Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt - Die kopflose und nervöse CDU

Weil sich die CDU in Sachsen-Anhalt weigert, sich von einem Mitglied mit rechtsextremer Vergangenheit zu trennen, droht die Kenia-Koalition zu zerbrechen. Davon würde eine Partei profitieren, von der sich die CDU bislang ferngehalten hat

In Bedrängnis: Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Warum will sich die CDU in Sachsen-Anhalt nicht von einem Mitglied mit rechtsextremer Vergangenheit trennen? Das Schweigen der Parteiführung in dieser Frage ist ohrenbetäubend. Hat Holger Stahlknecht, CDU-Chef in Sachsen-Anhalt und gleichzeitig Innenminister, seinen Laden noch unter Kontrolle? Nach diesem Wochenende darf daran gezweifelt werden.

Und die Schwäche des CDU-Politikers, der perspektivisch die Nachfolge des amtierenden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff antreten sollte, könnte die ohnehin volatilen politischen Verhältnisse in dem ostdeutschen Bundesland durcheinanderwirbeln. Während an diesem Montag die Mitglieder der Kenia-Koalition, also CDU, Grüne und SPD, schon wieder versöhnliche Töne verbreiten, schien das Ende des Zweckbündnisses am Wochenende noch nah.

Neonazi-Tattoo 

Grund dafür war eine Provinzposse, die in einem funktionierenden Parteiapparat eigentlich schnell geregelt worden wäre. Mitte letzter Woche war bekannt geworden, dass Robert Möritz, 29-jähriges Mitglied des CDU-Kreisvorstands in Anhalt-Bitterfeld, 2011 Ordner auf einer Neonazi-Demo war, dass er Mitglied in der von Kritikern als rechtsextrem eingestuften Organisation Uniter ist – der Generalbundesanwalt überprüft die Gruppierung zur Zeit – und bis heute eine Schwarze Sonne, ein in Neonazi-Kreisen verbreitetes Tattoo, auf dem Körper trägt.

Der Kreisvorstand lud Möritz zur Aussprache und sprach ihm danach einstimmig sein Vertrauen aus. Möritz selbst bedauerte seine Teilnahme an der Neonazi-Demo und schrieb in einer Stellungnahme: „Gestehen Sie mir zu, dass auch ich mich als Persönlichkeit und Mensch weiterentwickelt habe.“Und was tat die Führung der Landes-CDU?

„Wieviel Hakenkreuze haben Platz in der CDU?“

Sie schwieg. Ministerpräsident Reiner Haseloff schwieg – man mag das akzeptieren, weil er in der Landes-CDU kein Parteiamt bekleidet. Aber auch CDU-Landeschef Holger Stahlknecht schwieg. Sein letzter Post auf Facebook stammt vom 10. Dezember und beschäftigt sich mit Fragen der Landwirtschaft.

Die Kommunikation übernahm stattdessen Sven Schulze, Generalsekretär und Europa-Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt. Der blies am Samstag zum Gegenangriff gegen die Grünen, die in einer Pressemitteilung die Entscheidung des CDU-Kreisverbandes kritisiert und provokant gefragt hatten: „Wie viele Hakenkreuze haben Platz in der CDU?“ Schulze forderte eine Entschuldigung von den Grünen, ohne die „eine Fortsetzung der Koalition kaum denkbar“ sei.

Recht auf eine zweite Chance  

Eine Botschaft wie diese zeigt vor allem eines: Wie kopflos und nervös die CDU in Sachsen-Anhalt momentan ist. Eine Entschuldigung von den Grünen wird es natürlich nicht geben. Ein Hasardeur gleichzeitig, wer wegen einer solchen Frage die Koalition infrage stellt. Natürlich ist es richtig, erstmal den Beschuldigten anzuhören. Und Menschen verdienen auch eine zweite Chance – das galt, ältere Semester erinnern sich, auch für den in Studentenjahren steinewerfenden und später zum Außenminister aufgestiegenen Joschka Fischer.

Aber wie weit sich Möritz seit 2011 wirklich vom rechtsextremen Spektrum entfernt hat, darf angezweifelt werden. Auf seinem Twitter-Account soll er mit seiner „Schwarzen Sonne“ posiert haben. Das Zeichen gilt als SS-Symbol und ist heute in rechtsextremen Kreisen ein beliebter Hakenkreuz-Ersatz, weil es nicht gesetzlich verboten ist.

Stahlknecht als Verlierer 

So banal es klingt: Tattoos lassen sich auch entfernen oder „übermalen“. So sieht ein wirkliches Abschließen mit einer rechtsextremen Vergangenheit aus. Dass Schulze am Sonntag bekanntgab, Möritz sei inzwischen aus dem Verein Uniter ausgetreten, ist dagegen kein starkes Zeichen. Auch dass Möritz nach Bekanntwerden der Vorwürfe seine Accounts in den sozialen Netzwerken löschte, lässt das Misstrauen eher größer werden.

Als großer Verlierer steht der nun der schweigende CDU-Landeschef Stahlknecht da. Erst scheiterte er mit der von ihm betriebenen Ernennung des umstrittenen Chefs der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt zum Innenstaatssekretär – unter anderem, weil Wendt gar nicht bestellt werden kann, da in Nordrhein-Westfalen beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahmen gegen ihn verhängt worden waren.

Mauer zur AfD bröckelt 

Auf dem Parteitag der regionalen CDU Anfang Dezember dann die nächste Niederlage: Eine klare Abgrenzung zur AfD wurde zu einem Beschluss aufgeweicht, der die Möglichkeit einer von der AfD tolerierten Minderheitsregierung offenlässt. Der aktuelle Fall zeigt, wie schwach Stahlknecht in dieser Frage ist.

Der Damm zwischen der in Sachsen-Anhalt weit rechts stehenden CDU und der AfD ist von den Strömungen schon vielerorts abgetragen und unterspült. Zerbräche die Kenia-Koalition, könnte die CDU sich nur noch von der AfD tolerieren lassen. Oder die für das Frühjahr 2021 angesetzten Landtagswahlen kämen deutlich früher als geplant.

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