage wird offenbar umso realistischer beantwortet, je näher man der Parteibasis kommt. Dazu im Folgenden ein kurzes Beispiel.

Das Onlinemagazin „da Hog’n“ aus der niederbayerischen Provinz hat vor wenigen Tagen mehrere SPD-Politiker aus der Region nach den Problemen der Partei befragt. Darunter waren die Bundestagsabgeordnete und Justiz-Staatssekretärin Rita Hagl-Kehl, der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Christian Flisek sowie der SPD-Bürgermeister der Stadt Regen, Andreas Kroner. Und während die Bundespolitikerin Hagl-Kehl sich mit dem altbekannten Parteisprech um Erklärungen bemüht („Derzeit wird das gute Krisenmanagement der Bundesregierung hauptsächlich den Unionsparteien und Bundeskanzlerin Angela Merkel gutgeschrieben, obwohl die meisten Ideen und Maßnahmen eindeutig die Handschrift der SPD tragen“), klingt Flisek schon ein bisschen realistischer. „Ziel unserer Politik war und ist es, sozialen Aufstieg und breite gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen und unseren Wohlstand auszubauen“, sagt Flisek.

Sozialer Aufstieg

Sozialer Aufstieg, gesellschaftliche Teilhabe, den Wohlstand ausbauen: Solche Forderungen hört man von der SPD-Parteielite eher selten, obwohl es sich um klassische sozialdemokratische Werte handelt. Andreas Kroner dagegen, der Regener SPD-Bürgermeister, wird ganz besonders deutlich. Auf die Frage, wie das Ende der SPD noch abgewendet werden könnte, sagt er klipp und klar: „Mit klaren Botschaften an die Menschen. Man bezeichnet sich ja selber gern als Arbeiterpartei, dann muss man das auch zeigen. Wer arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Punkt. Dafür sollten wir wieder stehen.“ 

Vielleicht sollte es die SPD einfach mal mit einem Kommunalpolitiker an der Parteispitze versuchen. Schaden würde es ihr nicht.

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