Sechster Weltklimabericht - „Die Politik lässt manchmal den Gaul durchgehen“

Der Weltklimarat IPCC der Vereinten Nationen hat einen neuen Teilbericht zum Klimawandel vorgelegt. „Sofort, schnell, nachhaltig“ sollen Treibhausgas-Emissionen verringert werden, heißt es in der Zusammenfassung für politische Entscheider. Ist das noch Wissenschaft oder nur Politik? Ein Gespräch mit dem Klimaforscher Hans von Storch.

Menschen überqueren eine überflutete Straße im indischen Thrissur / dpa
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Dr. Pascale Anja Dannenberg hat Medienwissenschaft studiert. Sie ist Online-Redakteurin bei Cicero.

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Hans von Storch ist Klimaforscher und Meteorologe. Er war bis 2015 Professor am Institut für Meteorologie der Universität Hamburg und Leiter des „Instituts für Küstenforschung“ am Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht.

Herr von Storch, der vom Menschen gemachte Klimawandel sei „praktisch sicher“ heißt es im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), in der Zusammenfassung für politische Entscheider. Ist das also weiterhin vage?

„Praktisch sicher“ erscheint mir keine vage Aussage. Im Rahmen der Wissenschaft ist das fast das Maximum. Wissenschaft macht immer unsichere Aussagen. Wir halten einen Irrtum immer für möglich, wenn neue Evidenz reinkommen würde, die ihr widersprechen würde. Wir erwarten das aber in diesem Fall überhaupt nicht. Aber im Grundsatz liefert Wissenschaft keine 100-prozentige Sicherheit. Das ist eigentlich das Maximum an Sicherheit, das überhaupt dargestellt werden kann.

Diese Zusammenfassung für politische Entscheider ist in einem Aushandlungsprozess von Politik und Wissenschaft entstanden. „Sofort, schnell, nachhaltig“ sollen Treibhausgas-Emissionen verringert werden. Ist das noch Wissenschaft?

Ich habe das bisher nicht als problematisch gesehen. Da hat die Wissenschaft halt eine Art Veto, genauer gesagt, die wissenschaftlichen Vertreter. Und wenn die Politik da etwas reinschreiben will, dass nun wirklich dem widerspricht, was in der Wissenschaft rausgefunden worden ist, dann werden die da sagen: Nee, so geht das nicht, und dann wird es auch so nicht gehen. Vielleicht ist es auch eine gewisse Kontrolle, dass die Wissenschaft auch innerhalb ihres Bereiches bleibt, nämlich in der Wissenschaft. Und nicht anfängt, plötzlich zu sehr politische Forderungen aufzustellen.

Soll mit dem Bericht Druck auf die Klimapolitik ausgeübt werden?

Nein, das sehe ich nicht so. Dass die Politik und die Öffentlichkeit das daraus liest, das kann schon gut sein. Aber es steht der Wissenschaft zunächst einmal nicht zu, zu sagen, ihr sollt dies und jenes machen. Aber Wissenschaft kann sagen, wenn ihr dieses oder jenes erreichen wollt, also zum Beispiel das Klimaziel, dann gelingt das nur, wenn dieses und jenes realisiert wird.

Die Fraktionsspitzen im Deutschen Bundestag meldeten sich jüngst zum Klima zu Wort: Die SPD drängt auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Die CDU weist mit dem Finger auf die G20, Deutschland und Europa hätten ja schon Nachjustiert beim Klimaabkommen. Und Die Linke fordert Kohleausstieg 2030, Gasausstieg und Klimaneutralität 2035. Was ist politisch sinnvoll und warum?

Für mich ist sinnvoll vor allen Dingen die Frage nach dem Ausbau erneuerbarer Energie oder besser der Entwicklung der Technologie erneuerbarer Energien. Also nicht so sehr Frage, wie viele Windturbinen dann in der Landschaft stehen. Sondern, dass es gelingt, einen Windpark zu entwickeln, der wirtschaftlich attraktiv ist, sodass eine Nachahmung im Rest der Welt erfolgt und damit nicht nur eine geringe Einsparung an Emissionen in Deutschland – eine Einsparung, die im Grunde völlig belanglos ist, die aber über ihre technische Realisierbarkeit durchaus relevant sein kann, weil sie nämlich ermöglicht, in anderen Ländern, in denen auch emittiert wird, Emissionen herunterzubrechen. Das glaube ich, ist der entscheidende Punkt, also nicht die direkte Einsparung durch unsere Nutzung von Energie. Sondern das Angebot, man kann das so machen, und das ist auch noch wirtschaftlich attraktiv.

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Hans von Storch / J. Xu

Ist es denn falsch, Druck auf die G20 auszuüben?

Wie wollen Sie das denn machen? Wie wollen Sie denn die Wirtschaft dazu kriegen? Der einzig konstruktive Weg ist meiner Meinung nach die Entwicklung von Technologie, die dann im Rest der Welt wie auch bei uns wirksam wird. Das ist ja nicht so, dass wir die Heilsbringer sind. Aber wir können mitwirken daran, mit unserer Ressource technischer Intelligenz und Einsicht in die Vorgänge. Das ist der Hebel, auf den ich setzen würde.

Also konstruktive Anreize schaffen, statt auf Verbote zu setzen?

Ja, vor allem hat letzteres keine weltweite Wirkung. Es geht eben um 35 bis 40 Gigatonnen CO2, die da eingespart werden müssen, davon bei uns in Deutschland weniger als eine. Selbst wenn wir auf null sind, hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Aber wenn die Technologie, die uns das ermöglicht hat, auch in anderen Ländern wirksam wird, dann hat es sehr wohl eine Wirkung.

Ein Beispiel?

Nehmen Sie Südafrika. Dort gibt es eine Menge Probleme. Da steht das Klimaproblem nicht unbedingt an erster Stelle, sondern Fragen wie Gleichheit, Armut, Medizin. Das ist dort prioritär. Aber natürlich sieht die ganze Welt Filme aus Hollywood. Und das, was da aufgezeigt wird, ist auch das, was die allermeisten in der Welt gerne haben wollen. Das heißt, sie wollen eben auch auf das Konsumlevel kommen, das dem des Westens entspricht. Und nur weil wir jetzt sagen, wir verzichten auf einen Teil unseres Konsums, wird das im Rest der Welt nicht geschehen, weil eben der Wunsch nach diesen Entwicklungszielen doch überwältigend ist.

Was kann der einzelne Bürger tun?

Ich glaube schon, dass er was tun kann. Aber es ist eben nicht der Verzicht, der wirkt. Sondern es ist erstens die Bereitschaft, in die Entwicklung solcher Technologien zu investieren. Diejenigen Menschen, die gut finanziell ausgestattet sind, könnten sich vielleicht dazu durchringen, freiwillige Steuern zu zahlen oder Abgaben zur Entwicklung von Technologien. Gern auch für Projekte, die ich Apollo-Projekte nenne, also sagen wir: In zehn Jahren schaffen wir dieses und jenes, etwa einen klimaneutralen Schiffsantrieb. Und wenn diese Menschen dann jeden Monat 500 oder 1.000 Euro freiwillig dafür beisteuern, wäre das natürlich eine ganz gute Sache. Das würde lustigerweise auch mit einem gewissen Verzicht in den Alltag hineinwirken. Aber zunächst einmal wäre das eine zumutbare Leistung und nicht etwa eine Leistung, die von Menschen abverlangt wird, die ohnehin auf jeden Euro schauen müssen.

Und zweitens?

Zweitens kann jeder Bürger mitwirken an der Entwicklung marktreifer Technologie durch Kauf und Nutzung von, wenngleich nur bedingt ausgereiften, Produkten wie LED-Lampen (früher) oder Elektroautos (heute).

Weiteres?

Mein dritter und letzter Punkt ist der Verzicht auf Sankt Florian. Nämlich diese Unsitte zu klagen angesichts jeder Art von Modernisierung, die meistens auch durchaus in Richtung Klimafreundlichkeit oder -neutralität geht; dagegen zu klagen, dass irgendetwas angeblich umweltmäßig nicht zu brauchen sei. Denken wir an den Fehmarnbelt-Tunnel oder an den Versuch, eine neue Bahnanbindung für Hamburg herzustellen. Dass da immer sofort geklagt, das muss aufhören. Das ist Egoismus, vorgeschobener Umweltschutz. Aber es geht letztendlich den Menschen immer um die Erhaltung des Status Quo.

Und was kann die Wissenschaft tun?

Die Wissenschaft soll das tun, was sie tut. Sie soll also dafür sorgen, dass wir die sehr komplexen Zusammenhänge im Klimasystem selbst und den Zusammenhang mit allen anderen Aspekten des Benehmens aufhellen und klären. Dazu ist Wissenschaft da. Und das soll sie möglichst kalt machen, also in einem emotionslosen Zustand. Emotionen helfen nicht dabei, klar zu denken. Weiterhin sollte sie sich auch klar werden darüber, in welchem Maße gesellschaftlich konstruierte Werte in ihr Geschäft eingreifen. Das heißt, in welchem Maße sie möglicherweise auch Repräsentanten von Werten sind.

Was ist von der immer wieder aufflammenden Kritik sowohl von politischer als auch von wissenschaftlicher Seite am IPCC zu halten? Wird der Klimawandel übertrieben dargestellt? Oder sind die Einschätzungen zu vorsichtig?

Dass der IPCC dramatisiert, diese Behauptung kommt natürlich aus einer gewissen politischen Ecke, der die Klimaschutzpolitik nicht gefällt – dahingehend, dass, wenn die Folgerungen, die daraus gezogen werden, falsch sind, müssen auch die Argumente falsch sein. Andererseits gibt es das Verlangen, den Meeresspiegelanstieg perspektivisch zu überhöhen, angetrieben von alarmistischen Wissenschaftlern. Aber ich würde beide nicht zu ernst nehmen. Und doch ist es natürlich so, dass sich beide Seiten – die, die sagen, der IPCC übertreibe, und die, die sagen, der IPCC untertreibe – sehr für die mediale Nutzung eignen. Also wenn man Streit, Probleme inszenieren will.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gehört jedenfalls zu den Vertretern, die schärfere Klimaauflagen als die des Klimarats fordern.

Es gab ja auch einen Mitarbeiter da, der zunächst als Autor im letzten IPCC-Bericht vergeblich versucht hat, schärfere Auflagen durchzusetzen, um es dann als Mitglied der bundesdeutschen Politikdelegation noch mal zu versuchen. Das ist schon ein Hinweis darauf, dass die Politik da manchmal den Gaul durchgehen lässt.

Das heißt?

Wenn jemand dafür bekannt ist, dass er vielleicht zu sehr seine eigene Resultate in den Brennpunkt stellt, ist er vielleicht nicht besonders geeignet an dieser Stelle. Das heißt aber nicht, dass er kein guter Wissenschaftler ist.

Der jüngste IPCC-Bericht soll auf der Grundlage genauerer Modelle erarbeitet worden sein, wodurch frühere Beobachtungen bestärkt worden seien. „Beobachtung“ klingt für den Laien vage, subjektiv. Was ist gemeint?

Ausgangspunkt ist die Bewertung, ob wir einen Klimawandel haben und worauf dieser zurückgeht. Und das geschieht natürlich zuerst anhand von Beobachtungen, Daten, die im Laufe der Zeit gesammelt worden sind. Für die Deutung dieser Daten treten dann Modelle hinzu. Wenn wir zum Beispiel wissen wollen, wie stark das Klima von alleine schwankt, sind die momentanen Veränderungen, die wir sehen, außerhalb dieser natürlichen Schwankungsbreite. Da nehmen wir dann Klimamodelle hinzu, weil die Modelle diese Unsicherheit, also diese natürliche Schwankung, auch beschreiben.

Was können die Modelle bewirken?

Wenn wir dann tatsächlich Veränderungen feststellen, die nicht aufgrund natürlicher Varietät, also interner Vorgänge, zu erklären sind, dann sagen wir, es könnte jetzt A, B, C, D sein. Und dann müssen wir fragen: Was sind denn die Charakteristika von A, B, C, D? Und dafür brauchen wir wiederum Modelle. Da fragen wir dann: Wie sieht es denn aus, wenn die beobachteten Veränderungen auf Kohlendioxid, also Treibhausgase, zurückzuführen sind, auf Landnutzungsänderungen und so weiter. Es ist ein Zusammenspiel von beiden Teilen, von Beobachtungen und Modellen.

Dem IPCC-Bericht nach ist das 1,5-Grad-Ziel mit einer 83-prozentigen Sicherheit erreichbar, wenn die Atmosphäre seit 2020 mit maximal 300 Milliarden Tonnen Kohlendioxid angereichert wird. Doch betrugen die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen allein 2018 knapp 38 Milliarden Tonnen. Was ist von solchen Zahlenspielen zu halten?

Ich halte das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels für ausgesprochen unwahrscheinlich. Tatsächlich ist damit gemeint, 300 Gigatonnen CO2 in der Summe von jetzt an, und dann null, und danach vermutlich deutliche negative Emissionen. Bisher war immer die Rede von dem 2-Grad-Ziel bis 2050, was ich allerdings auch für unrealistisch halte.

Negative Emissionen – meinen Sie damit die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre?

Ja, aktiv CO2 aus der Atmosphäre herauszunehmen. Einmütigkeit besteht natürlich beim Anfahren der Vegetation, insbesondere der Wälder. Aber das reicht nicht aus, um die Mengen loszuwerden, um die es geht. Das heißt, dass wir auch technisch an diese Herausforderung herangehen müssen. Und dann stellen Sie sich mal unsere bundesdeutschen Mitbürger vor, denen Abfall von CO2 vor die Haustür gekippt wird. Da können wir sicher sein, dass das nicht geht. Auch der Widerstand gegen CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage), also Abspaltung von CO2 an Kraftwerken und Einlagerung in unterirdische Lagerstätten, war ja schon erheblich. Und am Ende wird man wahrscheinlich vorschlagen, dass das irgendwo „ganz weit weg“ abgelagert wird.

Vermutlich ein langer Entwicklungsprozess?

Die Entwicklung solcher Technologien dauert üblicherweise recht lange, Jahrzehnte, und das ist heute nicht zu sehen. Schon gar nicht in einem grundsätzlich technikfeindlichen deutschen Bürgertum. Das ist problematisch. Denken Sie nur an den Widerstand gegen den Ausbau der Windenergie.

Ein Blick in die Zukunft: Sind nach Corona wieder weiter steigende Treibhausgas-Emissionen zu erwarten? Zunehmende Extremwetter-Ereignisse? Kurz: Wird dieses Jahrzehnt über die Weichenstellung im Klimaschutz entscheiden?

Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass die Emissionen weiter steigen werden. Vielleicht allerdings deutlich weniger, als wenn das Pariser Klimaabkommen nicht beschlossen worden wäre. Das wäre ja auch schon mal ganz gut. Doch wann ein weltweiter Emissions-Peak, also das Maximum an Emissionen, erreicht sein könnte, das sehe ich nicht. China spricht davon, dass es 2030 soweit sein soll. Das wäre ja auch eine tolle Leistung für sie, wenn sie das hinkriegen würden. Und Indien ebenso.

Und Extremwetterereignisse?

Die werden ja alle in einen Topf geworfen. Es gibt verschiedene Extremereignisse, und einige haben die Tendenz, zuzunehmen, einige die Tendenz abzunehmen. Hitzewellen haben die Tendenz zuzunehmen, häufiger und länger zu werden, auch im Ozean sichtbar, sagt der IPCC. Noch nicht ganz eindeutig empirisch belegt für Deutschland ist die Zunahme von Starkniederschlägen. Sie sind stärker geworden; ob das am Klimawandel liegt, ist noch nicht abschließend geklärt, aber plausibel. Und allein aufgrund der Zunahme muss man vorsorgen. Es gibt aber bisher keine Hinweise auf eine Zunahme von Hagel oder heimische Stürmen, selbst hinsichtlich der Tropenstürme laufen noch die Diskussionen. Kältewellen hingegen werden weniger stark und seltener werden.

Sie sagten „vorsorgen“ wie?

Wir als Gesellschaft müssen dafür Sorge tragen, dass wir mit möglichen Extremwetterereignissen lokal leben können. All diese Extreme toben sich ja lokal aus. Ein Beispiel: Es gibt eine Straße in Bonn, die Annaberger Straße, die war selten, aber doch ab und zu überflutet. Dann baute man dort ein unterirdisches Abflusssystem, und seitdem ist es trocken. Also, man kann da durchaus überlegen, was man tun kann, doch das hat man in der Vergangenheit nicht getan. Da ist es dann auch dummes Gerede, wenn man sagt, „der beste Klimaschutz ist der beste Hochwasserschutz“. Das hieße, okay, wir brauchen uns um die Anpassung vor Ort nicht zu kümmern, wenn wir das Pariser Klimaabkommen erreichen, dann wird es keine Überschwemmungen mehr geben und wir können leben wie bisher.

Das heißt?

Die Bemühungen etwa von Fridays for Future führen nicht dazu, dass die Verletzlichkeit der Gesellschaft abnimmt, weil man auf die Straße geht und demonstriert, was zunächst einmal gar nicht hilft. Das soll jetzt nicht suggerieren, es gäbe keine Gefährdung, die ist weiterhin da, und wir müssen unseren Teil dazu beitragen, auch das 1,5-Grad-Ziel angehen. Aber was medial auch gerne gemacht wird, ist auf eine sich gegenseitig ausschließende Dualität zu setzen, auf entweder das eine oder das andere. Es geht aber darum, beides ernsthaft zu betreiben. Aber natürlich ist die Minderung, der Verzicht auf Fleisch viel mehr sexy als das Verlegen von Abflussrohren.

Die Fragen stellte Pascale Anja Dannenberg.

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