Linke Gewalt - War doch nur ein Nazi

Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Linksextremisten stellen das im Kampf für das vermeintlich Gute immer öfter in Frage. Gerade in einem Jahr wie diesem ist das eine bedenkliche Entwicklung.

Ein Aufkleber mit der Aufschrift "Antifa Area", aufgenommen im Februar 2020 in Göttingen / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Im Dezember verschickte die Staatsanwaltschaft Stuttgart eine kaum beachtete Pressemitteilung, die aber all jene, die das Gewaltmonopol des Staates als eine grundlegende Bedingung unserer Demokratie erachten, mit Genugtuung lasen: Gegen zwei Männer, zur Tatzeit 20 und 24 Jahre alt, wurde wegen versuchten Totschlags bzw. wegen gefährlicher Körperverletzung Anklage erhoben.

Die beiden hatten vor dem Beginn einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Cannstatter Wasen in einer Meute von 20 bis 40 vermummten Antifa-Mitgliedern drei Mitglieder der rechtsgerichteten Gewerkschaft Zentrum Automobil mit Reizgas und Schlagwerkzeugen attackiert. Einer der Gewerkschafter, den die Angreifer noch gegen den Kopf traten, als er bereits bewusstlos am Boden lag, wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert und lag wochenlang im Koma.

Der Staat hat geliefert

Es hat nach der brutalen Attacke über ein halbes Jahr gedauert, aber der Staat hat geliefert und bewiesen: Wer sich in Deutschland selbst zum Richter und Henker aufschwingt, den wird der Rechtsstaat bestrafen. Das Signal, das hoffentlich auch der im April beginnende Prozess aussenden wird, ist gerade im aufgeheizten politischen Klima des Superwahljahres von großer Bedeutung.

Denn was Teile der Antifa und andere Linksextremisten derzeit im Kampf für das vermeintlich Gute tun, lässt den üblen Geruch Weimarer Verhältnisse aufkommen. Natürlich ist auch die Zahl der Straftaten aus dem rechtsextremen Spektrum besorgniserregend: Von den gut 44.000 Straftaten im letzten Jahr kamen rund 23.400 von rechts, nur 11.000 waren linksextrem motiviert. Aber politische Gewalttaten kommen vor allem von links. Es ist an der Zeit, dass Politik, Medien und Gesellschaft das Treiben der gewalttätigen Linksextremisten in der gleichen Schärfe verurteilen wie sie es im Falle sonstiger politischer Gewalttäter tun.

Es geht hier nicht darum, Taten der einen gegen jene der anderen Seite aufzuwiegen: Der Mord eines Rechtsextremisten an Walter Lübcke im Juni 2019 hat dieses Land zu Recht aufgerüttelt, dasselbe gilt für den Massenmord von Hanau. Aber wenn der bundesweite Aufschrei nach den bis heute ungeklärten nächtlichen Schüssen auf das Büro des SPD-Abgeordneten Karamba Diaby im Januar 2020 in Halle der Maßstab sein soll, darf man fragen, warum das Echo in vergleichbaren Fällen linker Gewalt sehr klein bleibt.

Brutale Attacke in Sachsen - wo bleibt der Aufschrei?

Schon fast zwei Wochen ist ein Fall politisch motivierter Gewalt her, der durch seine kalte und berechnende Brutalität beeindruckt: In den frühen Morgenstunden des 11. März klingelten als Polizisten verkleidete Personen beim Chef der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ Paul Rzehaczek in Eilenburg nördöstlich von Leipzig. Als der 30-Jährige die Tür öffnete, warfen ihn die Vermummten zu Boden, besprühten ihn mit Reizgas, schlugen mit Hämmern seine Fußgelenke blutig, durchsuchten die Wohnung nach Datenträgern und flüchteten dann. Nochmal fürs Protokoll: Das war keine Straßenschlacht zwischen Linken und Rechten, sondern ein kaltblütig geplanter Anschlag auf einen politischen Gegner.

Das einzig Beruhigende an der Causa ist, dass die sächsische „Soko LinX", die sich um die Leipziger Linksextremisten-Szene kümmert, die Ermittlungen übernommen hat. Beunruhigend ist das ohrenbetäubende Schweigen von Medien und Politikern. Im Tagesspiegel, dem MDR und der BILD und natürlich den rechten Publikationen wurde der Fall zwar unter ferner liefen vermeldet, AfD-Politiker brachten ihn sogar auf die politische Bühne, etwa im Landtag von Sachsen-Anhalt. Aber wo blieb der Aufschrei der Mitte, wo der Twitter-Hashtag #keinepolitischegewalt? Die einzige Antwort auf die Frage, warum die politische Mitte in Fällen wie diesen schweigt, lautet: Es war doch nur ein Nazi. Wer will sich schon für den Vorsitzenden der Jugend-Organisation einer rechtsradikalen Partei stark machen?

Es geht aber nicht um die Frage, wer hier in seiner Wohnung überfallen wurde und wem die Fußgelenke zertrümmert werden sollten. Es geht darum, dass unsere liberale Gesellschaft Angriffe wie diesen nicht schweigend hinnehmen darf. Wir dürfen streiten, gegeneinander demonstrieren, wir dürfen uns sogar anschreien. Aber wir müssen auch einen Paul Rzehaczek und seine Thesen aushalten. Zumindest so lange, wie er sich in dem, was er sagt und tut, im Rahmen der Gesetze, die wir uns in diesem Land gegeben haben, bewegt.

Statistik spricht deutliche Sprache

Dass Extremisten dieses Prinzip nicht akzeptieren wollen, muss ihnen ganz besonders von den ihnen nahestehenden Politikern deutlich gemacht werden. Stattdessen twitterte Jürgen Kasek, grünes Mitglied des Leipziger Stadtrats: „Da sieh her, der NPDler der in Eilenburg Besuch bekam ist gesund. Nichts gebrochen, kein Krankenhaus.“ Eine Bemerkung, die an Zynismus kaum zu übertreffen ist. Niemand wünscht Herrn Kasek Vergleichbares, aber man darf sich ruhig einmal vorstellen, welche Solidaritätsbekundungsorgien veranstaltet würden, wäre der Grünen-Politiker auf diese Weise von Rechtsextremisten zu Hause „besucht“ worden.

Das ist aber wenig wahrscheinlich: Laut Polizeistatistik trafen knapp 700 der 1534 Angriffe auf Parteienvertreter im letzten Jahr die AfD, im überwiegenden Teil konnten die Angreifer dem linken Spektrum zugerechnet werden. Vertreter der Grünen wurden etwa 200 mal angegriffen, es folgen CDU (189) und SPD (169). Registriert werden in dieser Kategorie neben Körperverletzungen auch Beleidigungen oder die Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Schaut man auf die 52 Gewalttaten gegen Amts- und Mandatsträger im letzten Jahr, so registrierte das Bundeskriminalamt 37 Taten gegen Vertreter der AfD, gefolgt von Politikern der Union und der SPD mit jeweils vier Fällen.

Die Zahlen sind im Vergleich zum Vorjahr nicht nur um zehn Prozent gestiegen, sie sprechen auch eine klare Sprache: Angriffe auf Politiker im Allgemeinen, aber im Besonderen auf Vertreter der AfD sind ein inzwischen verbreitetes Phänomen. Und es kann keine Rede mehr davon sein, dass sich die Angriffe, besonders jene gegen Vertreter rechter Parteien, „nur“ auf Gewalt gegen Sachen beschränken, wie es gerne beschönigend heißt.

Anfang einer Kampagne politischer Gewalt?

Die Vorkommnisse der letzten Wochen und die Signale aus dem linksextremen Milieu lassen Schlimmes erahnen für den diesjährigen Wahlkampf: Nachdem ein Antifa-Mob kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg einen AfD-Wahlkampfstand im Städtchen Schorndorf zerstört hatte - einer der drei Wahlkämpfer musste danach im Krankenhaus behandelt werden - meldeten sich die Angreifer auf der Szene-Seite „indymedia“ zu Wort. Die Aktion, so war dort zu lesen, ist Teil einer Kampagne, die den Wahlen in diesem Jahr gewidmet ist.

„Weil es nicht hinnehmbar ist, dass die AfD ihre Lügen und Hetze verbreitet, ging die Kampagne Antifascist Action - Gegen rechte Krisenlösungen an den Start“, steht dort. Es sei „erschreckend“, heißt es weiter von den anonymen Autoren, „wie sehr sich das nihilistische Mantra von der „freien Meinungsäußerung“ in den öffentlichen Diskurs eingebrannt hat.“

Der demokratische Nihilismus, der aus diesen Zeilen spricht, ist bemerkenswert. Unsere Gesellschaft muss diese aushalten, die lauthals auf dem Marktplatz nach der Abschaffung des Kapitalismus rufen. Sie muss es auch aushalten, wenn jene ein Deutschland mit weniger Migranten fordern.

Der diesjährige Bundestagswahlkampf sollte aber nicht von Schlägertrupps geprägt sein, die AfD-Wahlkampfstände niederrennen und Parteivertreter verprügeln. Gewaltbereite Antifa-Trupps treten inzwischen nicht mehr nur in Berlin, sondern auch in Leipzig und neuerdings im Großraum Stuttgart in Erscheinung. Der Rechtsstaat sollte die nötige Härte zeigen, gerade wenn es um politische Gewalt geht. Aber das reicht nicht: Die politische Mitte darf nicht schweigen. Selbst wenn es nur ein Nazi ist.

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