Kleine Medienkunde mit Sahra Wagenknecht - Klammheimliche Liebe zum „Großen Bruder“

Sahra Wagenknecht spricht gern mit russischen Propagandasendern, mit deutschen Medien im Dunstkreis der AfD aber überhaupt nicht. Das offenbart ein Weltbild, das noch immer von alten Freund-Feind-Schemata geprägt ist

Sahra Wagenknecht hat Nachholbedarf in Sachen Pressefreiheit / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Sahra Wagenknecht, zusammen mit Dietmar Bartsch Spitzenkandidatin der Linken für die Bundestagswahl, ist nach Gregor Gysi die bekannteste und telegenste Erscheinung ihrer Partei. Kaum ein anderer Politiker bekommt bei unseren öffentlich-rechtlichen Anstalten so viel Sendezeit wie sie. Das weiß sie trefflich zu nutzen. Wenn jemand in Berlin verstanden hat, dass wir in einer Mediendemokratie leben, dann sie.

Berührungsängste gegenüber Medien kennt Wagenknecht nicht. So gibt sie auch dem russischen Auslandsfernsehsender RT mit Sitz in Moskau Interviews. Von Journalisten darauf angesprochen, begründete sie ihren Auftritt bei RT so: „Der Sender wird auch in Deutschland gesehen. Ich rede ja auch mit Bild, der Welt und anderen Journalisten, die nicht der Linken nahestehen. Nur Rechtsaußen-Blättern wie der Jungen Freiheit würde ich kein Interview geben.“

Was Moskau tut, ist gut

Was lernen wir daraus? Propaganda-Sender des Kreml-Zaren Putin stellt Wagenknecht auf eine Ebene mit Zeitungen aus dem Haus Springer. Was insofern interessant ist, dass sie offenbar Putins Auslandssender für so unabhängig hält wie den Springer-Verlag oder Springer ebenso staatlich gelenkt wie RT und fast alle anderen, in Russland (noch) erlaubten Medien.

Da spürt man doch gleich, dass die DDR-Nostalgiker innerhalb der Linken trotz aller Lernfortschritte eines nicht abschütteln können: ihre klammheimliche Liebe zum „Großen Bruder“. Was Moskau tut, ist gut getan. Selbst wenn Putin in Syrien einen „brutalen Krieg“ führt, wie selbst Wagenknecht einräumt, dann ist er „nur“ so brutal wie der Einsatz der US-Amerikaner.

Oligarchen-Kapitalismus überall

Zurück zu Wagenknecht und den Medien. Ihr Hinweis, mit „Rechtsaußen-Blättern“ würde sie, anders als mit Putin-Sendern, nicht sprechen, führte zu einer weiteren Frage. Ob sie etwa den Propaganda-Sender des „Oligarchen-Kapitalismus“ (so nennt Wagenknecht die russische Wirtschaft) und dessen Haltung zu Demokratie und Menschenrechten gleichsetze mit der Haltung der AfD-nahen Jungen Freiheit? Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Oligarchen-Kapitalismus haben wir auch in den USA. Ich gebe trotzdem auch amerikanischen Medien Interviews.“

Journalisten können durchaus lernen von Politikerinnen wie Sahra Wagenknecht. Erster Erkenntnisgewinn: Putin-Medien und Springer-Medien unterscheiden sich im Grundsatz nicht. Zweiter Erkenntnisgewinn: Die russischen Oligarchen-Wirtschaft unterscheidet sich nicht vom Kapitalismus in den USA. Dritter Erkenntnisgewinn: Putin-Medien unterscheiden sich nicht von US-Medien. Vierter Erkenntnisgewinn: Wirklich schlimm sind nur deutsche Medien im Dunstkreis der AfD. Das musste doch mal klargestellt werden.

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