Integration - „Man bekommt nicht immer, was man will“

Wovon hängt es ab, ob Integration gelingt? Andrej Kharadi ist hier als Sohn eines Inders und einer Deutschen aufgewachsen. Dem Bildungssystem stellt er gute Noten aus. Mit der Regierung geht er aber hart ins Gericht. Sie fördere auch Menschen, die sich nicht integrieren wollen

Ohne Fachkräfte aus dem Ausland hätte Deutschland längst den Pflegenotstand ausrufen müssen / picture alliance
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Andrej Kharadi wuchs als Sohn eines indischen Ingenieurs und einer deutschen Mutter in Deutschland auf. Er ist Mathematiker. 

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Gibt es eine deutsche Entsprechung zum American Dream, dem grossen Amerikanischen Traum? In diesem Begriff bündelt sich die Vorstellung, dass es jeder Mensch durch Fleiss, harte Arbeit, unabhängig von Herkunft und Gesellschaftsstand, zu einem höheren Lebensstandard bringen kann. Er prägt bis heute das Selbstverständnis vieler Amerikaner und ist Hoffnung und Chance für die meisten Einwanderer in die USA. Zwar gibt es keinen äquivalenten Begriff für Deutschland – so etwas wie ein „Deutscher Traum“ nähme sich befremdlich aus. Aber die Zuwanderungsgesellschaft gibt es längst. Sie wird jeden Tag zwischen Alpen und Nordsee, zwischen Oder und Maas millionenfach gelebt. 

Der Qualitätsmanager aus der Türkei, die Mathematikerin aus Kasachstan, der Physiker aus Italien, der Softwareentwickler aus der Ukraine, der Ingenieur aus Indien. Bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensentwürfe dürfte ihnen die Auffassung gemeinsam sein, dass es sich lohnt, die deutsche Sprache ordentlich zu beherrschen sowie die weitgehend kostenfreien und immer noch sehr guten Bildungsangebote zu nutzen; dass Chancen darin liegen, sich in die Arbeitsabläufe einer hochindustrialisierten Leistungsgesellschaft einzugliedern, auf die Deutschen zuzugehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Und ebenfalls übereinstimmen dürften sie darin, dass man auf keinen Fall die Verhältnisse derjenigen Länder hier in Deutschland haben will, denen man entstammt.

Die Einbürgerung war nur ein administrativer Akt 

Dies alles gilt auch für den Autor dieser Zeilen. Sohn eines Immigranten aus Indien, der zum Ingenieurstudium nach Deutschland kam und in der Luft- und Raumfahrtechnik seine Berufung fand und eine deutsche Frau heiratete, wuchs ich erst im Süden und dann im Norden des Landes auf. Grundschule, Gymnasium, Universität markierten den Weg meiner Ausbildung. Heute bin ich in leitender Position als Mathematiker bei einem großen Konzern beschäftigt. Meine Einbürgerung als Deutscher war nur ein administrativer Akt. 

Deutsche Sportkameraden, deutsche Freunde und eine deutsche Partnerin waren von Anfang an selbstverständlich. Klar, stieß ich anfangs wegen meiner dunkleren Hautfarbe auch auf Ablehnung. Aber die Anzahl der Fälle kann ich an einer Hand abzählen. Fragen nach dem Ursprung meines fremdländischen Familiennamens gab es viele. Sie entsprangen erkennbar und meistens der Neugier. Auf die Idee, dass es sich dabei um rassistische Diskriminierung handeln könnte, wäre ich nicht gekommen.

Lernen, mit Niederlagen zu leben  

Gewiss, die Anforderungen am Ausbildungs- und Arbeitsplatz können unter Umständen hoch sein. Wir leben schließlich in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, und die deutsche Wirtschaft ist eine der wettbewerbsfähigsten überhaupt. Auch bekommt man nicht immer, was man will. Die Bewerbung auf einen Job, für den man sich besonders geeignet hält, wird gelegentlich abschlägig beschieden, die preiswerte Wohnung am Park bezieht eventuell ein anderer, und die blonde Nachbarstochter geht vielleicht lieber mit dem Jungen aus dem Block vis-a-vis aus.

Aber all das passiert den eingeborenen Deutschen jeden Tag auch. Daraus sofort auf rassistisch motivierte Ablehnung oder Ausgrenzung zu schließen, ist unredlich. Irgendwann trat bei mir das Bewusstsein einer fremdländischen Herkunft in den Hintergrund, bis es schließlich beinahe ganz verschwand. Ich war nicht nur integriert, ich war deutsch geworden.

Die Kehrseite der Migration 

Um so fassungsloser blicken inzwischen viele der im Lande gut integrierten Immigranten auf das, was sich seit einigen Jahren zum Thema Immigration in Deutschland abspielt. Eine wachsende Anzahl der Einwanderer betrachtet ihre Aufnahme in das Land nicht mehr als Hoffnung und Chance, für sich und ihre Familien durch gesellschaftliche Teilhabe und Aufstieg ein besseres Leben zu erarbeiten. Sie spekulieren lieber auf Transferleistungen des Staates und verachten dabei die aufnehmende Gesellschaft, was sich auf mannigfaltige Weise ausdrückt: Bildungs- und Sprachangebote werden ausgeschlagen oder nur widerwillig angenommen, Töchter werden der Teilhabe am Kindergarten oder am Schwimmunterricht entzogen. Erzieherinnen wird der Handschlag durch den Vater verweigert, Söhne werden bei aggressivem Verhalten gegenüber Lehrern und Mitschülern nicht von ihren Eltern zur Ordnung gerufen. 

Und schlimmer noch: Auf der anderen Seite schauen einflussreiche Teile der deutschen Gesellschaft – Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften – diesem Treiben tatenlos zu oder klatschen ihm sogar noch Beifall. Eine Sanktionierung von Regelverstößen und Leistungsverweigerung findet nicht statt.  

Hoffnung auf den Bürgersinn 

Von der politischen Klasse und ihren Claqueuren in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ist Abhilfe nicht zu erwarten. Orientierungslos und dem Volk entfremdet, sind sie die Hauptverursacher der Misere, nicht deren Lösung. Anstatt die Anforderungen an Immigranten weiterhin hochzuhalten, sorgen sie dafür, dass diese beständig heruntergeschraubt werden. Dabei nehmen sie billigend die schleichende Etablierung von sozialen und rechtlichen Doppelstandards in Kauf und heizen somit die gesellschaftliche Polarisierung und die Erosion des nationalen Zusammenhaltes weiter an.

Dies – nebst anderen Fehlleistungen – dürfte spätestens in der nächsten größeren Wirtschaftskrise zur Auflösung der Parteienlandschaft in ihrer heutigen Form führen. Die ersten Anzeichen des Zerfalls sieht man bereits jetzt. Doch was kommt danach? Wir können es nicht vorhersagen, aber wir wissen, dass eines immer besteht: Bürgersinn. Er hat Weltkriege, Inflation, nationalen und internationalen Sozialismus überlebt und bildete die gesellschaftliche Grundlage des Erfolgs der jungen Bundesrepublik nach 1949. Bürgersinn steht für Rationalität und nüchterne Überlegenheit genauso wie für Selbstverantwortung und Gesetzestreue. Und wenn jeder einzelne von uns ihm wieder mehr Bedeutung beimisst, werden wir auch besser Akteure in die Parlamente entsenden und klügere politische Entscheidungen treffen zum Wohle von deutschen Alt- und Neubürgern. 

Und wie lauten die Maximen dieses Bürgersinns konkret? Zum Beispiel so: „Das beste Sozialprogramm ist ein Job“ – sprach einst Ronald Reagan, der große Förderer des Amerikanischen Traums.

 

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