Juso-Chef Kevin Kühnert - Ein Querulant will die SPD retten

Die SPD befindet sich in einem desolaten Zustand. Auch unser Autor hat sich in den vergangenen Jahren von den Sozialdemokraten entfremdet. Kann Kevin Kühnert ihn zurückholen?

Querulant der SPD? Kevin Kühnert / picture alliance
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Autoreninfo

Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Es sind umtriebige Zeiten für die SPD im Speziellen und für den Politikbetrieb im Allgemeinen. Und wenn man den politischen Kommentatoren glauben darf, dann liegt das zum Großteil an einem Politikstudenten aus Berlin: Kevin Kühnert. Denn der Juso-Chef will die 463.723 SPD-Mitglieder davon überzeugen, bei der Mitgliederbefragung die Große Koalition abzulehnen.

Ich selbst bin kein SPD-Mitglied. Zu Studentenzeiten, als mein halber Freundeskreis sich politisch engagieren wollte, da wäre ich mal fast den Jusos beigetreten. Aber irgendwie hatte ich mir politisches Engagement damals ein wenig knalliger vorgestellt, mit weniger Tagesordnungspunkten und mehr Utopien. Und so habe ich es dann doch gelassen. 

Alternativen? Es gibt sie wirklich!

In den vergangenen Jahren habe ich die SPD auch nicht mehr gewählt. Zu konturlos erschien mir die Partei und ich wusste eigentlich gar nicht mehr, wofür ich sie überhaupt hätte wählen sollen. Aber jetzt ist da plötzlich dieser Kevin Kühnert, über den alle reden und der sich anschickt, über die gesamte Sozialdemokratie neu zu diskutieren. Kann er mich nach der Entfremdung der letzten Jahre wieder für die Sozialdemokratie begeistern?

Für einen echten Politikwechsel – unter diesem abgedroschenen Slogan tourt Kühnert gerade durch die gesamte Republik und will erklären, warum er die Groko ablehnt. Ich (Jahrgang 1993) kann mich kaum daran erinnern, mal von jemand anderem als Angela Merkel regiert worden zu sein und so gehe ich am Dienstagabend auch auf einen Gig der No-Groko-Tour von Kevin Kühnert. Die Diskussion findet in einer türkischen Kulturgemeinde statt, mitten in Berlin-Kreuzberg. Ein wenig aufgeregt steige ich aus der U-Bahn und will zu diesem Mann gehen, der sagt, dass es eine Alternative zur Groko gibt und vielleicht, also wirklich nur unter Umständen, sogar ein Kanzleramt ohne Angela Merkel. Dabei ist dieser Mann nur ein paar Jahre älter als ich.

Sieht so etwa ein politischer Shooting-Star aus?

Kevin Kühnert, Juso-Chef, Jahrgang 1989 sieht ganz und gar nicht aus wie der Shooting-Star der deutschen Sozialdemokratie. Er schlurft in Sneakern auf das Podium, lässt die Schultern hängen und senkt den Blick, wenn ihn die Kamerateams wie Straßenhunde belagern. Kühnert sieht genervt aus von dem Medienrummel um ihn herum. Soll das jetzt etwa der Anführer der jungen, linken und mutigen Revolution sein, der ich mich hier anschließen will?

Kevin Kühnert selbst würde wahrscheinlich sagen: Nein. Kühnert wehrt sich gegen Revolutionsallüren. Ein Mann aus dem Publikum meldet sich und fragt, ob denn jetzt nicht nach dem Schulz-Hype der Kühnert-Hype drohe. Da nickt Kevin, wie ihn hier alle ganz selbstverständlich nennen, eifrig und stimmt dem Mann zu. Sowieso hebt Kühnert bei jeder Gelegenheit hervor, dass man nicht das ganze Personal der SPD umsortieren müsse. Dafür zollt ihm auch die Parteiführung Respekt. 

Wider den Politikverdruss 

Kühnerts Talent ist es, den großen Entscheidungen die Tragik zu nehmen. Die SPD zu erneuern heiße nicht, die gesamte Funktionärsebene zu liquidieren. Neuwahlen bedeuteten nicht die Machtergreifung von Neonazis. Und eine glaubhafte Alternative zur Union sei nicht der Kommunismus. 

„Wenn wir Politik machen, weil wir Angst vor etwas haben, dann sind wir verloren“, sagt Kühnert und erfrischt mich dabei mit seinem Optimismus. Denn seit ein paar Jahren beginne ich, die Politikverdrossenen zu verstehen. Vielleicht sind es die Auswirkungen der Merkel-Trägheit, oder die Tatsache, dass sich die SPD, eigentlich Gegenpol der Union, als natürlicher Koalitionspartner von Merkel geriert. Die Alternativen zu den beiden Volksparteien scheinen mir auch nicht viel besser: menschenverachtend auf der einen Seite des Spektrums und zu selbstgerecht auf der anderen Seite. 

Politisches Abenteuer versus Pragmatismus

Dabei will ich doch keiner von den Politikverdrossenen sein! Darum tut es so gut, den Juso-Querulanten zu beobachten. Wer aufregende Politik sehen will, dem empfehle ich ein Besuch auf der No-Groko-Tour. Da, wo die SPD-Basis ihrer berühmten Streitlust fröhnt und Kevin Kühnert keine apodiktischen Weisheiten predigt, sondern immer wieder ein „Ich-bin-mir-da-auch-nicht-ganz-sicher“ zwischenschiebt. Denn auch Befürworter der Groko sind eingeladen. Sie sorgen sich darum, das gute Verhandlungsergebnis der SPD mit politischen Abenteuern zu gefährden. 

Politisches Abenteuer oder sozialdemokratischer Pragmatismus? Darin kondensiert sich die Debatte in der SPD. Ich persönlich glaube daran, dass es besser ist, sich gelegentlich für das scheinbar Irrwitzige zu entscheiden, als sich vom Diktat des Immergleichen hypnotisieren zu lassen. Aus Angst, man könnte scheitern.

Aber das ist nicht der Punkt. Nachdem Kühnert fertig ist, unterhalte ich mich mit Sevim Aydin von der SPD Friedrichshain-Kreuzberg. Ob sie glaube, dass Kühnert die Zweifler überzeugt habe, will ich wissen. „Ich glaube nicht, dass es uns heute Abend wirklich darum gegangen ist“, sagt sie. Die No-Groko-Tour sei weniger eine Werbekampagne, sondern mehr ein Forum, um über die Große Koalition zu diskutieren und neue Ideen zu entwickeln. 

Und was geht in der CDU so?

Das ist der Punkt. Die SPD ist zwar aktuell nicht die Partei, die den Mut hat, sich für Utopien stark zu machen, aber wenigstens diskutiert sie darüber. Mit Billigung von der Parteiführung. Am 17. Februar startet Andrea Nahles ihre Gegentournee in Hamburg, auf der sie die Parteimitglieder für die Groko gewinnen will. Was bei der Debatte um den Mitgliederentscheid der SPD häufig vergessen wird: Auch die CDU stimmt über die Groko ab. Die 1001 Delegierten des Parteitages werden am 26. Februar über eine Koalition mit CSU und SPD entscheiden.

Anruf in der CDU-Pressestelle: „Gibt es eigentlich bei Ihnen Werbeveranstaltungen für oder gegen die Groko?“, frage ich die Dame am Telefon. „Puhh, das muss ich erstmal nachfragen“, sagt sie, legt den Hörer beiseite, berät mit den Kollegen und sagt schließlich: „Nee, also von so was wissen wir hier nichts.“ 

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