Kurdenvertreter Toprak - „Ich selbst fühle mich in Deutschland nicht mehr sicher“

Für Kurden wird die Lage nicht nur in der Türkei immer brenzliger. Auch in Deutschland würden Angehörige seiner Volksgruppe beleidigt und bedroht, sagt der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak. Er übt harte Kritik an der Bundesregierung

Türkische Nationalisten demonstrieren unter dem Motto „Friedensmarsch für die Türkei" in Nürnberg / picture alliance
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Autoreninfo

Mareike König hat Psychologie und VWL an der Universität Mannheim studiert. Sie ist freie Journalistin und beginnt im Herbst ihren Master in Politischer Psychologie an der Universität Belfast.

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Herr Toprak, Sie sind einer der wenigen, die sich noch eindeutig gegen Erdogan stellen. Haben die Erdogan-Gegner solche Angst?
Nicht nur in der Türkei gibt es eine Hexenjagd gegen jeden, der nicht für Erdogan ist. Jeder, der Erdogan kritisiert, wird zum Feind und zum Terroristen abgestempelt. Einen Tag vor dem Putsch wurde ich in einigen der regierungsnahen Zeitungen in der Türkei als PKK-Terrorist bezeichnet. Aufhänger dafür war meine Berufung in den Fernsehrat des ZDF. Hier in Deutschland denunzieren Erdogan-Anhänger vor allem über die sozialen Netzwerke. Und die türkische Regierung hat einen genauen Blick auf die Aktivitäten von Erdogan-Kritikern bei Facebook und Co: Ganz normale Bürger, die in die Türkei gefahren sind, um dort Urlaub zu machen, wurden verhaftet, weil sie sich kritisch über Erdogan geäußert haben. Journalisten, Politiker und  Sprecher der Verbände stehen erst recht auf der Abschussliste.

Ali Ertan Toprak

Inzwischen hat Erdogan den Ausnahmezustand verhängt, die europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt, bereits im Mai wurde die Immunität von einigen kurdischen Abgeordneten im Parlament aufgehoben. Was ist Ihre Einschätzung, wie steht es um die Sicherheit der Kurden in der Türkei?
Die Kurden in der Türkei sind schon lange an einen Ausnahmezustand gewöhnt. Neun große kurdische Städte wurden in den letzten Monaten dem Erdboden gleichgemacht. Dort sieht es aus wie in Aleppo oder in anderen syrischen Städten. Auch Kurden, die sich kritisch zur kurdischen Frage und Demokratie in der Türkei äußerten, wurden schon immer als Terroristen behandelt. Inzwischen ist die Situation noch dramatischer. Denn die Kurden sind gegen einen Militärputsch – aber natürlich auch gegen einen zivilen Putsch: Nichts anderes passiert gerade in der Türkei. Erdogan ist der eigentliche Putschist. Er verwandelt die Türkei langsam, aber sicher in eine Diktatur, einen Ein-Mann-Staat. Da haben natürlich die Kurden Angst. 
Viele Menschen trauen sich nicht mehr auf die Straße. So dramatisch ist die Lage in der Türkei. Und die EU schweigt, die Nato schweigt – offensichtlich hat man aus der Situation in Syrien nichts gelernt. Die Türkei ist verloren, ich weiß nicht, was sich EU und Nato noch von der Türkei erhoffen.

Man hört vielerorts, dass es inzwischen Übergriffe auf Kurden und Gülen-Anhänger auch in Deutschland gibt. Können Sie das bestätigen?
Wir wissen, dass in den letzten Tagen einige Gülen-Vereine und Gülen nahestehende Schulen bedroht wurden. Erdogan-Anhänger fahren an den Schulen vorbei, zeigen Stärke und schüchtern ein. In Gelsenkirchen wurden die Fenster eines Jugendtreffs der Gülen-Bewegung eingeschlagen. Es gibt eine Telefonnummer des türkischen Sicherheitsapparates, bei dem man anrufen und Menschen hier in Deutschland denunzieren kann. Es kann nicht sein, dass Menschen in einem Land wie Deutschland beleidigt und bedroht werden. Deshalb bitte ich ganz besonders auch die deutschen Medien und die deutsche Gesellschaft um Unterstützung und Solidarität.

Sie sind selbst Zielscheibe von Drohungen und offenen Anfeindungen. Hat Ihnen das Innenministerium Hilfe angeboten?
Nein. Es wird Zeit, dass das Innenministerium und die ganze Bundesregierung Tacheles reden. Der österreichische Außenminister hat zum Beispiel, nachdem es Angriffe von Erdogan-Anhängern auf Kurden und andere Oppositionelle gab, den türkischen Botschafter einbestellt. Was muss in Deutschland passieren, damit unsere Regierung endlich reagiert und Demokraten hier in Schutz nimmt? Viele Demokraten in Deutschland mit türkischen Wurzeln sind enttäuscht und verstehen die Welt nicht mehr. Sie haben sich für diese freiheitlich-demokratische Gesellschaft entschieden. Sie sind integriert und leben und verteidigen tagtäglich die Werte der deutschen Gesellschaft. Wir kritisieren Erdogan nicht, weil wir Feinde der Türkei sind, sondern weil wir eine freiheitlich-demokratische Türkei möchten. Ich selbst fühle mich in Deutschland nicht mehr sicher. Wir haben in den kurdischen Gemeinden darum gebeten, sich von Erdogan-Anhängern nicht provozieren zu lassen und Vorfälle sofort der Polizei zu melden.  

Wenn die Bundesregierung die Vorfälle weiter unkritisiert geschehen lässt, befürchten Sie eine Eskalation auch hier in Deutschland?
Ich glaube, dass dann die Demokraten auf die Straße gehen müssen. Dieses Wochenende werden sich in vielen Städten unterschiedliche Organisationen beraten. Bis jetzt haben wir Demonstrationen bewusst vermieden, weil wir ja auch nicht den Eindruck vermitteln wollten, dass wir einen Militärputsch begrüßen. Wenn dann die demokratischen Kräfte in einigen Tagen oder Wochen auf die Straße gehen, erhoffen wir uns auch die Unterstützung der deutschen Mehrheitsgesellschaft. 
Das, was in vielen islamischen Verbänden praktiziert wird, ist nicht der Aufbau von Parallelgesellschaft, sondern von Gegengesellschaften. Sie agieren gegen unsere Werte und auch gegen die deutsche Verfassung. Wie lange wollen wir das hinnehmen? Ich bin dafür, genau wie bei Pegida oder der AfD zu überlegen, ob man nicht Erdogan-nahe Organisationen vom Verfassungsschutz beobachten lässt: Sie stacheln die Menschen an, rufen zur Hexenjagd auf, beleidigen und bedrohen Menschen. Das gefährdet das friedliche Zusammenleben in Deutschland. Wir müssen jetzt die rote Karte zeigen und deutlich machen, dass wir das nicht akzeptieren. Wenn wir jetzt keine Gegenmaßnahmen ergreifen, ist es in ein paar Monaten zu spät, wenn es dann zu ersten Schlachten auf deutschen Straßen kommt.

Ali Ertan Toprak ist der Vorsitzende des Vereins Kurdische Gemeinde Deutschland e.V. Er ist Politiker und war als innen-und außenpolitischer Referent für Cem Özdemir tätig. Von 2006 bis 2012 war er Teilnehmer der deutschen Islamkonferenz.

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