Die Linke in der Krise - Redet wieder über Geld, nicht nur über Gender!

Noch immer sind die Demokraten in den USA tief verletzt über den Wahlsieg von Donald Trump, bei den kommenden Midterms haben sie den Präsidenten als Feindbild ausgemacht. Dabei geht die Krise der Linke im Westen viel tiefer. Unser Autor hätte einen Lesetipp für sie

Plakate von Trump-Unterstützern: Die Linke hat sich von den Bedürfnissen der Menschen entrückt / picture alliance
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Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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„Die Linken in den Hochschulen haben es zugelassen, dass Kulturpolitik an die Stelle der eigentlichen Politik trat, und haben der Rechten in die Hände gespielt, indem sie kulturelle Fragen in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stellten. Statt neue Gesetze vorzuschlagen, vergeuden sie ihre Kräfte auf Fragen, die von den Bedürfnissen des Landes so weit entfernt sind wie Adams Gedankenspiele über die Jungfrau und den Dynamo.“

Dieses Zitat, so aktuell es erscheint, ist bereits vor gut 20 Jahren formuliert worden. Es steht in einem Buch des US-amerikanischen Philosophen Richard Rorty, das im Deutschen „Stolz auf unser Land“ heißt und seinerzeit bei Suhrkamp erschienen ist. Rorty erklärt darin, dass er bereits zu seiner Zeit die politische US-Linke als von den Sorgen und Nöten der Mehrheit der Wähler entrückt empfand. Die politischen Linken hätten keine Hoffnung mehr und würden sich in der Rolle des Beobachters und Zuschauers zufrieden einrichten und nichts mehr wollen. Ihnen fehlten die Vision und der Drang zum Handeln. Wehmütig klagt er, wo denn die „reformistische Linke“ geblieben sei, die wirklichen „politischen Wandel“ wolle? 

Nur noch kultureller statt politischer Wandel

Natürlich hatte hier Rorty bei der „Linken“ vor allem die linken Intellektuellen im Blick. Männer wie der Philosoph John Dewey seien immer auch eine Art Aktivisten gewesen, die Vorschläge für Reformen unterbreiteten, mit denen ihre Hoffnung auf ein neues Amerika, ja eine Common-Sense-Vision des „American Dream“ wahr werden konnte. Egal ob die Marxisten, die gemäß der 11. Feuerbachthese von Marx das Handeln und Tun in den Vordergrund stellen oder eben die Pragmatiker wie John Dewey, in deren Tradition sich Richard Rorty auch einsortiert, die hätten sich nie mit Zuschauen begnügt, sondern für sie hatte die „Perspektive des Handelnden“ stets „Vorrang“. Rorty ging einmal sogar soweit, den Vorrang der Demokratie vor der Philosophie zu proklamieren. 

Rortys Botschaft an die Linke war: Ihr müsst euch als Handelnde begreifen! Und es ist genau das, was ihm bei der „neuen Linken“ fehlt. Anstatt auf „politischen Wandel“ hinzuwirken, wolle sie vor allem nur noch „kulturellen Wandel“ bewirken. Also polemisch gesagt: Die linken Intellektuellen schreiben schöne Essays darüber, welche Sexualmoral korrekt und welche Haltung zu religiösen und ethnischen Fragen im Besonderen und zum Zusammenleben im Generellen richtig ist, machen aber kaum noch Vorschläge, wie man den Kapitalismus sozial eindämmen könne. Von Wirtschaft reden sie auch kaum. 

Mehr Erzieher als Reformer

Sie haben auch keine Hoffnung mehr. Die „konkrete Utopie“ (Ernst Bloch) ist ihnen gewissermaßen abhanden gekommen. Stattdessen spezialisierten sich die Vertreter der neuen Linken, so Rorty, auf eine „Politik der Differenz oder der Identität oder der Anerkennung. Diese kulturelle Linke beschäftigt sich mehr mit dem Stigma als mit dem Geld.“ Oder wie Rorty es versinnbildlicht: Die Linke habe sich von Marx abgewandt und Freud zugewandt. So konnte es passieren, dass die linken Intellektuellen so etwas wie Psychologen und Pädagogen der Gesellschaft wurden und den Materialismus vergaßen. So sei der „Hauptfeind“ der neuen kulturellen Linken heute ein „geistiges und kein Wirtschaftssystem.“ 

Kurz: Sie wollten mehr Erzieher als Reformer sein. „Sie spricht eben nicht gern vom Geld.“ Dieses harte Urteil über die kulturelle Linke hat Rorty wohlbemerkt bereits vor 20 Jahren geschrieben und darin sah er bereits damals das zentrale Problem der Linken. Rorty war nicht nur der Mark Lilla seiner Zeit. Nein, er hatte damals schon alles gesagt, was den US-amerikanischen Kritiker der Identitätspolitik heute so berühmt macht. Lillas Thesen sind wirklich nichts Neues. Nur heute wirken sie einfach nur sehr viel plausibler. 

Linke Politik für die Bourgeoisie 

Aber Rorty, so scheint es mir, war doch noch etwas versöhnlicher als Lilla und gewiss linker als Lilla. Es ist nicht so, als würde Rorty die Initiativen der neuen Linken nicht loben und anerkennen. Er lobt durchaus. Aber dadurch, dass die Linken ihren Widerstand gegen soziale Ungleichheit und Unsicherheit schleifen ließen, ermöglichten sie einer „kosmopolitischen Oberschicht“ den Aufstieg. Und bereits damals analysiert Rorty treffend, wie ein „wirtschaftlicher Kosmopolitismus“ eine Hochzeit mit einem „kulturellen Kosmopolitismus“ eingeht und der nur auf das „reichste Viertel der Amerikaner beschränkt“ sei. In gewisser Weise wirft Rorty den linken Intellektuellen – also seinesgleichen – vor, mit ihrer Art „links“ zu sein, doch nur der Bourgeoisie zu dienen. 

Doch irgendwann hätten die Abgehängten und die frustrierte Mitte genug von all der ökonomischen Unsicherheit, der Erosion des „Amerikanischen Traums“ und der Einseitigkeit der Linken mit ihren Kulturthemen und dann würde es einen „Bruch“ geben. „Die ärmeren Wähler würden zu dem Schluss kommen, dass das System versagt habe, und einen starken Mann wählen wollen, der ihnen verspricht, dass unter ihm die feinen Bürokraten, raffinierten Anwälte, überbezahlten Anlageberater und postmodernistischen Professoren nicht mehr das Sagen haben werden.“

Die personifizierte Anti-These kam an die Macht

Genau so ist es wirklich gekommen. Der „starke Mann“ kam. Es war Donald Trump. Rorty hat vor 20 Jahren Donald Trump vorhergesagt. Und die Linke wurde ins Abseits gedrängt. Auch das ist passiert. Noch schlimmer: Ihre jahrzehntelangen Bestrebungen für eine andere Kultur würden torpediert und erlebten eine Anti-These. Auch das hatte Rorty schon damals gewusst: „Eines dürfte sehr wahrscheinlich geschehen: Die Fortschritte der schwarzen und braunen Amerikaner und der Homosexuellen in den vergangenen 40 Jahren würden weggefegt. Man würde wieder witzelnd verächtlich über Frauen reden.“ Das passiert in Trump-Amerika gerade.

Alles für die Katz also? Es scheint so. Aber was tun? Was muss die Linke ändern? „Sie würde wesentlich mehr über Geld reden müssen und weniger über Stigmata.“ Sie muss wieder etwas „verändern“ wollen – im Sinne von „politischen Wandel“ erzeugen. Sie solle nicht nur herumphilosophieren, nicht überall im Sinne des Philosophen Michel Foucault versteckte „Macht“ wittern, weil man dieser versteckten Macht sowieso nichts entgegensetzen könne. Also weniger Theorie, mehr Praxis. Die Linke solle sich, so spezifiziert Rorty, „wieder den schrittweisen Reformen im Rahmen der Marktwirtschaft widmen“. Das klingt seltsam vertraut. Willy Brandt sagte einst: „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.“ 

Genug der intellektuellen Schönrednerei

Darin liegt der Königsweg zur Rückkehr der Linke. Jedem Linken ist das Buch von Richard Rorty daher nochmal empfohlen. Der Suhrkamp-Verlag sollte eine Neuauflage herausbringen. Denn Rortys Buch beschreibt klar und konstruktiv wie kein anderes die Gründe der Malaise der politischen Linken. Man darf fast sagen: Rorty erklärt in „Stolz auf unser Land“ der Sozialdemokratie ihre Aufgabe und ihren Sinn. Ihre Aufgabe liegt in der Reform, nicht in der Revolution. Sie liegt darin ein Handelnder zu sein und kein Zuschauer. Sie liegt darin, Hoffnung zu haben und mit dieser in die Praxis zu gehen. Und dann in der Praxis die Dinge zum Besseren zu wenden. Das Bessere ist nicht der Feind des Guten. Aber man muss ihn wollen den „politischen Wandel“. 

Jetzt ist wieder Zeit dahin zu gehen „wo es brodelt, riecht und stinkt“ (Sigmar Gabriel). Intellektuelle Schönrednerei hatten wir genug und zu viel. Wir müssen jetzt mal anpacken. Es dürfte dreckig werden. Aber es muss so sein. Nur so kann es gelingen. Und so ist der innere Kern von Richard Rortys Botschaft sehr einfach. Im Ruhrpott kennt man es genau: Glück auf! 

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