Landwirte vor der Bundestagswahl - „Die Idylle des Verbrauchers hört an der Ladentheke auf“

Auch die Landwirte stehen am 26. September vor der Wahlentscheidung: Wer soll in Zukunft Agrarpolitik machen? Was sich in der deutschen Landwirtschaft dringend ändern muss, beschreibt Landwirt Karl Matthias Müller.

Landwirt düngt mit Mineraldünger / dpa
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Autoreninfo

Charlotte Jost studiert Political- and Social Studies an der Julius-Maximilians Universität in Würzburg und ist Hospitantin in der Cicero Online-Redaktion.

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Der Landwirtschaftsmeister Karl Matthias Müller vom Schulzenbauers Hof in Schlat bei Göppingen bewirtschaftet einen Familienbetrieb mit rund 100 Milchkühen in einem Außenklimastall, welche von zwei automatischen Melkrobotern gemolken werden. Außerdem baut die Familie verschiedene Obstsorten integriert und kontrolliert an, die im hofeigenen Laden direkt zum Kauf angeboten werden.

Herr Müller, Sie betreiben konventionelle Landwirtschaft und besitzen einen Hof mit Milchkühen und Obstbäumen. Wie funktionieren beide Produktionsrichtungen miteinander?

Da wir ein Familienbetrieb sind, auf dem vier Generationen miteinander leben und arbeiten, können wir die Arbeiten miteinander erledigen, sodass jede Person einen Verantwortungsbereich hat. So manage ich das Milchvieh und den Ackerbau, mein Vater den Obstbau und meine Frau und meine Mutter den Verkauf.

Sie bauen auch Erdbeeren, Kirschen Zwetschgen, Birnen und Äpfel an. Wie fällt die Obsternte in dieser Saison aus?

Glücklicherweise war der Schaden des Spätfrosts im Frühjahr nicht so hoch wie zunächst befürchtet, sodass wir im Jahresvergleich sogar eine durchschnittliche Ernte erwarten.

Kommen Themen, die Sie als Landwirt betreffen, im Wahlkampf vor?

Es wird aktuell häufiger über die Landwirtschaft berichtet, oftmals erfährt sie jedoch ein negativeres Image, als es der Wirklichkeit entspricht.

Wie meinen Sie das?

Es wird oft vergessen, dass die Landwirtschaft sich bereits jahrelang beispielsweise mit Winterbegrünungen auf Ackerflächen fürs Klima einsetzt, weil sie existenziell auch auf den Erhalt von Biodiversität und Klimaschutz angewiesen ist. Leider stehen wir Landwirte schnell so da, als wären wir Schwerverbrecher im Thema Klima- und Artenschutz, insbesondere in den sozialen Medien. Und was man dort liest, wird von Laien oft geglaubt.

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Was denn?

Oft wird geglaubt, dass Landwirte alle Insekten totspritzen und das nur, um ein Maximum an Ernteertrag zu erhalten. Das ist nicht wahr, denn letztendlich sind Insekten für uns Nützlinge. Und diese alle zu beseitigen, würde uns selbst ruinieren.

Wie wirken Sie dem Negativimage der Landwirte entgegen?

Uns ist wichtig, dass die Kunden auch in den Stall schauen können und einen Einblick in die Obstproduktion erhalten. Wir haben im Hofladen viel Kundenkontakt, und es fällt auf, dass viele sehr positiv über uns Landwirte denken und unsere Arbeit wertschätzen. Wenn sie unsere Arbeitsvorgänge und Produktionsweise sehen, sind sie überrascht, wie modern und sorgfältig die Landwirtschaft heutzutage ist.

Seit 2011 regiert in Baden-Württemberg eine grün-schwarze Koalition mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Welche Auswirkungen hat das auf die Landwirtschaft?

Die landwirtschaftlichen Förderprogramme wurden ökologischer ausgerichtet. Der Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) traf Entscheidungen jedoch auf Tatsachen und normalem Menschenverstand gründend. Als über das Volksbegehren „Pro Biene“ harte Eingriffe in die heimische Landwirtschaft vorgenommen werden sollten, setzte sich Hauk dafür ein, dass die Maßnahmen abgemildert wurden. So war es möglich, dass Sonderkulturen wie Obst und Gemüse weiterhin angebaut werden konnten. Ginge es nach den Grünen, würde am liebsten alles verboten werden.

Gibt es Bereiche in der Landwirtschaft, denen die Politik mehr Aufmerksamkeit schenken muss?

Ich bin kein negativ eingestellter Mensch, und bei uns im Betrieb läuft im Moment alles weitgehend gut, weshalb ich nicht dem Klischee des meckernden Landwirtes entsprechen möchte. Aber es gibt wirklich ein paar Dinge in der Landwirtschaft, die sich ändern müssen.

Nennen Sie ein konkretes Beispiel. Wo bedarf es Änderungen?

Wir produzieren hier gentechnikfreie Milch. Wir haben unsere eigenen Futtermittel, und das Soja, das wir zukaufen, ist ebenfalls garantiert ohne Gentechnik. Dafür erhalten wir einen Cent Aufschlag pro Liter Milch. Der Milchpreis ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren eigentlich in Ordnung, aber das Problem ist der steigende Futterpreis sowie andere steigende Betriebskosten. Vor vier Jahren hat das gentechnikfreie Futter circa 40 Euro pro 100 Kilo gekostet. Inzwischen befinden wir uns jedoch bereits bei bis zu 75 Euro pro 100 Kilo Futter.

Erhalten Sie für diese Preissteigerung im Futter auch einen Aufschlag?

Nein, und das passt nicht zusammen. Wir stehen hinter gentechnikfreiem Produzieren, aber bei diesen Preissteigerungen des Futterpreises können wir langfristig finanziell nicht mithalten.

Was folgt daraus für Sie?

Das, was mich die Produktion kostet, ist irgendwann teurer als das, was ich verdiene. Noch schlimmer ist das bei Schweinehaltern, auch sie erhalten viel zu wenig für die Fleischproduktion. Ähnlich ist das bei Getreide. Die Verkaufspreise, insbesondere für Backweizen, sind dieses Jahr gut; jetzt vor der Ernte sind sie sogar gestiegen. Aber die Düngerpreise für die kommende Saison sind inzwischen so derartig hoch, dass alles an Gewinn dort wieder reinfließt. Das ist schlecht.

Wie steht es um die globale Konkurrenz?

Andere Länder haben häufig weniger strenge Auflagen, was Düngemittel und Schädlingsbekämpfung angeht. Es kann nicht sein, dass in Deutschland im Obstanbau beziehungsweise Pflanzenbau Pflanzenschutzmittel verboten sind, die in anderen Ländern zugelassen sind. Letztendlich landen die Produkte, die nicht unter deutschen Produktionsstandards im Ausland produziert werden, trotzdem in deutschen Supermärkten.

Was wünschen Sie sich also für die europäische Agrarpolitik?

Ich finde, dass importierte Produkte, die in Deutschland verkauft werden, den Produktionsstandards entsprechen sollten, wie sie in Deutschland für die deutsche Produktion gelten. Deutschland hat einen hohen Standard. Der soll auch noch besser werden, aber das ist nicht machbar, wenn es egal ist, mit welchen Mitteln importierte Produkte aus dem Ausland produziert werden und so den deutschen Markt unter Druck setzen. Deshalb wünsche ich mir, dass die Qualität unserer Produkte besser wertgeschätzt wird, nicht zuletzt, was den Verkaufspreis betrifft.

Gibt es kein Konsumbewusstsein der Verbraucher, die sich eher für Qualität statt Quantität entscheiden?

Der Laie wird den Unterschied in der Hochwertigkeit nicht rausschmecken. Mein Berufskollege hat mal bei einer Versammlung gesagt: „Die Idylle des Verbrauchers hört an der Ladentheke auf.“ Irgendwie bekomme ich diesen Satz seither nicht mehr aus meinem Kopf.

Karl Matthias Müller / Müller

Der FDP zufolge sollen künftig mehr landwirtschaftliche Erträge erwirtschaftet werden durch ein digitales „Smart Farming“ für alle landwirtschaftlichen Betriebe. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Auf jeden Fall sollte das ausgeweitet werden, wir sind ja selbst bereits sehr stark modernisiert. Unter dem Aspekt, dass etwa der Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmittel reduziert werden soll, kann durch „Precision Farming“ sehr viel beigetragen werden. Es wird genau ausgemessen, wo gestreut wird, sodass Düngemittel genau kalkuliert eingesetzt wird. Es lohnt sich auch bei der Dokumentation der Angaben, bei der ich früher einen Haufen Papierkram zu erledigen hatte: Saat, Maßnahmen, Menge, Zeitpunkt und Planung der Düngung, das muss alles genauestens und unverzüglich dokumentiert werden. Durch die Onlineverbindung des Dokumentationsprogramms mit der Ackerbaumaschine wird durch wenige Klicks die vollständige Dokumentation durchgeführt. Ich bin angesichts der steigenden Bürokratie in der Landwirtschaft erleichtert, dass es bereits solche Programme gibt. So spart man an Mitteln und Zeit.

Das heißt, die Zukunft der Landwirtschaft heißt Digitalisierung?

Ja. Man muss auch offen für fortscheitende Technologien sein, das sieht man zum Beispiel bei der breiten Nutzung von Smartphones. Früher bei vielen undenkbar und nicht notwendig, heutzutage nicht mehr wegzudenken. Nur so kann man mit der Zeit gehen und konkurrenzfähig bleiben.

Für wie realistisch halten Sie den Verzicht auf chemisch-synthetischen Dünger und Pestizide, wie es die Grünen vorschlagen?

Wenn wir komplett auf solche Mittel verzichten, können wir Deutschland nicht ohne Import von landwirtschaftlichen Produkten aus dem Ausland ernähren. Denn von nur Bio und einer größeren Anzahl an Brachflächen kann die stetig wachsende Bevölkerung nicht ernährt werden. Wir leben hier in Deutschland in einer Gunstlage mit ausgeglichen Regen und Sonne, in der es möglich ist, hochwertige Lebensmittel zu produzieren. Was die Qualität der Produkte angeht, ist Deutschland aktuell mit marktführend. Wenn wir aber komplett auf alle Schutzmittel et cetera verzichten, gehen die Erträge runter. Das Verbot von Pflanzenschutz und Mineraldünger funktioniert meiner Meinung nach nicht, allein, was die Nachfrage angeht.

Sie lehnen einen Komplettumstieg auf Bioproduktion also aus praktischen Gründen ab?

Wenn wir den Weg der Bioproduktion in Deutschland gehen, aber gleichzeitig mehr landwirtschaftliche Produkte aus dem Ausland beziehen, auf deren Produktionsweise wir keinen Einfluss haben, kaufen viele eher die billigeren Produkte aus dem Ausland. So geht das Konzept Bio letztendlich nicht auf.

Düngen Sie viel auf Ihrem Hof?

Wir düngen auf unserem Hof nur nach Bedarf und auch danach, was im Boden bereits an Nährstoffen vorhanden ist. Dies beruht auf guter fachlicher Praxis. Der Landwirt kennt seine Kulturen und ist in der Lage, sie so zu steuern, dass sie optimal im Einklang mit der Natur wachsen können.

Wie denken Sie über eine Milchproduktion ohne Einsatz von Antibiotika?

Antibiotika sollte dann eingesetzt werden, wenn es unbedingt notwendig ist. Zuerst sollten aber alternative Maßnahmen probiert werden.

Wann verwenden Sie Antibiotika?

Wir verwenden dann Antibiotika, wenn eine Kuh zum Beispiel eine Euterentzündung hat, und zuvor der Einsatz von ätherischen Ölen oder Entzündungshemmern kein Erfolg gebracht hat. In vielen Fällen können wir durch unsere Melktechnik, welche uns die Gesundheitsdaten der Kuh liefert, schon früh eingreifen. So ist der Einsatz von Antibiotika nicht zwingend notwendig. Führt die Vorbeugebehandlung nicht zum Erfolg, stellt sich jedoch für mich die Frage: Soll ich meinem Tier beim Leiden zuschauen oder es behandeln, dass es wieder gesund wird? Was ist besser für das Tier? Wenn ich ihm in einem solchen Moment Antibiotika gebe, ist es innerhalb kürzester Zeit wieder gesund. Nur im Notfall setzen wir Antibiotika ein, und dann entsteht auch keine Resistenz dagegen. Das ist übrigens im Bio-Bereich genauso: Im Härtefall werden Antibiotika benutzt. Das Reduzieren ist also richtig, aber Notfallbehandlungen sollte es mit Antibiotika weiterhin geben.

Welche Partei würden Sie wählen?

(lacht)

Schwierig zu sagen dieses Jahr. Auch was die Wahlkampfveranstaltungen angeht: Jeder sagt mal was Gutes und was Schlechtes. Andersherum gesagt: Ich werde die Grünen auf jeden Fall nicht wählen, weil ich finde, die Partei äußert sich in vielen Sachen zu radikal und zeigt sich der Landwirtschaft gegenüber zu oberflächlich und pauschal, was die Problemlösung angeht. Ich sehe es zum Beispiel beim Thema Insektensterben nicht als richtig an, dem Landwirt allein alles in die Schuhe zu schieben, wenn gleichzeitig durch Baumaßnahmen unzählige Flächen zubetoniert werden und dabei den Insekten der Lebensraum genommen wird. Von Beton kann sich nämlich niemand ernähren.

Das Interview führte Charlotte Jost.

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