Martin Schulz - Dürre oder Regen

Schweigend regiert Angela Merkel das Land. Doch mit Martin Schulz kehren die Worte in die Politik zurück

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler/ Jutta Fricke Illustrators
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Die Frankfurter Allgemeine Zeitung überschrieb ihre Analyse zum SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz mit dem Begriff „Der Regenmacher“. Das war natürlich spöttisch gemeint. Denn wer behauptet, Regen machen zu können, der macht selbstverständlich keinen Regen, sondern gaukelt dem Publikum etwas vor. 

Martin Schulz – der Gaukler! 
Das Sprachbild soll Schulz ins Unseriöse, ins Lachhafte ziehen, und es insinuiert, er sei dem sicheren Untergang geweiht, wenn seine Wähler erst verstanden haben, wem sie da so begeistert folgen. Es ist die Hoffnung der CDU, die Hoffnung von Angela Merkel. Doch was, wenn die Bürgerinnen und Bürger genau auf so jemanden gewartet haben: auf einen Regenmacher? Und was, wenn Martin Schulz genau dieser ersehnte Magier wäre? 

Martin Schulz – der Wortregenmacher! 
Ja, es gibt eine Sehnsucht nach dem verbalen Wolkenbruch! Denn es herrscht Dürre im Land, Wortdürre, seit geschlagenen zwölf Jahren. 

Angela Merkel – die Dürremacherin!
Ist dieses Wortbild noch beweispflichtig? Oder genügt zur Erinnerung das ultimative Wahlkampfargument der Bundeskanzlerin vor vier Jahren: „Sie kennen mich“? Falls nicht, könnte ihre aktuelle Parole nach dem Friedensgipfel mit der CSU Anfang Februar als Beleg dienen: „Gemeinsamkeit ist schon ein hohes Gut in der Wahrnehmung der Menschen.“ 

Sprachlosigkeit in elf Wörtern – die Landschaft bleibt trocken! Ihre dürren Darbietungen begleitet Angela Merkel noch immer mit zauberhaftem Lächeln, das nur neuerdings recht müde wirkt. 

Müde ist auch ein wachsender Teil des Wahlvolks, denn wen es dürstet, dem mangelt es an Energie. Der Bürgerschaft mangelt es an der Labsal jeder Demokratie: an Rede und Widerrede, an Debatte, an Streit. 

Nicht, dass es an Gerede fehlte: Geplapper und Geschwätz beschallen das Land ohn’ Unterlass. Zuverlässig funktionieren die Häckselmaschinen von Funk- und Fernsehtalks. Sie zerfieseln – von alerten Quizmastern animiert – alles Politische zu Häppchen. 
Doch die Regierungschefin sagt nichts – selbst wenn sie redet. Das ist ihr Geheimnis. Eine hochwirksame Zauberformel der Macht, die sich zum Mythos verdichtet hat.

Angela Merkel – die Geheimnisvolle! 
Jeder ihrer Auftritte manifestiert das Mysterium: In subtil geschneiderten Hosenanzügen, die sie mit wippender Eleganz in unterschiedlichsten Farben vorzuführen pflegt – ein Outfit der Kargheit, der Verlässlichkeit, vor allem der strengen Selbstdisziplin, das an die Uniformröcke Friedrichs des Großen gemahnt. 

Ein Machthaber von solchem Format braucht nicht zu reden, darf nicht beredt sein! Jedes Räsonieren, jedes Argumentieren wäre der Aura der Schweigenden – weil Wissenden – abträglich. Der Umkehrschluss: Martin Schulz ist nicht ernst zu nehmen, geht ihm doch der Mund über, wenn das Herz voll ist! 

Eine Sprache für draußen und eine für zu Hause

Angela Merkel aber führt – nach Meinung der ihr ergebenen Medien – Europa und die Welt: Letztere als Erbprinzessin von Obamas Präsidentschaft. 

Wo hat sie die Kultur des Schweigens erlernt, die ihr als Bundeskanzlerin so lange zuträglich war? Um diesen Hintergrund auszuleuchten, wäre zu benennen, was im Fall eines bayerischen Kanzlers kein Tabu darstellte: dass er ein Bayer ist. Im Fall der Kanzlerin aber klingt es heikel: dass sie der DDR entstammt. 

Lothar de Maizière, kurzzeitiger Ministerpräsident jenes verwunschenen und verschwundenen Landes, formulierte es so: „Wir haben zwei Sprachen gelernt, eine für zu Hause und eine für draußen.“ 

Die Sprache für draußen war die Sprache der Vorsicht, die Sprache der Angst – für das Volk. 
Für DDR-Funktionsträger hingegen war die reduzierte Redeweise die Sprache ihrer Macht – Verschweigen durch Formulieren, Schweigen als Suggestion von Herrschaftswissen, das keinerlei Alternative duldet, also auch keine Debatte. 

Wortlosigkeit bietet keine Angriffsfläche

Die DDR war eine Wüste der totalen – der totalitären – Wortdürre. 

Wer diese Kultur einmal verinnerlicht hat, wird sie in der Demokratie so schnell nicht los, zumal sie auch unter freiheitlichen Verhältnissen gute Dienste leisten kann: Wortlosigkeit bietet keine Angriffsfläche, Redseligkeit dagegen provoziert kritische Fragen und damit Widerrede – den Treibstoff der Demokratie. 

Nach diesem Gesetz trieb Angela Merkel auch den anderen Parteien die Sprache aus. Wer in Berlin eine Pressekonferenz hält, der redet den Journalisten roboterhaft in Mikrofon und Kamera: wortarme Sätze, in Zeitlupe vorgetragen, ohne eine Miene zu verziehen. Meister in dieser Disziplin ist Thomas de Maizière, Cousin des Ex-DDR-Chefs. Er redet nicht – er diktiert.

Da aber Sprache Kultur bestimmt, überzog der merkelsche Neusprech Berlin wie Schimmel. Die vier Bundestagsparteien sahen sich immer ähnlicher, mutierten zu Blockparteien, jede zwar ein bisschen verschieden, doch gerade nur um das zuträgliche Maß. Die Linke zuständig für allerlei Narretei. 

Der Monsun Schulz

Die Berliner Demokratie als geglückte DDR. 

Die sprachliche Dürre weckte die Sehnsucht nach einem Regenmacher. Der Himmel schickte Martin Schulz: Er redet freimütig – sogar über sein Scheitern und den Absturz in den Alkohol. Besonders gern spricht er über seine Herkunft aus Würselen, ein Städtchen so provinziell wie Merkels DDR, in seinem Fall jedoch erzählt und geschildert. 

Auch das Geheimnis seiner Bildung gibt Schulz preis: Er hat nie studiert, nicht einmal Abitur gemacht, ist Autodidakt – ein Unerlöster, der ständig weiter nach Bildung giert, sie aufnimmt, aufsaugt! Wie es einst die Arbeiterbewegung förderte, die in ihren Ursprüngen ja auch eine Bildungsbewegung war. 

Martin Schulz, der linke Bildungsbürger, erster Genosse einer Partei der Studierten, nicht der Gebildeten. 
Seine Person, seine Geschichte, sein Erklären und Reden ist wie ein Monsun nach zwölf mageren Jahren unter der Pastorentochter. Regen für Bürgerinnen und Bürger, die plötzlich das Gefühl haben: Es gibt uns noch, wir kommen wieder vor, er ist wir. 

Regenmacher Schulz. 

 

Dieser Text stammt aus der Märzausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

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