Kirchenmessen nach lateinischem Ritus - „Wie kann ein Papst so etwas schreiben?“

Durch den Erlass „Traditionis custodes“ schränkt Papst Franziskus die Feier der alten Messe erheblich ein. Das stört nicht nur Menschen wie Gerald Goesche, dessen Institut die Messe nur nach dem lateinischen Ritus feiert. Ein Gespräch über den Sinn der lateinischen Tradition und kirchenpolitische Spannungen.

Propst Gerald Goesche in der römisch-katholischen Kirche St. Afra in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Probst Dr. Gerald Goesche ist Gründer des Instituts St. Philipp Neri in Berlin-Gesundbrunnen. In der dazugehörigen Kirche St. Afra werden täglich Messen nach dem außerordentlichen lateinischen Ritus gefeiert.

Papst Franziskus schränkt mit seinem Erlass die Feier der alten Messe, der sogenannten tridentinischen Messe, erheblich ein. Was hat das für Auswirkungen für die Kirchengemeinden, die wie Sie die alte Messe feiern?

Also die erste Auswirkung für uns ist, dass wir jetzt einen anderen Ansprechpartner in Rom haben. Es wird sich zeigen, wie sich die Zusammenarbeit mit dem neuen Ansprechpartner entwickelt. Durch den Erlass wird es jetzt aber schwerer, neue Gruppen zu gründen.

Anstatt einer freien Entscheidung liegt es nun am Erzbischof zu entscheiden, ob die Messe im alten Ritus gefeiert werden darf und wann ...

Unter Summorum Pontificum (Anm. der Redaktion: ein Erlass des Papstes Benedikt XVI.) konnte grundsätzlich jeder Priester frei zwischen dem neuen und dem alten Ritus wählen. Jetzt hat sich das umgekehrt. Das heißt nun für Neuanmeldungen, dass ein Priester, der die alte Messe feiern möchte, erst den Bischof um Erlaubnis fragen muss, der dann wiederum in Rom anfragen muss.

Da kommt es dann natürlich sehr auf den verantwortlichen Bischof an.

Genau. In Berlin ist das kein Problem, wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Aber je nach Ort kann dieser Erlass schon zum Problem werden.

Denken Sie, dass es zu weiteren Abspaltungen kommen könnte aufgrund des Erlasses?

Mit letzter Sicherheit auszuschließen ist das nicht. Es kommt sehr darauf an, wie das schlussendlich durchgesetzt wird.

Die alte Messe wird seit 2004 in St. Afra mitten in Berlin gefeiert. Erleben Sie ein großes Interesse seitens der Bevölkerung?

Wir erleben zumindest ein kontinuierliches Wachstum. Mittlerweile bieten wir coronabedingt sonntags drei Gottesdienste mit gut 200 Besuchern an.  

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Gibt es auch junge Menschen, die sonntags die Gottesdienste besuchen?

Ja. Unsere Besucher haben ein Durchschnittsalter von deutlich unter 50 Jahren. Es kommen auch viele Familien mit kleinen Kindern und junge Leute, die schon als Ministranten in unserer Kirche anfingen.

Warum verbringen Menschen überhaupt einen Teil ihres Sonntags bei einer Messe, die in einer toten Sprache abgehalten wird?

Es ist eine Messe, in der Besucher nicht der Willkür des Priesters oder eines Liturgieausschusses ausgeliefert sind, dem auf einmal einfällt, über gegenwärtige Streitthemen zu predigen. Es ist immer klar, was kommt. Der größte Unterschied zur neuen Messe ist dabei der, dass die Liturgie der alten Messe als empfangen erlebt werden kann – nicht als gemacht.  

Mit dem Erlass hat sich Papst Franziskus nun klar gegen die alte Messe positioniert – inwiefern trifft das eine Kirchengemeinde wie St. Afra?

Das Schlimme ist eigentlich der Ton des Dokuments. Der ist so richtig aggressiv. Da fragt man sich: Wie kann man so etwas schreiben? Ein Parteipolitiker schreibt sowas vielleicht, aber der Papst? Es ist natürlich auch die Frage, von wem Franziskus bei dieser Entscheidung beraten wurde. Papst Benedikt erleichterte die Feier der alten Messe 2007 mit Summorum Pontificum erheblich, jetzt werden diese Erleichterungen wieder zurückgenommen. Die Kirche ist aber wie ein Ozeandampfer, sie kann nicht einfach S-Kurven fahren. Papst Benedikt hat immer gesagt: „Es gibt ein Mindestmaß an Sympathie, ohne die kein Verständnis möglich ist!“ Und das fehlt mir im Motu proprio.

Spricht dieser Erlass den Anhängern des alten Ritus nicht auch die rechtmäßige Zugehörigkeit zum Katholizismus ab?

Zum Absprechen der Zugehörigkeit gehören immer zwei dazu. Da muss man erst einmal bereit sein, sich das absprechen zu lassen.

Wie viele Katholiken feiern in Deutschland denn noch nach dem alten Ritus?

In Deutschland gibt es ungefähr 10.000 katholische Pfarreien und ungefähr 200 Orte, an denen die alte Messe gefeiert wird. Selbst wenn dort pro Ort 50 Leute kommen, ergibt das ungefähr 10.000 Gläubige. Also nicht einmal ganz einen pro Pfarrei. In der katholischen Kirche passiert so viel, zu dem man Stellung beziehen könnte. Da muss man schon sehr fixiert sein, um sich jetzt so gegen diese kleine Gruppe der alten Messe zu stellen. Es ist, als ob die die alte Messe tief ablehnende Geisteshaltung der 1970erJahre wieder aufersteht, sozusagen eine alte Garde.

Also eine auf die Vergangenheit fixierte alte Garde, die jetzt den Feierenden des alten Ritus vorwirft, zu sehr auf die Vergangenheit fixiert zu sein …

Es gibt viele Dinge, die hierbei absurd sind und fast schon lustig.

Geht es da verkürzt gesagt um einen Streit zwischen den erzkonservativen und progressiven Kräften in der katholischen Kirche?

Wörter wie progressiv oder erzkonservativ, das sind ja sehr politische Einteilungen. Wenn ich gefragt werde, ob ich erzkonservativ bin, dann sage ich manchmal: Nein, ich bin noch viel schlimmer, um klarzumachen, dass solch eine Einteilung nicht funktioniert.

Eine Begründung für Franziskus Entscheidung ist unter anderem, dass die Feier der alten Messe immer wieder theologiepolitisch gegen das Zweite Vatikanische Konzil instrumentalisiert worden sei. Wie meint er das?

Das Zweite Vatikanische Konzil sollte der Startpunkt großer Reformprozesse in der katholischen Kirche in den 1960er Jahren sein. Da gibt es nun eine Strömung, die dieses Konzil sozusagen als Superkonzil sieht und alles, was davor war, nicht mehr beachtet. Die andere Strömung sieht darin ein eher normales Konzil, das genau so viel Gültigkeit besitzt wie seine Vorläufer.

Aber wie genau lautet dann Franziskus Vorwurf?

Dass es viele Traditionalisten gibt, die nicht alles, was auf dem Konzil besprochen wurde, übernehmen möchten und manche Entscheidungen ablehnen.

Wie stehen Sie denn zum Zweiten Vatikanischen Konzil?

Wir bezeichnen unsere Kirche doch als die Kirche Jesu Christi und nicht als die des Zweiten Vatikanischen Konzils. Papst Benedikt formulierte mit zunehmenden Jahren die Hermeneutik der Kontinuität. Also im Grunde kann das zweite Vatikanische Konzil auch nur in Verbindung mit der Tradition verstanden werden. Dass sich der Papst jetzt so aggressiv äußert, überrascht mich. Eine verbohrte Haltung ist doch eigentlich genau das, was man sonst den Traditionalisten vorwirft.  

Was bezweckt denn der Papst mit diesem Erlass?

Wenn ich das einmal ironisch formulieren darf, würde ich sagen, dass er die Aufmerksamkeit auf die alte Messe lenken will. Da ich aber nicht weiß, ob der Papst sonderlich ironisch ist, könnte es eher sein, dass es im Vatikan Menschen gibt, die die Gruppe um die alte Messe herum stört.

Der Erlass wurde erst einmal nur auf Englisch und Italienisch ausgefertigt. Welche politische Botschaft steckt da dahinter?

In Amerika gibt es eine große Belebung der alten Messe. Deshalb richtete sich die englische Sprache besonders an den angloamerikanischen Raum.  

Auf Latein hätte er es wohl ja kaum verfassen können.

Papst Benedikt konnte noch richtig Latein; ich bezweifele, dass Papst Franziskus fließend Latein kann. Mein Latein ist auch nicht so gut wie das von Benedikt XVI. 

Aber Ihre Gottesdienste sind doch auf Latein. Wie passt das zusammen?  

Es geht um die Liturgie insgesamt, ihre Gewachsenheit, ihre Relevanz und Melodie. Natürlich fördert der regelmäßige Besuch die Lateinkenntnisse. Trotzdem verstehen Menschen manchmal mehr in den wenigen bekannten Wörtern, als in einer langen Predigt.

Aber wer gerne die alte Messe besucht, der muss doch zumindest offen für Tradition sein …

Wer an der alten Messe hängt, der schätzt schon die Verbindung zur Kirchengeschichte. Diese Messe ist anderthalbtausend Jahre alt. Jedes Mal, wenn sie gefeiert wird, geht es auch um eine Verbindung mit denen, die sie in der Vergangenheit feierten. So wird die alte Messe auch zur geistigen Quelle fürs Leben.  

Was unterscheidet die alte Messe im Kern von der neuen Messe? Hauptsächlich die Sprache?

Die Sprache ist nur ein Teil. Selbst Marcel Lefebvre sagte einmal: „Lieber die alte Messe auf Französisch als die neue Messe auf Latein.“ In der alten Messe treffen Wort und Handlung aufeinander. Die Anweisungen, die Teil der Liturgie sind, sie belassen die Messe eben nicht bei einem Text, sondern verwandeln sie in ein Gesamtkunstwerk: in eine streng festgelegte Handlung.  

Aber ist Latein nicht eine Sprache der Intellektuellen?

Also bezüglich der Menschen, die unseren Gottesdienst besuchen, kann ich das nicht bestätigen. Ich habe einmal in einer Osternacht einen Verleger und einen Dachdecker getauft. Wenn davon ausgegangen wird, dass die Liturgie eine Vorwegnahme des himmlischen Jerusalems ist, muss irgendwie etwas von dem Glanz verhüllt werden, damit man nicht geblendet wird. Als ich noch im neuen Ritus tätig war, kam einmal eine Frau und meinte, in der deutschen Messe habe sie endlich alles verstanden. Und ich dachte, stopp, genau das ist es ja nicht. Latein hilft uns dabei, von Anfang an ein Bewusstsein für die Tiefe und die Mehrdimensionalität der heiligen Messe zu entwickeln. Wer versteht, dass es sich dabei um ein Geheimnis handelt, der hat oft mehr kapiert, als jemand, der lange Texte versteht.

Nun gibt es aber auch viel Unverständnis für den alten Ritus: Ein Priester, der mit dem Rücken zugewandt zur Kirche steht und eine nur sehr beschränkte Textauswahl auf einer ausgestorbenen Fremdsprache …

Es stimmt, dass es im alten Ritus relativ wenige Lesungen gibt im Vergleich zur neuen Messe. Der große Pool in der neuen Messe kann für den Gläubigen aber auch überfordernd sein. Wo wir doch sonst auch mit Wiederholungen leben, Jahr für Jahr, Geburtstag und Feiertage feiern, wieso sollten wir nicht auch sonntags Wiederholungen einbauen? Wissen Sie, man kann mit einem einzigen Wort der Schrift heilig werden, da bieten die Lesungen der alten Messe Auswahl genug.

Aber dass der Priester mit den Rücken zu den Gläubigen steht, das ist doch gewöhnungsbedürftig.

Hätten Sie gerne einen Busfahrer, der sie anschaut? Alle Gläubigen, also auch der Priester, richten sich gemeinsam gen Osten aus. Das verändert das Bild von Kirche und der Gemeinschaft völlig. Der Kreis bleibt offen, und alle richten sich nach Gott aus, der Priester genauso wie die Besucher. Der geschlossene Kreis der neuen Messe zeigt sich ganz gut in diesem Dokument von Papst Franziskus. Man will lieber unter sich bleiben, keine störenden Gruppen haben, es soll ordentlich sein. Aber das war die Kirche doch nie.

Ist diese Geschlossenheit eine Entwicklung der letzten Jahre?

Nein, diese Entwicklung ist schon älter. Es gibt einen theologischen und philosophischen Ausdruck der Societas perfecta, also der perfekten Gesellschaft. Schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil begann man damit, die Kirche als Gegenbild des modernen Staats zu konzipieren. Das sieht man schon im Vatikan, der praktisch ein funktionierender Staat ist. Bischöfe wurden zu Funktionären des Papstes. Die Kirche aber ist kein Anti-Staat, sondern eine ganz andere Gesellschaft mit Jesus Christus als Haupt. Wir müssten viel mehr aufarbeiten und dieses Bild von Kirche ablegen.

Die Zeit sei nicht zurückdrehbar, heißt es immer wieder im Zusammenhang mit der alten Messe. Wollen die Anhänger der tridentinischen Messe denn zurück ins 20. Jahrhundert?

Der Schriftsteller Martin Mosebach hat einmal gesagt, Zeitgenosse ist man von selbst. Alle Leute, die herkommen, haben meist ein Handy, was das Leben wahnsinnig verändert, sie sind anders aufgeklärt als noch vor 100 Jahren und informierter über Politik und Co. Allein deswegen kann man doch nicht mehr in der Zeit zurück. Für uns geht es viel eher darum, kostbare Konstanten zu wahren – wenigstens für die, die sie möchten.

Untergräbt der Papst nicht seine Glaubwürdigkeit, wenn er nun eine vor kurzem getroffene Entscheidung seines noch lebenden Vorgängers zurücknimmt?

Der Papst ist kein Tyrann. Er ist der Stellvertreter Christi auf Erden und muss zumindest aus politischer Klugheit immer darauf achten, dass eine Kontinuität gesichert wird. Dieser Wahrung aber widersetzt sich Franziskus immer wieder. Er übersieht in seiner Ablehnung bestimmter Kreise und Gruppen, dass die Kirche ein Leib ist und der Ort der Liberalität. Also nicht die im Sinne der FDP, sondern der alten bayrischen Liberalitas.

Kirche und Liberalität? Ist das ein Begriffspaar, das gut zusammen passt?

Ich glaube, dass die Kirche ein Freiheitsraum ist. Wie bei jeder Freiheit gibt es bestimmte Festlegungen wie Jesus Christus als Haupt und Wahrheit. Auch Vernunft spielt eine große Rolle. Im Mittelalter hätten die Menschen gegen die Diskussionen, die heute in so mancher Talkshow stattfinden, aufgrund ihrer Geistlosigkeit protestiert. Bei Thomas von Aquin musste man in Diskussionen erst einmal den Punkt des Gegners begründen und verschärfen, bevor man diesen widerlegte. Heute verbieten wir denen, die uns nicht passen, einfach den Mund und sagen dann, dass ihre Haltung mittelalterlich ist.

Aber diese angesprochene Freiheit hätte ja in Ihrem Beispiel, wenn überhaupt, nur für sehr beschränkte Gesellschaftsgruppen gegolten.

Ich spreche hier von einem theologischen Freiheitsbegriff, der damals durchaus größer war. In den Kirchen gab es kaum Stühle, und wer besoffen war, der hat halt auch mal den Rausch an einer Säule ausgeschlafen. Da wurde auch optisch sichtbarer, dass das unterschiedliche Leute sind, die zusammenkommen und Platz haben.  

Welche Auswirkung wird der Erlass auf die Feier der alten Messe haben?

Im Augenblick erleben wir eine riesige Reklamewelle. Die alte Messe ist auch mit diesem Erlass nicht verboten worden und bleibt ein Lebensausdruck der Kirche Christi. Den kann man nicht einfach abwürgen. Und es wird auch nicht passieren.

Die Fragen stellte Alissa Kim Neu.

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