Koalitionsvertrag - Wohlig warm im Nest der Kanzlerin

Knapp sechs Monate nach der Bundestagswahl ist der Koalitionsvertrag unterschrieben. Bei der fast sakralen Verkündung zeigt sich: „Aufbruch“ und „Dynamik“ werden zwar angekündigt, sind aber in dieser Konstellation und bei diesem Personal kaum zu erwarten

Als sei nichts gewesen: Olaf Scholz, Angela Merkel und Horst Seehofer / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Da sitzt sie wieder, als sei nichts gewesen. In der Mitte, in Himbeerrot, flankiert von zwei Herren in dunkelgrauen Anzügen und mit schütterem grauem bis schlohweißem Haar. Die Auftaktpressekonferenz der dritten Großen Koalition von Angela Merkel mit Horst Seehofer und Olaf Scholz bot ein Bild exakt dessen, was wir seit nunmehr mehr als einem Jahrzehnt haben und wohl einige weitere Jahre weiterhin haben werden. Routinierte Moderation, behagliche Nestwäme in einem Nest, das Angela Merkel das allerliebste ist. Die einstmals großen Volksparteien vereinigen sich zu einer Regierung. Und reden das vormals Gesagte mit Selbstverständlichkeit beiseite, als sei nichts gewesen. 

Gefragt nach ihren Gefühlen, sagte die Kanzlerin Himbeerrot, sie freue sich vor allem für die Menschen in diesem Land, „dass sie das bekommen, was sie erwartet haben“. 

„Aufbruch“ und „Dynamik“ nicht zu erkennen 

Das ist bei aller einschläfernden Tonlage, in der Merkel das sagt, ein frecher Satz. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie selbst vor einem halben Jahr dem Herrn zu ihrer Linken und dessen Partei – Olaf Scholz und der SPD – im Bund auf Jahre die Regierungsfähigkeit abgesprochen hatte. Und es ist auch ein tollkühner Satz vor dem Hintergrund, dass gerade aus der SPD und von ihrem Kanzlerkandidat Martin Schulz (nicht ohne innere Logik) immer wieder zu hören war, dass eben jene Merkelschen „Menschen im Land“ die Große Koalition mit zusammen Minus 14 Prozent abgewählt hätten und deshalb auch nicht mehr wollten.

Aber man sollte in diesem fast schon sakral anmutenden Moment der Taufe der dritten Großen Koalition unter Angela Merkel vor den Festgästen der Hauptstadtpresse vielleicht nicht anfangen, solche Haare zu spalten, obwohl sie in Wahrheit eher Baumstämme sind. Man soll sich eher der Frage zuwenden, ob dieser Auftritt und das dort Gesagte dem Motto des neuen Koalitionsvertrages gerecht wird. Mit „Aufbruch“ und „Dynamik“ ist der überschrieben. 

Und da tut sich zwischen Überschrift des Vertrags und Performance des Führungstrios doch eine große Text-Bildschere auf. Als hätte er schon immer da gesessen, stimmt der Novize Olaf Scholz in das konsensuale Reden und Gebaren der geübten Großkoalitionäre Seehofer und Merkel ein. Allein seine Freude, gelegentlich in einer Art philosophisch-erkenntnistheoretischen Ringvorlesung zum Wesen und Sein der Volksparteien im 21. Jahrhundert hinfortgetragen zu werden, unterscheidet ihn von den beiden Routiniers, die beide denn auch interessiert-belustigt während dieser Passagen Scholz ihren Blick zuwandten. 

Die dreifache Erleichterung 

Das Gefühl, das alle drei von der Stirnseite des Saales der Bundespressekonferenz verströmten: Gut, dass die Irrungen und Wirrungen vorbei sind. Gut, dass ich, Angela Merkel, nicht länger mit diesem sperrigen und phänotypisch und habituell mich unselig an Guido Westerwelle erinnernden Christian Lindner von der FDP zu tun habe. Gut, dass ich, Olaf Scholz, den apodiktischen Unfug hinter mir lassen kann, den Martin Schulz in den Wochen nach der Bundestagswahl zu einer weiteren Großen Koalition unter Merkel gesagt hat. Und gut schließlich, dass ich, Horst Seehofer, jetzt näher dran bin, um meiner Angela bei ihren allfälligen Blackouts sofort und von Amts wegen als Innenminister und oberster Heimatwächter in den Arm fallen zu können. 

Wo aber nun das Neue, das Frische, das Packende herkommen soll in dieser dritten Merkel-Groko, das weiß man nach diesem Auftritt bei wohlwollendster Betrachtung nicht zu beantworten. Eher spielen die Rolling Stones bei ihren beiden Auftritten demnächst in Deutschland unerwartet eine Punknummer, bevor diese dritte Auflage einer traurigen Dauereinrichtung namens Große Koalition Deutschland so erfrischt und wachrüttelt wie ein Emmanuel Macron Frankreich oder ein Sebastian Kurz Österreich. Ein bisschen wirkte Merkel wie Miss Sophie im Dinner for One. 

Nur, dass sie nicht alleine am Tisch saß.

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