Klimabericht der Bundesregierung - Mehrheitsfindung statt Wahrheitsfindung

Die Europäische Union ruft den Klimanotstand aus. Die Bundesregierung präsentiert zeitgleich einen irreführenden Klimabericht, und die Medien geben ihn unkritisch weiter. So droht der Kampf gegen den Klimawandel zur Karikatur zu verkommen

Der Klimabericht des Umweltministeriums / picture alliance
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Axel Bojanowski verfolgt die Klimadebatte seit 1997 als Wissenschaftsjournalist. Der Diplom-Geologe (Diplom über Klimaforschung) ist Chefredakteur von „Bild der Wissenschaft“ und „Natur“. Er schrieb den „Klimajournalisten-Blues“

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Als der Bundestag in den Sechzigerjahren die „Notstandsgesetzgebung“ beschloss, gab es heftige Proteste. Bei „Notstand“ können demokratische Regeln außer Kraft gesetzt werden, um „eine nicht anders abwendbare Gefahr abzuwenden“, wie es im Strafgesetzbuch heißt. Mittlerweile genießt der Notstand Popularität: Nach vielen Städten und Staaten, hat am Donnerstag auch das Europaparlament den „Klimanotstand“ ausgerufen.

Legitimieren soll diese Ausnahmesituation die Naturwissenschaft. Sie hat gezeigt, dass der Mensch mit seinen Abgasen das Klima erwärmt, dass Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Hitzewellen sich häufen. Eine weitere globale Erwärmung von mehreren Grad birgt erhebliche Risiken, deren Wahrscheinlichkeit sich allerdings kaum bestimmen lässt. Zu erwartende Auswirkungen der globalen Erwärmung in einzelnen Regionen sind in den meisten Fällen ebenfalls schlecht einschätzbar – die Unsicherheiten machen den Klimawandel besonders heikel.

Umweltministerium ist keine wissenschaftliche Institution

Angesichts der Wissenslücken werden begierig Berichte aufgegriffen, die tatsächliche Folgen des Klimawandels aufzeigen sollen. Diese Woche stellte das Bundesumweltministerium (BMU) einen „Monitoringbericht zum Klimawandel in Deutschland“ vor: „Die Folgen der globalen Erderwärmung werden in Deutschland spürbarer und lassen sich immer besser belegen“, erklärte das BMU. Sein Klimabericht ist jedoch wissenschaftlich zweifelhaft.

Das verwundert nicht, denn das Umweltministerium ist keine wissenschaftliche Institution. Vielmehr streitet es, wie es sich für politische Organe gehört, mit anderen Ministerien um Macht. Die Dringlichkeit des Klima-Themas sichert dem BMU Einfluss in der Bundesregierung. Seine Experten haben wesentlichen Anteil daran, dass der Weltklima-Vertrag zustande kam, ein häufig übersehener Erfolg deutscher Politik. Dem BMU geht es berechtigterweise um Mehrheitsfindung, nicht um Wahrheitsfindung.

Fragwürdige Befunde

Entsprechend fiel der Klimabericht des Ministeriums aus. Er listet vermeintlich kritische Folgen der globalen Erwärmung auf – es sind fragwürdige Befunde:

Starkregen und Stürme
„Die Folgen der Erderwärmung treffen auch die Wirtschaft“, schreibt das BMU. „Infrastrukturen werden vor allem durch extreme Wetterereignisse wie Stürme und Starkregen geschädigt.“ Daten des Deutschen Wetterdienstes zufolge lässt sich jedoch weder eine Zunahme von Stürmen in Deutschland noch von Starkregen im Zuge des Klimawandels feststellen.

Ausgetrocknete Flüsse
 „Zunehmende Trockenheit und häufiger werdende Niedrigwasserstände in Flüssen beeinträchtigen die Ökosysteme“, heißt es in der Pressemitteilung des Ministeriums. Das Gegenteil steht im Gesamtbericht: Über die vergangenen Jahrzehnte hinweg lasse sich bei Niedrigwasser kein Trend erkennen.

Fluss-Hochwasser
„Immer wieder Hochwasser“, schreibt das BMU alarmierend – um dann weiter hinten festzustellen: Flusshochwasser gibt es nicht mehr als früher.

Hitze
Deutschland hat sich um 1,5 Grad im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhundert erwärmt, es gibt vermehrt Hitzewellen, berichtet das BMU. Der Befund ist von Meteorologen gut belegt. Doch das Umweltministerium setzt einen drauf: „Allein in den letzten fünf Jahren stieg die Temperatur in Deutschland um 0,3 Grad.“ Solch kurzfristige Schwankungen verraten aber nichts über die Klimaentwicklung, die den langjährigen Durchschnitt des Wetters beschreibt.

Hitzetote
Hitzewellen in den Jahren 2003, 2006 und 2015 hätten 19.500 Todesfälle in Deutschland verursacht, berichtet das BMU. Es handele es sich um „die größte Naturkatastrophe in Deutschland, die wir in den letzten 50 Jahren hatten“. Das Ministerium bezieht sich auf Statistiken, die zeigen, dass während sommerlicher Hitze jener Jahre Tausende Menschen mehr gestorben sind als normalerweise zur betreffenden Jahreszeit. Die Schlussfolgerung aber unterschlägt Wesentliches, etwa Studien, die zeigen, dass der Überschuss an Toten während Hitzetagen üblicherweise von weniger Toten danach zumindest teilweise ausgeglichen wird („Harvesting Effect“). Und dass prinzipiell weitaus mehr Menschen aufgrund von Kälte sterben, ignoriert der Bericht ebenfalls – dabei sind Tage extremer Kälte aufgrund des Klimawandels weniger geworden hierzulande. Doch auch dass die Sterblichkeit in Deutschland im Winter deutlich höher ist als im Sommer, findet beim BMU keine Erwähnung. Wohlgemerkt: Hitze ist gefährlich. Aber Kälte ebenfalls. Die Auswirkungen der Erwärmung bedürfen genauer Analyse, Schnellschüsse wie jener des BMU spotten der Wissenschaft.

Grundwasser 
Es gebe immer häufiger niedrige Grundwasserstände in Deutschland, berichtet das Bundesumweltministerium. Laut Deutschem Wetterdienst regnet es aber deutlich mehr als früher – es gibt übers Jahr in Deutschland 8,7 Prozent mehr Niederschlag als zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ist das Grundwasser trotz höheren Nachschubs also wirklich in Gefahr, wie das BMU es suggeriert? Die Behauptung wäre zumindest erklärungsbedürftig. Wasserversorger stellten noch während der extremen Dürre 2018 fest, dass Deutschland sich keine Sorge ums Grundwasser machen brauche. Sind jene Minima, die das BMU konstatiert, also vielleicht gar nicht klimawandelbedingt? Alle Grundwasser-Messstellen seien von anderen menschlichen Einflüssen wie Brunnen „möglichst unbeeinflusst“, schreibt das BMU. „Möglichst“ bedeutet allerdings nicht: „immer“.

Auf die Wissenschaft vertrauen

Unstrittig ist: Der Meeresspiegel steigt auch an deutschen Küsten, und es wird wärmer, mehr Hitzewellen ziehen auf, Vegetation und Tierwelt verändern sich, Gletscher schmelzen. Weitere Folgen aber sind Gegenstand der Forschung. Deutschland – weltweit führend in der Klimatologie – hätte Grund, auf seine Wissenschaft zu vertrauen.

Viele Medien aber überbrachten die wissenschaftsferne Regierungsmitteilung zum Klima anstandslos: „Folgen des Klimawandels: Größte Naturkatastrophe in Deutschland“, meldete pflichtschuldig die Tagesschau.  „Vertrocknete Wälder, Niedrigwasser in Flüssen: Der Klimawandel ist einer neuen Auswertung zufolge in Deutschland angekommen“, berichtete Spiegel Online – und listet im Artikel unhinterfragt die zweifelhaften Behauptungen des BMU auf.

Hintergründe ausleuchten

Auch die taz gibt regierungstreu die irreführenden BMU-Aussagen nahezu wörtlich wieder: „In den Hitzesommern 2003, 2006 und 2015 starben jeweils 6.000 bis 7.500 Menschen zusätzlich“, heißt es unter anderem. Die „Wirtschaft leidet“, schreibt die „taz“, „unter Hoch- und Niedrigwasser, und Extremregen legt Straßen und Schienen lahm.“ Und Bild sekundiert: „So brutal trifft der Klimawandel Deutschland“, „Immer mehr Hitzetote, und 0,3 Grad Temperaturanstieg allein in den letzten fünf Jahren!“

Nur die Welt traut der Show nicht: „Wenn politische Argumente so drastisch werden, erscheint es geboten, die Hintergründe möglichst weit auszuleuchten“, heißt es in einem kritisch gestimmten Artikel.

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