Martin Schulz und Agenda 2010 - Kritiker ohne Antworten

Mit der Agenda 2010 fügte sich die SPD selbst eine tiefe Wunde zu. Martin Schulz will jetzt als Agenda-Kritiker in den Bundestagswahlkampf durchstarten und als Verfechter der sozialen Gerechtigkeit den Sieg holen. Klare Konzepte hat der erhoffte Heilsbringer aber offenbar nicht

Martin Schulz sieht sich gerne als Retter der sozialen Gerechtigkeit, ohne dabei Konkretes zu liefern / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich jetzt leicht, was alle schreiben und senden: Martin Schulz rüttelt an der Agenda 2010. Aber tut er das wirklich so heftig, dass es zu einer Meldung taugt? Geschweige denn zur Überschrift? Tatsächlich inszeniert sich der SPD-Rechte sehr geschickt als Mann der sozialen Gerechtigkeit – jedoch ohne sich konkret festzulegen.

Alles begann am Montag mit einem Interview, das vor allem die erreichen sollte, die sich für die Arbeiterklasse halten. Schulz wählte dazu die Bild als Vorboten. „Schulz will die Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I (ALG I) wieder verlängern“, schrieb die Zeitung und erläuterte, dass seit der Agenda 2010 Arbeitslose maximal zwölf Monate lang Arbeitslosengeld erhalten, danach Hartz IV. Nur wer älter als 50 Jahre ist, kann maximal 24 Monate ALG I erhalten. Dann wird Schulz zitiert: „Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Mann gesprochen. Mit 14 Jahren in den Betrieb eingestiegen und jetzt mit 50 immer noch da. Der Mann hat Angst. Wenn er seinen Job verliert, bekommt er 15 Monate Arbeitslosengeld. Und dann geht es an seine Existenz. Das darf so nicht sein.“

Konkret wird Schulz nicht

Das alles erschien pünktlich zur passenden Rede am Montag. Mittags wurde er von den Arbeitnehmervertretern der SPD in Bielefeld erwartet. Und enttäuschte die 750 Genossen nicht. Was erstaunlich ist, denn Schulz wurde um kein Wort und keine Zahl konkreter. Er sagte, was er auch der Bild schon mitgeteilt hatte, erzählte die Geschichte von jenem 50-Jährigen., Mehr aber nicht.

Doch das reichte, um das Ziel zu erreichen: als Agenda-Kritiker zu gelten. Als der Mann, der die tiefe Wunde der SPD nähen will. Den Riss zu heilen, den ihr der einstige Vorsitzende und Bundeskanzler Gerhard Schröder vor 14 Jahren zugefügt hat – was diesen sein Amt kostete. Die meist zitierten Sätze aus Schulz' Rede waren noch allgemeiner als die Erzählung über den 50-Jährigen: „Auch wir haben Fehler gemacht! Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden.“

Der Agenda-Angreifer

Welche aber, das ließ Schulz offen. Was insofern geschickt war, weil ihn so viel Lob freuen, aber kein Tadel wirklich treffen kann. Was die einen sich erhoffen, finden andere bedrohlich. Linke und einige Grüne stimmen verwirrt zu. Liberale und Arbeitgeber kontern mit Warnungen vor dem Reformen-Rückdreher Schulz, dem Agenda-Angreifer.

Die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes hatte einst bei der SPD zu Aufruhr geführt. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld war grundsätzlich auf zwölf Monate gekürzt worden; Arbeitslose über 55 Jahre hatten nur noch höchstens 18 Monate Anspruch auf die staatliche Hilfe. Zuvor hatte die Höchstbezugsdauer bei Arbeitslosigkeit bei 32 Monaten gelegen.

Angela Merkel war die erste 

Doch Vorsicht! Schulz ist nicht der erste, der Schröders tief verachtete und hochgelobte Arbeitsmarktreform angeht; das zumindest schwammig ankündigt, tun zu wollen. Nein, die erste, die da wirklich etwas veränderte war Angela Merkel. Unter ihrer Regierung wurde zurückgedreht, was die SPD einst hatte abstürzen lassen.

2008 erhöhte die damalige Bundesregierung die Bezugsdauer für Arbeitslose im Alter zwischen 50 und 54 Jahren wieder auf 15 Monate. Für Arbeitslose ab 58 Jahren wurde der Anspruch auf die Höchstzahldauer von 24 Monaten hochgesetzt – auch auf Druck des CDU-Mannes und damaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers.

Unglücksrabe Beck und Glückspilz Schulz

Ein SPD-Grande versuchte damals, sich mit dieser Re-Reform zu schmücken: Es sei nie Ziel der Reformpolitik der vergangenen Jahre gewesen, „soziale Unsicherheiten zu schaffen“, sagte der damalige SPD-Chef Kurt Beck. Bei großen Reformen müsse immer geprüft werden, ob Auswirkungen „über das Gewünschte hinausgehen“, und es müssten gegebenenfalls entsprechende Änderungen vorgenommen werden. 

Im Grunde sagte Beck damit schon dasselbe, wie Schulz nun mit seinen „Fehler-eingestehen“-Sätzen. Beck handelte – und endete als Unglücksrabe. Schulz redete – und scheint allein damit ein Glückspilz zu sein. Er versteht das politische Handwerk – jedenfalls den Teil der vagen Ankündigung. Willkommen im Wahlkampf!

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