Köln und die Kanzlerin - Wir dürfen angesichts der Fakten nicht abstumpfen

Es gibt Nachrichten, die gar nicht richtig im öffentlichen Bewusstsein ankommen. Zwei Beispiele sind die jüngsten Informationen über sinkende Flüchtlingsboote und über die Täter von Köln

In der Silvesternacht waren am Kölner Hauptbahnhof Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt worden / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Bundeswehrsoldaten, die in den Auslandseinsatz geschickt werden, lernen in ihrer Vorbereitung, besonders auf der Hut zu sein vor dem schlimmsten Feind, der erstmal keine Kalaschnikow trägt. Der schlimmste Feind des Soldaten im Einsatz ist die schleichende Gewöhnung, die Routine des Alltags, die am Ende zur Unachtsamkeit führt. Und dann im entscheidenden Moment lebensgefährlich sein kann.

Diese schleichende Gewöhnung an den Ausnahmezustand erleben wir gerade auch im Zusammenhang mit den Flüchtlingen. Relativ routiniert werden Meldungen abgedruckt, wonach hier und dort wieder ein Boot gesunken sei – mit möglicherweise Hunderten Toten. Dabei hatte vor nicht einmal zehn Monaten ein toter Junge am Strand von Bodrum die Emotionen und auch die politische Debatte in Wallung gebracht. Heute bleibt es beim Einspalter, wenn Hunderte sterben.

Wie an den Küsten des Mittelmeers verhält es sich mit der Silvesternacht von Köln. Auch sie hatte, wie der tote Junge von Bodrum, die Emotionen und die politische Debatte in Wallung versetzt. Wahrscheinlich war Köln sogar der Wendepunkt dessen, was unter der Chiffre Willkommenskultur subsumiert wird.

Die Silvestertäter kamen mit der Flüchtlingswelle

In den Tagen nach Köln gab es die einen, die vor frühen Urteilen über die Herkunft der mutmaßlichen Täter, genauer: der sexuellen Belästiger und Vergewaltiger, warnten. Und es gab die anderen, die die Kölner Exzesse als schlagenden Beweis für den Kontrollverlust nach der Politik der offenen Grenzen der Kanzlerin ansahen. Und es gab die Vermutung, woher sie immer stammte, dass die so genannten „Antänzer und Grapscher“, wie es gemessen an den Vorgängen euphemistisch hieß, schon länger in Deutschland gelebt hätten. 

Vergangene Woche nun wurde der Bericht des Bundeskriminalamtes zu Köln bekannt. Und mit ihm sind dann alle Interpretationsspielräume perdu, die bisher blieben. Es ist damit amtlich. Die Silvestertäter kamen mit der Flüchtlingswelle ins Land. Rund 70 Prozent der ausländerrechtlich erfassten nichtdeutschen Tatverdächtigen seien zum Tatzeitpunkt weniger als ein Jahr im Land gewesen, schreiben die Kriminalbeamten in ihrer Lageübersicht. Danach kamen 15,3 Prozent der Tatverdächtigen aus Syrien, 11,9 Prozent aus Algerien und 10,1 Prozent aus Marokko, gefolgt von Irakern, Serben und Tunesiern.

Mit anderen Worten: Das, was viele Augenzeugen unmittelbar danach ausgesagt hatten, bewahrheitet sich nun, ist nunmehr ermittlungsseitig bestätigt.

Ist es auch hier die Macht der Gewohnheit? Die Abgestumpftheit? Jedenfalls hat diese wichtige Nachricht nicht den breiten Raum eingenommen, wie es nach den hitzigen Debatten zu Köln angemessen gewesen wäre.

Verantwortung liegt bei Merkel

Denn diese Fakten sind essenziell, um die Frage der politischen Verantwortung für die Misshandlungen von Köln zu beantworten. Und mit diesen Informationen liegt die politische Verantwortung nicht mehr nur und in erster Linie bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung, in der die Ministerpräsidentin eine ziemlich abstruse eidesstattliche Versicherung abgegeben hat und danach dafür bürgt, drei Tage nach der Silvesternacht keinen Kontakt mit dem Innenminister oder den zuständigen Behörden in der Causa Köln gehabt zu haben.

Mit diesem Hinweis, die große Mehrheit der Täter  sei über die Flüchtlingsroute gekommen, liegt die politische Verantwortung für Köln nicht zuerst bei Hannelore Kraft, sondern bei Angela Merkel. Bis zu ihr und der unkontrollierten Grenzöffnung Ende August, Anfang September vergangenen Jahres führt nun offiziell belegt die Kausalkette von Köln. Denn es mag wohl sein, dass so etwas auch ohne Merkels Agieren hätte passieren können. Die Wahrscheinlichkeit wäre aber ungleich geringer.

 Nicht zur Tagesordnung übergehen

Das gilt auch für den Fall der drei Männer, die einen Anschlag auf die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Allee geplant hatten, der von den Sicherheitsbehörden vereitelt wurde. Denn auch diese drei sind erwiesenermaßen über die Balkanroute, die inzwischen andere Staaten dichtgemacht haben, nach Deutschland gekommen. Zu Klarstellung: Dass sich Attentäter in den Strom unbescholtener Menschen begeben haben, ist nicht den Flüchtlingen anzulasten. Die Verantwortung liegt bei denen, die den unkontrollierten Strom zugelassen haben.

Man sollte in diesen Fragen nicht zu schnell zur Tagesordnung übergehen, auch nicht in Zeiten einer Fußball-EM, die scheinbar wichtiger ist als alles andere für die nächsten vier Wochen. Und diesem über die Rheinische Post bekannt gewordenen Bericht des Bundeskriminalamtes ist in der allgemeinen Wahrnehmung nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt worden. Weder in der Sache. Noch in ihrer politischen Implikation.

Wir sollten nicht abstumpfen. Nicht bei furchtbaren Meldungen über gekenterte Boote im Mittelmeer. Und nicht bei wichtigen Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden, die jede wie auch immer motivierte Spekulation beenden.

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