Kyffhäusertreffen des AfD-„Flügels“ - Im Osten geht die Sonne auf

Beim Kyffhäusertreffen ließ sich der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke vom rechten „Flügel“ der Partei feiern. Mitten im Chaos um missratene sächsische Wahllisten, Rücktritte in NRW und parteiinternen Richtungsstreit demonstrierte er seine Macht. Alexander Gauland wirkte dabei wie ein Zaungast

Laute Lichtgestalt: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

So erreichen Sie Jannik Wilk:

Anzeige

Für Björn Höcke sind die sogenannten Kyffhäusertreffen ohnehin immer ein Heimspiel. Nachdem der AfD-Rechtsaußen-Flügel im vergangenen Jahr auf ein Schloss im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt auswich, feierte er an diesem Wochenende die alljährliche Zusammenkunft wieder in Thüringen. In Leinefelde, mitten in Höckes Wahlkreis Eichsfeld. Es geht um viel in diesem Jahr für Höcke und seine Stellung in der AfD. Nicht nur in Sachsen und Brandenburg stehen Landtagswahlen an, sondern auch in Thüringen. Der „Flügel“, wie sich der Zusammenschluss von Rechtsaußen-Mitgliedern der Partei nennt, ist in Ostdeutschland am stärksten. Daran soll es keinen Zweifel geben. Höcke, Kopf und Zunge des „Flügels“, will die Kyffhäuser-Veranstaltung auch dieses Mal nutzen. Er selbst hob die neurechte Sammlungsbewegung vor rund vier Jahren aus der Taufe.

Höcke, Höcke, Höcke

Die Höcke-Show beginnt: Pathetische Musik vom Band, Fahnenzüge und beseeltes Schwenken von Deutschlandflaggen. Im Vorlauf der Veranstaltung war auf der Webseite des „Flügels“ zu lesen, dass das Mitbringen von Fahnen durchaus erwünscht sei, wenn sie denn nicht von anderen politischen Organisationen seien. Junge Männer in Anzügen marschieren in Reih' und Glied in den Saal ein. Sie tragen lange Stangen mit den Bannern der Bundesländer. Zwischen ihnen läuft immerhin eine Frau mit. Umgeben vom patriotischen Tross erscheint die Hauptperson: Björn Höcke, flankiert von seinen Vertrauten. Langsam bahnt er sich seinen Weg zur Bühne, schüttelt links und rechts Hände, lächelt, sonnt sich im Jubel. So schwer sein Stand in Teilen der Partei auch sein mag, beim „Flügel“ ist er der Star. 

Höcke gibt den Hauptredner, den Schlussredner, zwischendurch verleiht er eigens ersonnene Preise für besondere Leistungen wie das „silberne Flügelabzeichen“ oder die „Bismarckmedaille“ und hält Lobreden. In der Mittagspause signiert er seinen Jüngern das eigene Buch. Bevor er zu seiner Hauptrede antritt, läuft ein Imagefilm über den Thüringer Landesvorsitzenden. Er soll den Menschen Höcke zeigen: Höcke lacht, Höcke schüttelt Hände, Höcke füttert Schafe, Höcke joggt im Wald. Das Publikum johlt, skandiert seinen Namen: Höcke, Höcke, Höcke. Wieder schreitet er in den Saal, macht sich auf den Weg zur Bühne.

Der neue Hauptgegner ist grün

Angesichts der Wahlen im September in Brandenburg und Sachsen und Ende Oktober Thüringen lautet die Losung des diesjährigen Treffens „Der Osten steht auf“. Höcke und seine Getreuen wollen mobilisieren. Brandenburgs Landesvorsitzender Andreas Kalbitz ist ebenso gekommen wie Sachsens AfD-Chef Jörg Urban. Kalbitz spricht davon, die Sonne im Osten aufgehen zu lassen, „sodass sie am Ende über ganz Deutschland scheint“. Es klingt nach DDR. In der Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ findet sich jene Metapher: „Denn es muß uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint.“ Das Verbinden des Sozialen mit dem Nationalen beschworen neulich die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der sachsen-anhaltischen CDU in einem Theoriepapier. Hier in Leinefelde gibt es das praktische Anschauungsmaterial dazu.

Der Hauptgegner sind indes die Grünen und ihr Aufstieg. Die CDU und die SPD scheinen gar nicht mehr von besonderem Interesse zu sein. Mehrere Redner geben sich überzeugt, dass der Kampf um die politische Vorherrschaft in Deutschland künftig zwischen einem blauen und einem grünen Machtblock geführt werde. Tosenden Applaus gibt es, als darauf hingewiesen wird, dass vier von fünf „Flopbezirke“ der Grünen in Thüringen zu finden seien. Björn Höcke lässt gar verlauten, Thüringen sei das „Angstbundesland der Grünen“. Man wollte die „grünen Hypermoralisten“ in den Ostwahlen angreifen. Von den Thüringern forderte er, den „kryptokommunistischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow“ in den Ruhestand schicken.

Die Parole lautet: Direktmandate

Erbost zeigen sich die Redner darüber, dass nur noch 18 von 61 Kandidaten, die auf der Landesliste der AfD zur Landtagswahl in Sachsen standen, vom Wahlausschuss zugelassen werden. Nach dessen Ansicht hat die AfD einen formalen Fehler begangen, indem sie zwei Veranstaltungen zur Listenplatzvergabe statt nur einer abgehalten hatte. Die Partei kann somit voraussichtlich nicht alle Mandate besetzen, die sie in Sachsen gewinnen könnte. Die AfD besteht auf einem anderen Standpunkt. Das zweite Treffen sei nur eine „Fortsetzung“ des ersten gewesen.

Dessen ungeachtet zeigen sich die Wortführer in Leinefelde rebellisch und kündigen an, in Sachsen einfach mehr Direktmandate als je zuvor zu holen. Die neue EU-Abgeordnete der AfD, Christine Andersen, sagte in ihrer Rede, man werde die Sachsen nicht alleine lassen, man wisse, was sie der Partei wert seien. 

Der Riss in der AfD wird immer deutlicher

Herrscht innerhalb des völkischen „Flügels“ weitgehende Einigkeit, steht er mit weiten Teilen der Partei auf Kriegsfuß. Seit Monaten tobt in der AfD ein erbitterter Kampf um die politische Ausrichtung. Dabei verlaufen die Frontlinien des Stellungskrieges zwischen den Rechtsnationalen und den gemäßigteren Kräften der Partei. Der „Flügel“, Sammelstelle für alle, die die Partei noch weiter rechts sehen wollen, hat seit seiner Gründung 2015 stetig an Macht hinzugewonnen. Für einige in so hohem Maße, dass sie die Partei verlassen haben. Besonders Andreas Kalbitz preschte vor, spricht in seiner Eröffnungsrede vom „Flügel“ als „wesentliches Korrektiv der Partei“, als „Lordsiegelwahrer der Gründungsideale“ und plädierte gegen eine „Verwässerung“. Für seine Rede erhält Kalbitz viel Applaus.

Auch in Nordrhein-Westfalen entlud sich während des Treffens in Thüringen der Streit zwischen den verschiedenen Strömungen in der Partei. Ein Großteil des zwölfköpfigen Landesvorstandes trat dort zurück. Der NRW-Parteitag, der eigentlich auf zwei Tage angesetzt war, wurde bereits nach einem beendet. Co-Vorsitzender Helmut Seifen warf den Anhängern des „Flügels“ vor, den Landesverband unterwandert zu haben. 

Ein letzter Versuch von Alexander Gauland?

Der längst nicht mehr verdeckt geführte innerparteiliche Streit lässt sich auch daran ablesen, wer sich auf dem Kyffhäusertreffen sehen lässt – und wer nicht. So blieb etwa AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen der Veranstaltung fern. Dabei war er in den letzten zwei Jahren noch zugegen. Das Verhältnis zwischen ihm und den Rechtsaußen der Partei scheint unterkühlt, auch Meuthen fürchtet eine weitere rechtsextreme Unterwanderung seiner Partei. So wie Bernd Lucke einst gehen musste und nach ihm Frauke Petry, so soll es ihm nicht ergehen. Auch Alice Weidel hatte offenbar keinen Bedarf. Höcke greift den Parteivorstand in seiner Rede an. Er fordert eine Gleichbehandlung des „Flügels“ und von liberalen AfDlern. Seinem „Flügel“ verspricht er, dieser Bundesvorstand werde nicht wiedergewählt.

Immerhin der Bundesvorsitzende Alexander Gauland ist vor Ort. In seiner Rede ruft er den „Flügel“ zur Mäßigung auf. Er spricht vom Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Diese Tat werde instrumentalisiert, sagt Gauland. Die AfD aber habe damit nichts zu tun und Vorwürfe dieser Art seien eine „perfide Unterstellung“. Der Mord von Lübcke führte die Ermittler rasch in die rechtsextreme Szene. Gauland grenzt sich ab: „Keine Gewalt“, sei das Motto der friedlichen Revolution von 1989 gewesen, versucht er es ebenfalls mit DDR. Dies sei auch das Motto der AfD. Das Publikum applaudiert. Auch Gauland weiß, dass der Verfassungsschutz beim Kyffhäusertreffen genau hinsieht. Seit Frühjahr dieses Jahres stuft dieser den „Flügel“ als Verdachtsfall ein

Neue Themen, altes Vokabular 

Björn Höcke empfiehlt beim AfD-Thema schlechthin inzwischen nicht mehr Kanada für gesteuerte Migration. Vielleicht, weil auch die FDP ein derartiges Punktesystem favorisieren. Ein anderes Land muss her: Japan. Die Insel im Pazifik gilt als extrem einwanderungsfeindliche Gesellschaft. Für Höcke ein Vorbild. Weil das Thema Migration aber derzeit offenbar nicht mehr ausreicht, versucht Höcke auch, mit dem Thema Klimawandel zu mobilisieren. Die Partei zweifelt den Einfluss des Menschen darauf an. Die Energiewende sei unsozial und teuer, sagt er. Für diese neuen Themen liefert Höcke in seiner Rede detaillierte Argumentationshilfen für jene, die an den Wahlkampfständen stehen werden. So würden etwa Windräder das Insektensterben verschlimmern. Als Umweltschützer der Heimaterde will Höcke den Grünen Stimmen abjagen. Ansonsten garniert er wie andere auch seine Reden mit AfD-üblichem Vokabular, von „Relotiuspresse“ über „Kartellparteien“ bis hin zu „Messermorden“. 

Wahlergebnisse könnten Wandel beschleunigen

Insgesamt sind rund 800 Gäste nach Leinefelde angereist. Björn Höcke bedauert, dass diese Zahl unter der Marke von 1000 Teilnehmern liegt, die im letzten Jahr erreicht worden war. Schuld daran ist auch der Parteitag in NRW. Das zeitgleiche Ansetzen des nordrhein-westfälischen Parteitags empfanden einige rechte Parteimitglieder aus NRW, die gerne anwesend gewesen wären, als Provokation. Höcke gibt sich verständnisvoll für das Fehlen der Partei-Kameraden: Der „Dienst an der Partei“ gehe nunmal vor.

Der Wandel der AfD schreitet voran. Im Osten wie im Westen gewinnt der „Flügel“ an Einfluss. Was das bedeutet, lässt sich in Leinefelde beobachten. Je besser die AfD bei den kommenden Landtagswahlen im Osten abschneidet, desto sicherer können sich Björn Höcke und sein „Flügel“ fühlen. Die Wahlergebnisse im Osten würden „historisch“ ausfallen, schwärmt der Thüringen-Chef der AfD. Dass es die Partei aber angesichts seines Machtzuwachses auch zerreißen könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Die Sonne geht im Osten auf. Im Westen aber geht sie womöglich wieder unter.

Anzeige