Migration - Zur Legitimität von Grenzen

Eine unregulierte Migration steht in der Tradition der Freihandelsideologie. Sie zerstört den Sozialstaat und untergräbt politisches Handeln im Nationalstaat. Globale Armut bekämpft sie nicht

Erschienen in Ausgabe
Individuelle und kollektive Autonomie ist mit einem grenzenlosen Markt unvereinbar / Illustration: Karsten Petrat
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Autoreninfo

Julian Nida-Rümelin ist Professor für Philosophie in München. Er war Kulturreferent der Landeshauptstadt München und 
Kulturstaatsminister 
im ersten Kabinett Schröder.
Zuletzt erschien von ihm: „Die gefährdete Rationalität der Demokratie. Ein philosophischer Traktat“ in der Edition Körber. Foto: picture alliance

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Als ich in der Früh in mein Wohnzimmer komme, um zu frühstücken, muss ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass dort schon eine Person sitzt. Die Person ist freundlich, sympathisch, aber auch sehr bestimmt: Sie hat sich, wie sie erzählt, mit einem Dietrich Zutritt zu meiner Wohnung verschafft, sie ist obdachlos und bittet mich nun um Zustimmung, mit mir in Zukunft diese Wohnung zu teilen. Obwohl ich die schwierige Situation des Obdachlosen nachvollziehen kann und er mir keineswegs unsympathisch ist, bitte ich ihn, meine Wohnung umgehend zu verlassen. 

Um die Situation noch ein wenig zu konkretisieren: Der Obdachlose ist nicht mit dem Tod bedroht, wenn ich ihn aus meiner Wohnung weise. Ich bin aber zugleich davon überzeugt, dass sich die Lebenssituation des Obdachlosen deutlich verbessern würde, wenn ich seinem Begehren nachgekommen wäre. Zudem steht völlig außer Frage, dass meine Lebenssituation eine weit bessere ist als die des Obdachlosen, und dass sich die Nachteile, die sich aus einer Kohabitation für mich ergäben, in Grenzen hielten, dass die Vorteile, die der Obdachlose von einer Kohabitation hätte, meine Nachteile bei weitem überwiegen würden. 

Individuelle Rechte sind nicht absolut

Die legitime Grenze ist in diesem Fall durch meine Wohnung gezogen. Ich kontrolliere als Wohnungseigentümer oder Mieter den Zutritt, und mein Status als Eigentümer oder Mieter gibt mir individuelle Rechte, darunter das Recht, den Zutritt oder den Aufenthalt zu verweigern, auch im Falle, dass die Person gute Gründe hat, sich den Zutritt oder den Aufenthalt zu wünschen. Verletzen die individuellen (juridischen und ethischen) Rechte des Wohnungseigentümers ein Gleichbehandlungsprinzip? Muss nicht jede Person gleichermaßen Zutritt zu dieser Wohnung haben? Und sollten wir den Zutritt zu der Wohnung nach Bedürftigkeit regeln? Die Antwort lautet ganz offenkundig: „Nein.“ Und zwar deswegen, weil wir uns gemeinsam wünschen, dass wir unter Normalbedingungen die Möglichkeit haben sollten, die eigene Wohnung, einschließlich des Zutritts und des Aufenthalts, zu kontrollieren. 

Dieses individuelle moralische Eigentumsrecht verletzt nicht universelle Prinzipien der Gleichbehandlung. Diese sind mit legitimen Grenzen, hier den Grenzen meiner Wohnung, vereinbar. Individuelle Rechte dieser und anderer Art sind nicht absolut, sie können und müssen gegen andere moralische Gründe abgewogen werden. In unserem Fall könnte ich zum Beispiel eine moralische Pflicht zur Aufnahme des Obdachlosen dann haben, wenn es sich um eine klirrend kalte Winternacht handelte und zu befürchten wäre, dass der schon kränkelnde Obdachlose eine Nacht im Freien mit dem Leben bezahlen müsste.

Grenzen sind in unserer lebensweltlichen Moral tief verwurzelt und sie sind ein konstitutives Merkmal von Staatlichkeit. Grenzen schützen individuelle und kollektive Autonomie. Politische Gestaltungskraft ist Voraussetzung kollektiver Autonomie, diese gerät jedoch in Konflikt mit einer Praxis offener Grenzen. Das gilt für die Globalisierungsdynamik im Zeichen entfesselter globaler Finanz- und Warenmärkte ebenso wie für den globalen Arbeitsmarkt. Eine ungebremste Mobilität von Kapital, Waren und Menschen würde Staatlichkeit erodieren lassen und die Politik zum bloßen Standortfaktor degradieren. 

Abschaffung der Nationalstaaten

Auch aus kosmopolitischer Perspektive sind (Staats-)Grenzen und die politische Kontrolle von Migrationsbewegungen legitim, nicht nur aus kommunitaristischer oder gar nationalistischer Sicht. Kosmopoliten sind Universalisten. Sie behaupten, dass die grundlegenden ethischen Regeln für alle Erdenbewohner gelten – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, ihrer Hautfarbe, ihrer Muttersprache oder anderen partikulären Zugehörigkeiten.

Die meisten Kosmopoliten argumentieren gegen den Nationalstaat. Sie setzen darauf, dass eine gerechte Weltordnung ausgehend von allgemeinen ethischen Prinzipien Nationalstaaten insgesamt abschaffen würde. In der Tat hat die im 19. Jahrhundert aufkommende Idee, dass Staaten Nationalstaaten sein sollten, zu vielen Konflikten geführt. Einige davon eskalierten zu Kriegen, die sich bis in die Gegenwart ziehen. Viele Konflikte lassen sich darauf zurückführen, dass Staatsgrenzen nationalen Strukturen keine Rechnung getragen haben, oder weil das Zugehörigkeitsgefühl ambivalent war beziehungsweise sich gewandelt hat. 

Weltstaat wäre despotisch

Für einen Kosmopoliten ist die Frage der staatlichen Organisation eine pragmatische: Wie sollten Staaten verfasst sein, damit politisches Handeln, etwa die Rahmengebung für die Gemeinschaft durch politische Institutionen, Diskussionen und Entscheidungen, effektiv durchführbar ist? Immanuel Kant hatte recht mit seiner Annahme, dass ein solches Modell in globalem Maßstab nicht möglich wäre. Ein Weltstaat wäre wahrscheinlich despotisch. Nach Kant ist der Grund hierfür, dass politische Kontrolle durch die Bürgerschaft ausgeübt werden muss; dafür muss diese aber in der Lage sein, effektiv zu intervenieren und Meinungen und Entscheidungen so zu artikulieren, dass sie für die Gemeinschaft als Ganze relevant sind. 

Die Weltgemeinschaft umfasst ein breites Spektrum von verschiedenen Lebensformen, Religionen, Werten und Normen. Ein globales politisches System, das auf Repräsentanten dieser Unterschiede aufbauen würde, wäre auf den minimalen Konsens eines Modus Vivendi reduziert. Das ist zwar sicher besser als die gegenwärtige Situation, die in manchen Weltregionen eher dem hobbesschen „Krieg aller gegen alle“ und in anderen dem langen Krieg der christlichen Konfessionen im 17. Jahrhundert ähnelt. Aber der Kosmopolitismus beschränkt sich nicht auf einen bloßen globalen Modus Vivendi: Kosmopoliten sollten Republikaner sein, sie sollten sich dafür aussprechen, die Möglichkeit politischen Handelns von der Ebene des Nationalstaats auf die kontinentale und globale Ebene zu heben.

Zerstörerische Auswirkungen auf Sozialstaaten

Die Globalisierung hat zu einem sich immer weiter spinnenden weltweiten Netzwerk von ökonomischen, sozialen und kulturellen Verflechtungen geführt, welches die Welt in ein System der Kooperation und des Konflikts verwandelt. Der Kosmopolitismus zielt darauf, eine föderale Weltordnung mit institutionellen Strukturen zu erschaffen, die effektives politisches Handeln und Entscheiden auf allen Ebenen ermöglichen, um eine zivile Weltgesellschaft zu etablieren. 

Eine allgemeine Politik der offenen Grenzen nicht nur für Güter und Leistungen, sondern auch für Arbeitskräfte und Migranten im Allgemeinen wäre mit der institutionellen Struktur eines republikanischen Kosmopolitismus nicht vereinbar. Der republikanische Kosmopolitismus setzt die Möglichkeit voraus, kollektiv zu handeln, um politische Ziele zu verwirklichen. Eine globale Marktgesellschaft wäre dem politischen Handeln abträglich. Es würde Strukturen der Kooperation zerstören und politische Entscheidungen zum Mittel ökonomischen Wettbewerbs machen. Wenn eine politische Entität versucht, im Wettbewerb mit anderen politischen Entitäten die besten Bedingungen für Investitionen zu etablieren, verliert sie dadurch die Fähigkeit, geleitet von politischen Gründen zu handeln und gemeinsame politische Werte und Ideen zu realisieren. Politik wird zu einem bloßen Mittel ökonomischer Ziele. Wenn es für die Politik nichts mehr zu tun gibt, weil der freie Markt die Verteilung aller Güter, Leistungen, Werte, Normen und Praktiken übernimmt, werden politische Institutionen inhaltsleer. 

Eine Migrationspolitik, die sich für offene Grenzen ausspricht, steht in der Tradition der Freihandelsideologie und des Libertarismus. Eine solche Politik würde es politischen Institutionen unmöglich machen, eine gerechte soziale Ordnung zu erschaffen. Jede Maßnahme zum Arbeitnehmerschutz oder zur Umverteilung von Wohlstand innerhalb einer Gesellschaft würde von Migrationsbewegungen unmöglich gemacht werden, die dadurch Anreize erhielten. Ein weltweites Freihandelssystem der Arbeitskräfte hätte zerstörerische Auswirkungen auf entwickelte Sozialstaaten.

Globale Migration kein Mittel im Kampf gegen globale Armut

In dieser Hinsicht ist Migration ambivalent. Für diejenigen, die aus armen Regionen auswandern, stellt dies meist einen ökonomischen Fortschritt dar. Empirische Studien belegen aber, dass ein beträchtlicher Anteil der erfolgreichen Migranten insgesamt gesehen verliert, wenn man auch psychologische und kulturelle Aspekte einbezieht. Wichtiger noch: Die Regionen, aus denen die meisten Migranten stammen, verlieren deutlich mehr, wenn ein Großteil ihrer Bevölkerung auswandert. Globale Migration ist zudem kein effektives Mittel im Kampf gegen globale Armut, da ungefähr zwei Milliarden Menschen auf der Welt unter extremer Armut, unter anderem unter chronischer Unterernährung, Mangel an Trinkwasser, sozialer Exklusion, unzureichendem Zugang zu Bildung oder Arbeitslosigkeit leiden. 

Die Kosten der Integration von Migranten hängen zugleich stark vom Sozialsystem des jeweiligen reichen Staates ab. Mit Subventionen in derselben Größenordnung ließe sich Armut weit effektiver in den Ursprungsländern bekämpfen. Migration ist kein geeignetes Mittel, um globale Armut zu bekämpfen. In vielen Fällen leistet Migration sogar eher einen Beitrag zur globalen Armut. Wenn arme Staaten einen großen Teil ihres Haushalts in Bildung und Qualifizierungsmaßen investieren, dann aber damit konfrontiert sind, dass diejenigen, die von diesen Maßnahmen profitiert haben, auswandern, führt das zum Kollaps der Entwicklungsstrategie. Daher sollten reiche Staaten, die von der Einwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte profitieren, dazu verpflichtet werden, den Ursprungsstaaten die Ausbildungskosten zu kompensieren.
Im Falle von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen ist es Aufgabe der Weltgemeinschaft, die Anrainerstaaten, welche den Flüchtlingen Obhut gewähren, finanziell zu unterstützen. Ihre Integration in Länder, die Tausende von Kilometern entfernt sind, macht die Situation in vielen Fällen schlimmer. Wenn der Krieg vorbei ist, werden die Flüchtlinge zurückkehren, um ihre Häuser, die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganze wieder aufzubauen. Wenn diejenigen, die über finanzielle Mittel verfügen, nicht zurückkehren, weil sie mittlerweile ökonomisch und sozial in eine reiche Gesellschaft wie die USA oder einige der nördlichen und mitteleuropäischen Staaten integriert sind, wird es für die Ursprungsregionen noch schwieriger, sich vom Kriegsgeschehen zu erholen.

Reiche profitieren von Migration

Reiche Länder sollten zudem bedenken, dass die Integrationskosten meistens von demjenigen Teil der Bevölkerung getragen werden, der relativ arm ist. Dieser Bevölkerungsteil leidet, weil er ökonomisch mit den Migranten auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren muss, weil die Mieten steigen und weil er einen schnellen kulturellen und sozialen Wandel erlebt. Reiche Bevölkerungsgruppen profitieren dagegen von Migration aus armen Ländern. Denn sie können Hausmädchen und Gärtner einstellen und diesen sogar noch niedrigere Löhne zahlen als unausgebildeten heimischen Arbeitskräften. Selbst dann, wenn es gute ökonomische Argumente für die Immigration von Fachkräften in die westlichen Länder gibt, sind die kulturellen und sozialen Kosten dort jedoch ungerecht verteilt. 

Peter Singer und andere argumentieren, dass die wohlhabenden Länder eine moralische Pflicht hätten, ihre Grenzen so lange offen zu halten, bis die Belastungen durch die Aufnahme unzumutbar groß werden. Peter Singer und zahlreiche philosophische Befürworter offener Grenzen fügen die Einschätzung hinzu, dass die Unzumutbarkeitsgrenzen, also die Grenze, ab der die Belastungen der aufnehmenden Gesellschaft unerträglich werden, angesichts des unterdessen etablierten Wohlstands in den Reichtumsregionen der Welt, sehr hoch angesetzt werden kann. Auch eine Verdopplung oder Verdreifachung der Wohnbevölkerung in einem überschaubaren Zeitraum sollte dann nicht als unzumutbar gelten.

Grenzen sind legitim

Es gehört jedoch zum kollektiven Selbstbestimmungsrecht einer Bürgerschaft, die sich in einem Staat organisiert hat, zu entscheiden, wie sie leben möchte, mit wem sie leben möchte, ob sie kulturelle, soziale und ökonomische Veränderungen akzeptiert oder nicht. Es gibt keine moralischen Gründe, die sie zwingen könnten, dieses Selbstbestimmungsrecht aufzugeben. Natürlich kann sie sich dafür entscheiden, Veränderungen zu akzeptieren, die Grenzen zu öffnen, bislang nicht Beteiligte an der politischen Meinungsbildung teilhaben zu lassen, neue Kooperationsformen zu etablieren, Wohlfahrtsverluste hinzunehmen. Wenn wir das Elend der unteren beiden Milliarden der Weltbevölkerung durch offene Grenzen, durch Aufnahme diesseits des gerade noch Erträglichen bekämpfen würden, wären Staat, Gesellschaft und Kultur, in denen wir leben, nicht mehr wiederzuerkennen. Man kann das wollen, aber man muss es nicht, es ist legitim, Grenzen zu setzen. Ohne Struktur, ohne legitime und akzeptierte Grenzen keine Autorschaft, keine Zurechenbarkeit, keine Verantwortlichkeit, kein Respekt und keine Würde. Das so sympathische Plädoyer für Grenzenlosigkeit, die These, dass Grenzen grundsätzlich illegitim seien, weil sie Unterschiede aufrechterhielten, lässt sich bei genauer Betrachtung ethisch nicht legitimieren.

Wie steht es aber um die Ungerechtigkeiten, die durch die Grenzen entstehen? Ist es nicht ungerecht, dass Menschen, die in einem bestimmten Land geboren sind, deswegen geringere Chancen auf Wohlergehen haben als andere? Verlangt nicht das Prinzip des Ausgleichs natürlicher oder zufälliger Unterschiede, dass Grenzen verschwinden, um Chancengleichheit sichern zu können?

Natural luck

Auch innerhalb einer nationalstaatlich verfassten Gesellschaft bestehen massive Ungleichheiten als Folge der Tatsache, dass man zum Beispiel in eine bestimmte Familie hineingeboren wird, von einem bestimmten soziokulturellen Milieu umgeben ist, möglicherweise ungünstigen elterlichen Entscheidungen den eigenen Bildungsweg betreffend ausgesetzt war, etwas erbt oder nicht, genetisch begünstigt oder benachteiligt ist. Diese Unterschiede, in der englischsprachigen Philosophie der Gegenwart oft als natural luck bezeichnet, sollten in einer gerechten Gesellschaft so weit als möglich ausgeglichen werden: Den sozial Benachteiligten sollten besondere Mittel zur Verfügung stehen, um ihren Konkurrenznachteil ausgleichen zu können, Kinder mit Behinderungen sollten mehr staatliche Ressourcen binden dürfen, um sich gut entwickeln zu können, als Kinder ohne Behinderungen. Aber es gibt auch hier enge Grenzen des Zulässigen für eine egalitaristische Praxis. So wäre es ethisch unzulässig, Kinder auf die Familien umzuverteilen, Kinder mit genetischen Nachteilen in Familien zu verpflanzen mit sozioökonomischen Vorteilen und umgekehrt. Es wäre unzulässig, Heranwachsende mehrfach aus den Familienbezügen herauszunehmen und sie mit ungünstigeren beziehungsweise günstigeren Lebensbedingungen zu konfrontieren, um eine Gleichheit der Startbedingungen herzustellen. Diese und andere hyperegalitaristischen Maßnahmen wären deswegen unzulässig, weil sie die wünschenswerten Strukturen einer humanen Gesellschaft, der Zusammengehörigkeit, der Verantwortlichkeit der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung zerstören würden. Eine humane Gesellschaft ist von der Balance zwischen Gleichheit und Differenz geprägt. Differenzen ergeben sich aus dem individuellen und kollektiven Recht auf Selbstbestimmung, sie vollkommen zu eliminieren, hieße inhumane individuelle und kollektive Verantwortlichkeit zerstörende Maßnahmen zu ergreifen.

Interesse an Grenzen

Der Egalitarismus im Sinne des Gebots der Gleichbehandlung und der Gleichverteilung – außer es gibt Gründe für eine Ungleichverteilung – muss mit den Differenzen der individuell und kollektiv gestalteten Lebensformen und ihren Zufälligkeiten vereinbar sein, sonst schlägt der Egalitarismus in eine inhumane Praxis um. Wenn wir aber die Auflösung von Familienstrukturen, das Auseinanderreißen von Freundschaften und Nachbarschaften im Dienste gleicher Chancen ablehnen, dann akzeptieren wir die ethische Relevanz von Strukturen, von Zugehörigkeiten und Abgrenzungen. 

Die Wahrung von Strukturen der lebensweltlichen und der politischen Praxis erfordert Beschränkungen der Mobilität und der individuellen Freiheit. Individuelle und kollektive Autonomie ist mit einem grenzenlosen Markt der Güter, Dienstleistungen und Arbeitskräfte unvereinbar. Wir haben ein Interesse daran, dass es Grenzen gibt, die eine verantwortliche moralische und politische Praxis ermöglichen. Die Autonomie von Individuen und Kollektiven setzt Strukturen voraus, die Sicherheit geben und Verantwortlichkeiten definieren. Eine globale Marktgesellschaft, eine hypermobile Welt ohne Bindungen, Institutionen und Grenzen, ist keine vernünftige Leitidee der Ethik und der Politik. 

 

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