Kolumne En passant - Im Herzen der Facebook-Wahnwelt

Wie Marionettenspieler haben wir die volle Kontrolle über unser virtuelles Ich. Die Gefahr dabei: Wir verlernen, Realität und Digitales voneinander zu unterscheiden. Nichts anderes ist der Kampf gegen die Netzsprache Hate Speech

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler/ Jutta Fricke Illustrators
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Eine meiner Freundinnen ist Marionettenspielerin. Von ihr weiß ich, dass die Spieler, wenn der Applaus einsetzt, durchaus mal die Fäden fallen lassen. Das Klatschen oder auch Pfeifen holt sie in die Wirklichkeit zurück. Schlagartig registrieren sie, dass sie mit ihren Puppen nicht identisch sind.

Facebook ist auch so eine Puppenbühne. Wir haben alle unsere Marionette, unser mit Kommentaren beklebtes Ich, mit dem wir uns als Einheit fühlen, so sehr, dass wir fassungslos sind, wenn ein Shitstorm unsere Puppe erfasst, und stolz, wenn jemand sie friendet. Wir merken dann nicht mehr, dass wir spielen, mal fies, mal blöd. Auch unsere Politiker merken das nicht, sie lassen „Hate Speech“ sogar verfolgen. Dabei ist Hate Speech eine Kunstsprache. Sie wird nur auf der Facebook-Bühne gesprochen, von Puppen. Facebook ist Fantasy. „Fake News“ sind also systemimmanent, sie verkörpern das Herz einer Wahnwelt. Sie zu ahnden, ist Irrsinn, als wolle man Rumpelstilzchen verhaften.

Das Facebook-Bühnenstück hört nie auf

Ich selbst habe einen Account, den ich fast nur für Abos verwende. Er trägt das Konterfei meines Katers. Natürlich postet der Kater nichts. Trotzdem bekommt er ab und zu Freundschaftsanfragen, und irgendwann habe ich ein Experiment gestartet und begonnen, sie anzunehmen. Inzwischen hat mein Kater lauter fremde Freunde aus aller Welt, die ihm zum Geburtstag gratulieren und ihn bitten, ihre Seiten zu liken.

Zuerst fand ich das komisch. Aber anders als im Marionettentheater hört das Facebook-Bühnenstück nie auf. Kein Klatschen, kein Pfeifen holt uns in die Wirklichkeit zurück. Nicht einmal ein Terroranschlag. Nach dem LKW-Attentat von Berlin gab es einen „Facebook Safety Check“. Mein Kater erfuhr auf einer Liste, wie viele seiner Freunde sich in der „Gefahrenzone“ befänden und wie viele von denen „in Sicherheit“ seien. Die Gefahrenzone wurde als markierter Kreis dargestellt, mit einem Durchmesser von rund 30 Kilometern. Das entspricht der Reichweite einer Atombombe. Die Realität war damit erledigt. Der Titel des interaktiven Bühnenstücks lautete: „Der Anschlag in Berlin“.

Nicht die Fake News, nicht die Hate Speech sind gefährlich, sondern das Erlöschen der Differenz zwischen Wirklichkeit und Wahn. Mit dieser Differenz erlischt die Welt. Auf Facebook halten wir alles für real, und zugleich wird alles irreal, die Liebe, der Hass, der Tod. Wir klicken uns in Sicherheit, während gemordet wird, und haben schon verloren.

 

Dieser Text stammt aus der Februarausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

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