Erste klinische Tests im Mai - „Zweifelhaft, dass wir im September einen Corona-Impfstoff haben“

Der Impfstoff gegen das Coronavirus ist der heilige Gral der Pandemie. Doch wie entsteht so ein Impfstoff überhaupt und bis wann können wir mit einem Mittel gegen Corona rechnen? Wir haben Stefan Kaufmann, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, gefragt.

Die Forschung zu einem Impfstoff gegen das Coronavirus laufen auf Hochtouren / dpa
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Rixa Rieß hat Germanistik und VWL an der Universität Mannheim studiert und hospitiert derzeit in der Redaktion von CICERO.

 

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Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan H. E. Kaufmann ist Direktor Emeritus und Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Er ist Immunologe und Infektionsbiologe.

Prof. Kaufmann, laut der New York Times hat das Jenner Institute an der Universität Oxford einen deutlichen Vorsprung bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus. Bereits im Mai will man an 6.000 Freiwilligen die ersten klinischen Tests durchführen. Es heißt, man könnte bis September einen Impfstoff millionenfach bereitstellen. Wie ist das möglich?
Derzeit sind zahlreiche sehr unterschiedliche Arten von Impfstoffen gegen Covid-19 in der Entwicklung. In Deutschland scheint man am weitesten mit einem ganz neuen Impfstoff-Typ zu sein – ein genbasierter Impfstoff; diese Art von Impfstoff hat es bislang noch nicht zur Anwendung im Menschen geschafft. Am Jenner Institute setzt man auf ein virales Trägersystem, das Antigene von SARS-CoV-2 exprimiert. Damit haben die Forscher am Jenner Institute einen Vorsprung vor völlig neuen Impfstoffen. Dass man im September in die Produktion gehen kann, scheint mir doch zweifelhaft, obwohl ich sicher bin, dass man dort auf der Überholspur fährt.

Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan H. E. Kaufmann /
Foto: privat

Wieso?
Ein ähnlicher Impfstoff wurde vom Jenner Institute bereits für MERS entwickelt und hat bereits die Phase I auf Sicherheit erfolgreich durchlaufen. MERS wird wie Covid-19 von Coronaviren hervorgerufen. Da konnte man also schon gute Erfahrungen sammeln. Weiterhin hört man, dass eine tierexperimentelle Studie mit Rhesus-Affen gezeigt hat, dass der neue Impfstoff gegen Covid-19 Schutz auslöst.

Die Daten sind zwar noch nicht veröffentlicht, aber das hört sich vielversprechend an. Wie ein Impfstoff, wenn er dann erfolgreich ist, für alle zugänglich gemacht werden kann, ist eine weitere wichtige Frage. Denn die meisten Diskussionen drehen sich derzeit um die klinische Entwicklung und weniger um die Produktion. Das ist aber eine ebenso große Herausforderung.

Was ist das klassische Prozedere bei der Impfstoffentwicklung? Man befindet sich mit den klinischen Studien ja erst in der ersten von drei Phasen …
Die Phase I stellt fest, ob ein Impfstoff sicher ist. Die dürfte zügig voranschreiten, weil die Probanden gesunde nicht infizierte Personen sind. In der Phase II wird der Impfstoff dann weiter getestet, sei es, um die beste Dosierung zu bestimmen oder um festzustellen, ob der Impfstoff für besondere Personengruppen geeignet ist, z. B. Menschen mit Vorerkrankungen.

In der Phase III wird dann auf Schutz geprüft. Hierzu müssen mehrere tausend Probanden rekrutiert werden. Vereinfacht gesagt, wird die Gruppe dann geteilt: Die eine Gruppe erhält den Impfstoff, die andere nicht (z.B. ein Placebo). Die geimpften Probanden sollten nicht krank werden, während in der Kontrollgruppe einige erkranken werden.

In Deutschland wurden vergangene Woche auch die ersten klinischen Studien des Unternehmens BioNTech genehmigt. Hier werden erste Ergebnisse der Studie nach drei bis fünf Monaten prognostiziert; eine Zulassung erwartet man demnach nicht vor 2021. Wieso dauert das im Vergleich länger?
Die Studienprotokolle für die Phase III können sehr unterschiedlich sein. Wichtig ist, dass man am Schluss eine klare Aussage treffen kann, nämlich, ob der Impfstoff schützt oder nicht. Da spielt die Zahl der Probanden und auch die Dauer der Studie eine große Rolle. Je mehr Probanden getestet werden und je länger die Studie dauert, desto höher wird die Zahl der Infizierten bzw. Erkrankten in der Kontrollgruppe sein.

Zusätzlich spielt natürlich auch der Risikofaktor eine Rolle, d.h. je höher die Infektionsraten sind, umso höher ist der Anteil der Probanden, die sich infizieren oder erkranken und umso schneller wird man die Antwort bekommen, ob der Impfstoff schützt oder nicht. Sie können beispielsweise einen Malaria-Impfstoff nicht in Deutschland testen, weil wir hier nicht genug Kranke haben.

Und im Bezug auf das Coronavirus?
Auch bei der Corona-Krise müssen wir genug Leute mit hohem Infektions- bzw. Erkrankungs-Risiko finden. Wenn Sie auf den Infektionsverlauf in England und Deutschland schauen, dann stehen wir in Deutschland besser da als in England. Das Umgekehrte gilt natürlich für klinische Impfstudien.

Aber warum gibt es diese unterschiedlichen Impfentwicklungsverfahren? Kann man aus Erfahrungen aus früheren Impfstoffentwickungen nicht sagen, welches Verfahren langfristig wirkungsvoller ist?
Jeder Krankheitserreger hat seinen eigenen Charakteristika. Deshalb ist keine Infektionskrankheit wie die andere. Deshalb brauchen wir auch unterschiedliche Typen von Impfstoffen gegen unterschiedliche Infektionskrankheiten. Bei einigen reichen Antikörper aus, bei anderen muss eine komplexe Immunantwort hervorgerufen werden. Auch sind einige Impfstoffe schwer in Riesenmengen herzustellen.

Bei SARS-CoV-2 ist die Chance, dass ein Impfstoff, der Antikörper stimuliert, groß. Auch brauchen wir riesige Impfstoff-Dosen, nämlich viele 100 Millionen. Und schließlich spielt auch der Preis für die Entwicklung und Herstellung eine Rolle. Allerdings können wir auf Erfahrungen aus früheren Impfstoffentwicklungen natürlich lernen und bei dem Impfstoff aus Oxford konnte man auch auf Erfahrungen mit Adenovirus-Trägern sowie auf Erfahrungen bei der Impfstoffentwicklung gegen SARS und MERS aufbauen.

Wenn ein sicherer wirksamer Impfstoff entwickelt worden ist, folgt die Skalierung. Was braucht es, um innerhalb kürzester Zeit den Impfstoff hundert millionenfach herzustellen und ihn für alle Menschen zugänglich zu machen?
Das Serum Institute of India LTD in Pune spielt hier eine wichtige Rolle – die stellen mehr Impfstoff-Dosen her als jeder andere. Oxford scheint mit dem Serum Institute of India bereits in Verhandlungen zu stehen. Wenn überhaupt, dann können die das wohl am ehesten.

Ich glaube aber doch, dass dies auch seine Zeit dauert. Natürlich kann man bereits jetzt schon die Impfstoff-Produktion aufbauen. Dann geht man aber das Risiko ein, dass der Impfstoff vielleicht in der Phase III versagt und die Produktion der Impfstoff-Dosen umsonst war. Ich denke, da wird man einen Kompromiss eingehen, d. h. am Aufbau jetzt schon Mal arbeiten, um dann bei einem positiven Ergebnis sofort mit der Produktion zu beginnen.

Was sind die Gefahren, die von einem unzureichend getesteten Impfstoff ausgehen können?
Es ist wichtig, dass selbst bei erhöhtem Tempo Sicherheit das oberste Gebot ist und dann muss natürlich auch der Schutz gewährleistet sein. Die Gefahr eines unzureichend getesteten Impfstoffs ist das Risiko von Nebenwirkungen oder aber, dass er nicht ausreichend schützt.

Das Jenner Institute stützt sich auf sogenannte „Notfallzulassungen“, die den Impfstoff schnell verfügbar machen sollen. Gibt es auch in Deutschland Ausnahmen für die Wissenschaft?
Es geht bei dem Ganzen um einen Wettlauf mit der Zeit. Man kann den Prozess auf zwei verschiedene Arten kürzen. Erstens kann die Begutachtung der Anträge und die Zulassung der Studien sowie die Lizenzierung eines erfolgreichen Impfstoffs beschleunigt werden. Das kann man sehr schön am Paul-Ehrlich-Institut sehen, die sind so schnell wie nie. Zum zweiten kann man adoptive Studien nutzen.

Was meinen Sie mit „adoptiven Studien“?

Man kann die Phase I und Phase II zusammenlegen und danach direkt in die Phase III gehen. Ein Beispiel: In der Phase I/II werden 300 Leute getestet und 100 erhielten die Impfdosis, die dann auch in der Phase III angewendet wird. Bislang wissen sie nur, ob die Dosis verträglich ist und eine Immunantwort auslöst; nicht ob der Impfstoff schützt. Wenn sie nun diese Probanden in die Phase III aufnehmen und auf Schutz testen, können Sie natürlich Zeit sparen und die Probandenzahl verkleinern.

Das muss natürlich richtig durchgeführt werden, denn an sich soll eine Studie blind durchgeführt werden. Dazu gibt es aber Lösungen. Solange man die Phase I auf Sicherheit erfolgreich abgeschlossen hat, ist sowas durchaus denkbar. Normalerweise geht man Schritt für Schritt vor, d. h. man schließt jede Phase vollständig ab bevor man mit der nächsten beginnt.

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