Mariana Harder-Kühnel - Die Vorzeigepopulistin

Die AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel wollte endlich Bundestagsvizepräsidentin werden, doch auch im dritten Anlauf hat es nicht geklappt. Wer ist die familienpolitische Sprecherin der Partei? Lesen Sie noch einmal unser Porträt

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„Ich bin es gewohnt, dass es hoch hergeht. Ich lass das nicht an mich herankommen“, sagt Mariana Harder-Kühnel / picture Alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Sie ist jetzt ganz oben. Unter ihr der Reichstag, über ihr nur noch der Himmel. Es ist schon dunkel, als die familienpolitische Sprecherin der AfD, Mariana Harder-Kühnel, auf Stilettos durch die gläserne Kuppel nach oben stöckelt. Sie liebt diesen Platz. Den Blick auf die nächtlich erleuchtete Stadt. Sie sagt: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich hier mal landen würde.“ 

Hier, das ist ihr neuer Arbeitsplatz. Harder-Kühnel, 44 Jahre, Rechtsanwältin, verheiratet, drei Kinder, sitzt seit September für die AfD im Bundestag. Hochgewachsen, das Gesicht klassisch geschnitten. Eine Frau, die leise spricht und „man“ sagt, wenn sie „ich“ meint. Für ihre Vorsicht gibt es gute Gründe. Ihre Partei hat sie als Bundestagsvizepräsidentin nominiert. Es ist ein Amt, das jeder Fraktion zusteht, so steht es in der Geschäftsordnung des Bundestags. 

Um Sachlichkeit bemüht

Doch die AfD ist eben nicht eine Partei wie alle anderen. Das zeigt die Causa Harder-Kühnel. Bei der Wahl im Bundestag fiel sie durch. 241 von 659 Stimmen erhielt die AfD-Politikerin im zweiten Wahlgang – und das, obwohl die AfD-Fraktion nur 92 Mitglieder hat. Sie sagt, insbesondere auch Kollegen aus der FDP und der Union hätten sie gewählt: „Das Unverständnis darüber, dass ich nicht die Mehrheit bekommen habe, hat viel Solidarität für mich geweckt.“ 

Wenn Harder-Kühnel die Niederlage schmerzt, lässt sie es sich nicht anmerken. Sie hat als Anwältin und für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young gearbeitet, bevor sie in die Politik wechselte. Sie sagt: „Ich war oft vor Gericht. Ich bin es gewohnt, dass es hoch hergeht. Ich lass das nicht an mich herankommen.“ Beherrscht, ausgleichend, um Sachlichkeit bemüht, das sind so Attribute, die man ihr zuordnet. 

Damit fällt sie in der AfD positiv auf. Über ihre Fraktionskollegen mehren sich Beschwerden. Thomas Oppermann, Bundestagsvizepräsident der SPD, klagt, das Klima sei deutlich rauer geworden. Immer häufiger fielen AfD-Abgeordnete durch Zwischenrufe oder Hohngelächter auf. Regelrecht „angewidert“ habe der Umgang der AfD mit der Schweigeminute für die 14-jährige Susanna, die im Juni 2018 in Wiesbaden von einem jungen Iraker getötet worden war. Auf Kommando des Redners seien die AfD-Abgeordneten ohne Absprache plötzlich aufgesprungen und hätten alle anderen wie schlechte Demokraten aussehen lassen. Oppermann sagt: „Damit hat sich die Partei selbst disqualifiziert.“ 

Sie will keine Opferrolle

Über Harder-Kühnel sagt Oppermann, was man auch bei den Grünen, bei den Linken, in der FDP oder in der CDU/CSU über sie sagt. Dass sie zu den am wenigsten auffälligen AfD-Abgeordneten gehöre. Dass sie möglicherweise gewählt worden wäre, wenn einzelne Abgeordnete nicht damit begonnen hätten, aus der Rolle zu fallen. Als ersten Kandidaten hatte die Fraktion aber Albrecht Glaser nominiert. Der fiel durch, weil er die Religionsfreiheit für Moslems infrage stellte. Harder-Kühnel lächelt nachsichtig. Sie sagt, diese Forderung verstoße gegen das Grundgesetz. Der Satz klingt wie auswendig gelernt. Vermasseln die vielen Ausreißer am rechten Rand der AfD ihr die Karriere? „Was meinen Sie“, entgegnet sie mit gespielter Naivität.

Wie eine, die sich in ihrer Opferrolle gefällt, klingt die AfD-Frau nicht. Eher wie eine, die genau weiß, was sie will. Und so tritt sie auch im Parlament auf. Das zeigen Videos ihrer Reden im Parlament, die auf dem Youtube-Kanal der AfD hochgeladen wurden. Wenn sie dort eine „Willkommenskultur für Kinder“ fordert oder das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche verteidigt, erlebt man eine andere Frau als die, die jetzt durch die Kuppel zurück nach unten läuft und gar nicht merkt, wie der Boden im Wind leicht unter ihren Füßen schwingt, weil ihr in ihren Stilettos die Bodenhaftung fehlt. 

„Es liegt an den anderen Parteien“

Harder-Kühnel sagt, im Parlament spüre sie, wie das Adrenalin mit jedem Zwischenruf aus anderen Fraktionen durch ihre Adern rausche. Man sieht, wie sie angefeuert von ihren Fraktionskollegen über sich hinauswächst. Schlagfertig, aber besonnen. Die Videos sind eine Kampfansage: Wenn ihr mich nicht wählt, seid ihr keine Demokraten.

Für die AfD ist der Fall klar. Es liegt nicht an ihrer Vorzeigefrau, dass die Fraktion noch keinen Zutritt zum Präsidium hat. Es liegt an den anderen Parteien. Die wollen, so wird in der Fraktion kolportiert, ein Exempel statuieren. Dabei ist das letzte Wort noch nicht gefallen. Einen Wahlgang hat Harder-Kühnel noch. Beim dritten Mal braucht sie nicht mehr die Mehrheit von 355 Stimmen. Es reicht, wenn sie mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält. Falls nicht, liegt der Schwarze Peter bei den Altparteien. Dann, so heißt es im Geschäftsordnungsausschuss, müsse man sich ein anderes Verfahren zur Besetzung des Präsidiums überlegen. Der AfD auf Dauer den Posten vorzuenthalten, sei verfassungswidrig.

Dies ist ein Artikel aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.









 

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