Kirche und Flüchtlinge - Die Drohbotschaft ist zurück

Kisslers Konter: Der richtige Umgang mit der Flüchtlingskrise ist umstritten. Die Kirchen haben sich festgelegt: Wer für eine begrenzte Aufnahme plädiert, kann kein guter Christ sein. Nur eine unbedingte Willkommenskultur sei christlich. Auf diese Weise werden Kirchenfunktionäre zu Parteigängern und treiben ihren Bedeutungsverlust voran

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki: Parteigänger in einer weltanschaulich umkämpften Debatte. Bild: picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Bisher schien die Sache klar: Die Kirchen haben sich in einem mühsamen, teils selbstkritischen, teils aufgezwungenen Prozess von der „Drohbotschaft“ zur „Frohbotschaft“ durchgekämpft. Die Protestanten überwanden das protestantische Tugendregiment mit seiner rigiden Sozialkontrolle, die Katholiken Ablass, Sündenbüchlein und Flagellantentum. Heute – heißt es – gebe es in den Kirchen nur Friede und Lebenswirklichkeit, Dialog und Augenhöhe, free hugs for everyone. Im Zuge der Flüchtlingskrise kehrt nun die drohende, ausgrenzende Kirche zurück. Die Drohbotschaft ist wieder da.

Kirchen fallen hinter den eigenen Anspruch zurück


Natürlich war die lineare Fortschrittserzählung nicht ohne historische Flickschusterei zu haben, und natürlich ist die nachträgliche Gegenüberstellung von Gemeindefreude nun und Kanzeldrohung einst arg schematisch. Man frage Mentalitätshistoriker, ob bei den Menschen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts immer Heulen und Zähneklappern angesagt waren, wenn das Dorf sich zum Gottesdienst versammelte. Doch die Erfolgsgeschichte vom kirchlichen Weg ans Licht bezieht gerade aus dem Triumphalismus der Gegenwärtigen ihren Reiz. Sie wurde und wird von derselben Klientel vertreten, die heute ins Fuchteln, Drohen und Aburteilen zurückfällt – in der Überzeugung, das Gegenteil zu tun. Die Kirchen sind neben Pro Asyl die letzten Vertreter einer unkonditionierten, unbegrenzten Willkommenskultur. Unter den Christen, die da zweifeln und zögern, machen sie keine Gefangenen. Die Skeptiker werden ausgemeindet.

Damit fallen die Kirchen ebenso dramatisch hinter den eigenen Anspruch zurück – keine Seele verloren zu geben – wie hinter den Stand einer breit ausdifferenzierten gesellschaftlichen Debatte. Mag selbst bei den Grünen und bei der Linkspartei über die Spät- und Folgekosten der neuen Völkerwanderung diskutiert werden: Was schert’s uns, sagen die ihren Bedeutungsverlust verwaltenden Kirchen in barocker Selbstgewissheit, was schert es uns, wir lassen alle Tore offen für jedermann. Wer Grenzen der Belastbarkeit sieht, wer an den (übrigens ebenfalls christlich zu begründenden) Vorrang des Gemeinwohls erinnert oder an die Differenz von Christentum und Islam, der rechnet, weil er sich „unserem Bekenntnis für eine Willkommenskultur und gegen Abschottung und Abgrenzung“ verweigert, zu den „Unheilspropheten unserer Zeit“, der steht nicht genügend auf „gegen die Angst, gegen die Rhetorik der Abgrenzung und Restauration“, ja, der ist ein Menschenfeind und verdienet nicht, ein Christ zu sein.

Überschießender Moralismus


Das erste Zitat stammt von dem CDU-Politiker Sternberg, der momentan dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken vorsteht, das zweite vom Münchner Erzbischof Marx. Beide werden in ihrem (übrigens ebenfalls nicht unbedingt christlichen) Schwarz-Weiß-Denken übertroffen vom Kölner Erzbischof Woelki. Dieser erklärte in einer Predigt: „Wir brauchen legale Wege der Einreise und ein Einwanderungsgesetz – und daneben ein uneingeschränktes Recht auf Asyl“; nur so könne „die Sache Jesu“ vorangetrieben werden.

Wir? Für welches Globalsubjekt spricht der Priester aufgrund welcher Legitimation? An Fronleichnam feierte Woelki Eucharistie an einem eigens gekauften und extra nach Köln spedierten Flüchtlingsboot, das nun in einer „Ecke der Barmherzigkeit“ im Kölner Dom zwischengelagert wird. Dazu verkündete der Kardinal: „So also haben wir die Weisung des Herrn aus dem Evangelium heute zu verstehen“ – so und nicht anders müssen Christen, die Christen bleiben wollen, sich verhalten, wie Woelki es ihnen einhämmerte: „Wer Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, lässt Gott ertrinken (…). Wer nur für die Menschen Medikamente und Impfstoffe entwickelt, die an Zivilisationskrankheiten leiden, der lässt andere in ärmeren Ländern verenden. Jeder Tod ein Tod Gottes!“ Gott lässt sich also umbringen, ersäufen, wenn nicht alle unter Woelkis Zuhörerinnen und Zuhörern sofort beginnen, sich für neue „Medikamente und Impfstoffe“ einzusetzen, wenn sich nicht sämtliche Mütterchen und Väterchen sofort von der Domplatte aufmachen, um alle Flüchtlingsboote sicher und das Mittelmeer sturmfrei zu machen. Es ist wie immer: Ein überschießender Moralismus macht es schwer, nicht zynisch zu werden.

Dalai Lama sieht Grenzen der Zuwanderung


Wenn also heute ein Weihbischof erklärt, „wir als Katholiken“… lehnten eine Obergrenze kategorisch ab, wenn ein deutsches Bistum Integration verhandelt unter dem Motto „Lerne vom Fremden“ oder wenn die Präses der Synode der Evangelischen Kirche bekräftigt, es gäbe gar keine Flüchtlingskrise, sondern immer nur Einzelne, „immer nur Aishe und Achmed“ – dann schrumpfen sich die Kirchen selbst zum Parteigänger in einer weltanschaulich umkämpften Debatte. Sie tragen den Riss, der durch die Gesellschaft geht, in die Kirchen hinein. Sie spalten, statt zu versöhnen. Sie setzen sich auf das hohe Ross des moralisch Einwandfreien und belehren die Schafe in den Bänken – ohne Zwischentöne, ohne Augenmaß. Und in Antithese etwa zum Dalai Lama, demzufolge Flüchtlinge nur vorübergehend aufgenommen werden sollten, denn: „Deutschland kann kein arabisches Land werden. Deutschland ist Deutschland.“

Selbstverständlich ist der Platz der Kirchen an der Seite der Schwachen und Bedrängten, Bedrohten und Vertriebenen. Selbstverständlich sind die Armen den Christen in besonderer Weise anvertraut. Inwieweit daraus die absolute Pflicht folgt, das eigene Land für Migranten aus allen Ländern bedingungslos zu öffnen, Million um Million in der Regel nichtchristliche Menschen ohne Sorge um das Gemeinwohl aufzunehmen: Das eben ist hoch umstritten. Die Kirchen wollen sich der Diskussion nicht stellen. Sie erklären die Debatte für entschieden, indem sie zu verstehen geben: Gute Menschen mögen keine Grenzen. So nehmen sie den Exodus all jener Christen in Kauf, die auch Klugheit für eine christliche Tugend halten. Die Kirche will offenbar wieder werden, was sie angeblich nie war: eine Gemeinschaft der Reinen. Der Weg zum Himmel ist nun mit guten Vorsätzen gepflastert.

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