Kampf gegen die Corona-Pandemie - Es gibt Grund zur Zuversicht

Die Politik darf im Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht länger „Auf Sicht“ fahren. Eine vorausschauende Strategie ist gefordert, die auf Emotionalisierung verzichtet und auf einem breiten Gesellschaftlichen Konsens beruht. Dann wird es bald möglich sein, mit dem endemisch gewordenen Virus zu leben.

Falsche Maßnahmen sollte man fallenlassen - wie das Maskentragen im Freien / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Wolfgang Walter ist Anästhesist und arbeitet auf der Covid-Intensivstation eines bayerischen Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung.

So erreichen Sie Wolfgang Walter:

Anzeige

Zugegeben: Es ist nicht einfach, tagtäglich der pandemischen Frontberichterstattung ausgesetzt zu sein und nicht hysterisch zu reagieren. Vielleicht habe ich es als Klinikarzt auf einer Intensivstation in direkter Konfrontation mit schwerem Covid leichter, die vernünftigen Stimmen aus dem kakophonischen Chaos zu identifizieren. Dem Virus begegne ich mit dem gebotenen professionellen Respekt, aber angstfrei. Dabei hat mir die Impfung geholfen, die ich als zusätzliche Absicherung bei Versagen der Schutzmaßnahmen betrachte. 

Ein funktionierendes Pandemiemanagement erfordert genau diese Entemotionalisierung und vor allem einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Erforderlich wäre ein allgemeines Verständnis, wie eine Pandemie funktioniert. Das ist – ganz nebenbei – einfach sehr spannend. Wissensdrang und Neugier waren die Gründe, warum ich das Studium der Humanmedizin vor mehr als 30 Jahren begann. Beides kann helfen, Ängste und Befürchtungen in den Griff zu bekommen.

Was Ärzte und Pflegende in ihrer alltäglichen Arbeit mit Covid-Patienten jedoch mehr belastet, ist die wachsende Erkenntnis, dass ein Großteil der schweren Verläufe vermeidbar gewesen wäre. Mindestens ein Drittel der Intensivpatienten verstirbt trotz aller aufwendigen Bemühungen. Das frustriert zusätzlich. Die wenigsten von uns können sich vorstellen, dauerhaft mit einer solchen Anzahl von Covid-Patienten weiterzuarbeiten. Pflegekräfte werden das Handtuch werfen, wenn kein Ende der Pandemie in Sicht kommt. Und schließlich bedrückt es mich persönlich: Jeder ungeimpfte Covid-Tote ist auch Folge eines Versagens. Und da meine ich uns alle.

Lockdowns haben keinen nachhaltigen Effekt

Lockdowns, Drohungen und „Notbremsen“ verzögern jedoch das Pandemieende. Klaus Holetschek, bayerischer Gesundheitsminister, nennt sie beispielsweise etwas beschönigend den „bewährten Instrumentenkasten“ (manche erkennen darinnen auch Folterwerkzeuge) und ruft nach ihnen wie ein heißhungriger Diabetiker nach Zucker. Die Wellenbewegung der Pandemie schaukelt sich damit so auf wie der Blutzuckerspiegel zwischen Insulindosis und Sahnetörtchen. 

Da sind zum einen die Lockdowns. Unterbindung von Schulbetrieb, Kinderbetreuung, Freizeit- und Kulturaktivitäten schränken Kontakte und Mobilität ein. Markus Söder nennt den Vorgang „Herunterfahren“. Nach 21 Pandemiemonaten sind sie ein Offenbarungseid versagenden Pandemiemanagements, vor allem aber ein deutlicher Hinweis auf Immunitätslücken. Zwar sinken Infektionszahlen im Lockdown vorübergehend, ein nachhaltiger Effekt ist aber unwahrscheinlich. Ohne Fortschritte bei der Immunisierung der Bevölkerung ist jede Vernachlässigung der Prävention die Initialzündung zur nächsten Welle. Und nach allen Wellen ist dieses Virus immer noch da. Menschen werden sich weiterhin infizieren und an Covid sterben. 

„Geimpft, genesen oder tot“. Solche Drohungen nutzen sich ab. Was will man denn in der nächsten Welle sagen?

Endemie ist die neue Normalität

„Notbremsen“ sind Folgen vermeidbarer Versäumnisse und falscher Schwerpunktsetzung. Wahlkampf und Regierungsbildung haben zu einer Verschärfung der Lage beigetragen. „Auf Sicht“ zu fahren gilt als schick und war dennoch schon in der Fahrschule falsch. Das Resultat: Da im Sommer gerade nichts in Sicht war, fuhr der Bund die Impfinfrastruktur herunter, der Gesundheitsminister ließ sich für den Impferfolg feiern, sogar Söder setzte mit seiner Ankündigung, Clubs und Diskotheken im Oktober wieder zu öffnen, falsche Signale. Karl Lauterbach folgte noch am 31.10.21 der Stiko und plädierte dafür, lediglich über 70-Jährige, Krebspatienten und medizinisches Personal zu boostern. Und jetzt: Vollbremsung. Ganz ehrlich: Mir wird da schlecht. Die Politik muss sich eine mehr vorausschauende Fahrweise aneignen.

Wir sollten uns damit abfinden: Die Endemie ist die neue Normalität. Nein, ich will die Durchseuchung nicht einfach so laufen lassen. Ich hätte die Folgen selbst zu mitzutragen. Alle Erwachsenen meiner eigenen Familie, Eltern, Kinder, Enkelkind inklusive Schwager sind geimpft, und dennoch: Ich setze mein eigenes Leben und die Gesundheit meiner Lieben nicht aufs Spiel, indem ich leichtfertig zu etwas rate, was unvertretbar wäre. Ich habe keinerlei Interesse, dass sich die Intensivstationen noch mehr füllen, egal durch welche Umstände. 

Von der ersten Reihe aus betrachtet besteht für mich kein Zweifel, dass der nicht mehr zu verkraftende Zuwachs an Covid-Intensivpatienten aus der Gruppe der Ungeimpften kommt. 2G ist, ob es uns passt oder nicht, genau der Zustand, welcher am Ende der Pandemie bestehen wird.

Wir leben mit vielen Krankheitserregern schon lange zusammen

Unvermeidliche „natürliche“ Boosterungen durch Re- und Durchbruchsinfektionen sind dann Normalität. Die unrealistische Vorstellung, dies dauerhaft verhindern zu können, zeugt von Unverständnis und mündet in schlechte Pläne. Es gibt keinen Grund zur Angst, sondern zur Zuversicht. Denn wir leben mit vielen anderen Krankheitserregern schon lange so zusammen. 

Pandemiemanagement erfordert Fehlerkultur, Voraussicht und nüchterne Kommunikation. Ich plädiere deshalb für eine intelligente präventive Einhegung dieses Virus. Ohne Kunstpausen, vorausschauend, ohne Jojo-Effekte und mit Fokus auf die Risikogruppen. 2G bedarf des Fingerspitzengefühls bei der Dosierung, vor allem in der Übergangsphase bis zum Eintritt in die stabilere Endemiephase.

Im krassen Gegensatz dazu die Realität: Gestern 50.000 Menschen im Fußballstadion, morgen „Geisterspiele“. Es ist nicht ehrenrührig, Fehler zu machen – aber es ist dumm, sie zu wiederholen. Was uns die Politik derzeit bietet, ist, freundlich formuliert, stark ausbaufähig. Zur Verbesserung müssten sich die Verantwortungsträger selbst übertreffen und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: Impfkampagnen besser organisieren, Kommunikation verbessern, die Glaubwürdigkeitskrise bekämpfen und damit die Impfbereitschaft steigern. Ebenso: einen dauerhaften Plan mit realistischen Zielen erarbeiten und dabei das Reiserückkehrmanagement nicht an unser Wunschdenken, sondern an die epidemiologischen Erfordernisse adaptieren. 

Aufklärung den Spezialisten überlassen

Aufgabe des Staates beim Pandemiemanagement bis zum Erreichen des endemischen Endzustandes ist es, optimale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Impfkampagne zu schaffen. Also Erleichterungen für Immunisierte zu gewähren, ohne Impf- und Nachimpfwillige zu verschaukeln, indem man sie mit nicht einhaltbaren Versprechungen lockt und gleichzeitig bei der Impforganisation kläglich versagt. Nicht die schlechteste Idee wäre es, die Aufklärung über die Impfungen den Impfspezialisten zu überlassen. Politiker sind Gesellschaftsspezialisten. Ihr Engagement ist gefordert für die Aufrechterhaltung des Impfwillens und für den Aufbau einer dauerhaften funktionierenden Impfinfrastruktur. Die wird auch benötigt für den zu erwartenden Fall einer Immunevasion des Virus. Ich wünsche mir dann, dass wir nicht immer wieder auf dem falschen Fuß erwischt werden und ohne den notwendigen modifizierten Impfstoff dastehen.

Was der Staat noch tun kann: vermeidbare Viruszirkulation verhindern. Generelle 2G-Regeln in Verbindung mit Personenzahlbegrenzungen und Maskenpflicht in schlecht belüfteten Innenräumen für alle öffentlichen Veranstaltungen, Gastronomie, Kultur und Tourismus wären seit dem Sommer angebracht gewesen. Einen aktuellen Immunstatus (nicht älter als die bereits in Diskussion befindlichen sechs Monate) und einen chirurgischen Mund-Nasenschutz halte ich auch jetzt noch für ausreichend. Auffrischungsimpfungen werden erforderlich bleiben. Diese Maßnahmen müssen nüchtern erklärt und beibehalten werden, bis die Endemie erreicht ist. Erst danach können sie schrittweise fallen. 

Masken im Freien sind entbehrlich

Leben ohne Masken und Tests? Das Virus ist unsichtbar. Sollte ich das mal vergessen, helfen die allgegenwärtigen staatlich angeordneten Maßnahmen meinem Gedächtnis schnell auf die Sprünge. Noch immer ist es ungewohnt, mit dem Verlassen des Krankenhauses die Schutzmaßnahmen nicht hinter sich lassen zu können. Abschalten, eine Auszeit vom Covid-Geschehen ist erheblich erschwert.  

Was mich besonders stört: 

– Masken an der frischen Luft: Sie sind infektionsepidemiologisch entbehrlich, eine wesentliche Übertragung im Freien wurde nicht nachgewiesen. 

– „2G plus“: Diese Regelung ist das Armutszeugnis für die verstolperte Boosterung ab August. Sie konterkariert alle Bemühungen, die Impfmotivation zu steigern. Einige Bundesländer haben nun kurzfristig aktuell Nach-Immunisierte von der Testpflicht ausgenommen. Warum dies allerdings nicht zunächst für frisch Zweitgeimpfte und Genesene galt, ist unverständlich. Während des Schreibens dieser Zeilen wurde wiederum nachgelegt, und nunmehr gelten sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung als ausreichend. Vorgeschoben wird die zwischenzeitlich eingeholte Expertise. Warum man die nicht vorher eingeholt hat, kann nur spekuliert werden. Welch eine groteske Irrfahrt!

Warum gesunde 18-Jährige zwangsimpfen?

Impfpflicht als „ultima ratio“? Einer Impfpflicht stehe ich reserviert gegenüber und betrachte sie tatsächlich als letzten Ausweg. Warum gesunde 18-Jährige zwangsgeimpft werden sollen, wenn eigentlich Risikopatienten und Ältere lückenlos geimpft sein müssten, verstehe ich nicht ganz. Auch hier müsste der Staat Möglichkeiten suchen, dieses Ziel mit milderen Mitteln zu erreichen. 

Eine Impfpflicht wird auch deswegen debattiert, weil wir bisher die notwendige Impfquote zur Abmilderung der Winterwelle verfehlt haben. Das wird gerade hier in Bayern und dem angrenzenden Österreich sichtbar – beides Länder, welche sich durch unterdurchschnittliche Impfquoten auszeichnen. Einige der ungeimpften Covid-Patienten, welche ich sah, wären durch eine Impfpflicht erreichbar gewesen, andere nicht. Nach wie vor findet das Infektionsgeschehen nach meiner Erfahrung mit den Covid-Patienten überwiegend ungeimpft und im privaten Bereich statt. Jetzt ist wichtig, die Zahl der Menschen, welche für schwere Verläufe anfällig sind, konsequent so klein wie möglich zu machen. Und dafür können wir etwas tun!

Erst-, Zweit-, und Drittimpfungen helfen uns, diese Verläufe zu vermeiden und gleichzeitig die Schwelle zur Endemie schneller und mit weniger Opfern zu erreichen. Es fehlt nur an Impfwilligen. Leider sind 20 Prozent der Erwachsenen ungeimpft. Nur die Hälfte von ihnen zu überzeugen, dürfte die Zahl der Intensivpatienten deutlich senken. Eine Impfflicht für Krankenhauspersonal führt hingegen am Ziel vorbei. Wir brauchen in erster Linie geimpfte Patienten.

Die SARS-CoV-2-Pandemie ist ein Marathonlauf gegen das Virus. Es macht keine Pause. Wettrennen kann man verlieren. Wer Umwege läuft, verschlechtert seine Chancen. Wer Fehler zu spät korrigiert, auch. Wer gar nicht mehr läuft, hat schon verloren. Dass so etwas wiederholt passiert, erstaunt mich stets aufs Neue. Wir müssen uns endlich vor das Virus platzieren und nicht mehr überholen lassen.

Anzeige