Angela Merkel beim Impfgipfel - „Wunder werden da jetzt nicht passieren“

Nach dem Impfgipfel der Bundeskanzlerin, der Ministerpräsidenten und der Pharmahersteller gibt es einen ersten Minimal-Erfolg: Gut, dass man mal gesprochen hat. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Geimpft wird dann, wenn Impfstoff da ist. Freiheiten rücken mehr denn je in weite Ferne.

Gipfeltermin: Michael Müller, Angela Merkel und Markus Söder / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

So erreichen Sie Bastian Brauns:

Anzeige

Der Anspruch an sich selbst, den die Bundeskanzlerin bei der Pressekonferenz nach ihrem Impfgipfel formulierte, klang wohltuend. Um „Realismus“ und auch um „Redlichkeit“ sei es bei dem Treffen mit den Ministerpräsidenten, dem Bundesgesundheitsminister und den Impfstoffherstellern gegangen. Dass Realismus und Redlichkeit offenbar erst jetzt zum Thema gemacht werden mussten, zeigt, wie schlecht es um beides wohl in den vergangenen Wochen bestellt war.

Der neben ihr auf Podium sitzende, bayerische Ministerpräsident Markus Söder ließ das mit den Worten durchblicken: „Die Kommunikation des Erwartungsmanagements“ müsse jetzt „anders laufen als vielleicht in den letzten Wochen.“ Und er sagte dann noch, wie richtig es sei, „dass die Kanzlerin das Impfen zur Chefsache gemacht hat“. Mehr Breitseite gegen den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, noch dazu aus der eigenen Parteifamilie, ging nicht. Er wollte seine Worte ausschließlich als Lob für die Kanzlerin verstanden wissen. Dass nicht nur seine große Unzufriedenheit, sondern auch die sinkenden Zustimmungswerte der Bevölkerung zum Pandemie-Management der Regierung überhaupt zu diesem Impfgipfel geführt haben, erwähnte er nicht.

„Exzellente Arbeit“ von Jens Spahn

Hitzig soll es zugegangen sein in der wieder einmal viele Stunden dauernden Runde. Im Fokus: immer wieder Jens Spahn. Der Gesundheitsminister hatte versprochen, ein „Impfangebot“ für jeden Bürger bis zum Sommer machen zu können. Doch der Fortschritt verläuft nach wie vor schleppend. So sah sich die Kanzlerin offenbar gezwungen, sich vor ihren Minister zu stellen. Man habe „einen Gesundheitsminister im Kabinett, der exzellente Arbeit macht“, so Merkel. Nur wenn es mal geklemmt habe, sei sie auch tätig geworden.

Beim Impfangebots-Versprechen blieb auch die Kanzlerin. Zwar gingen wieder ein paar Tage flöten. Aber „bis zum Ende des dritten Quartals“, heißt es nun, könne man nach Lage der Dinge dieses „Impfangebot“ machen. Heißt: Jeder soll vor Anbruch des vierten Quartals geimpft worden sein. Das sei sogar bei der „Minimalvariante“ möglich sein, also selbst dann, wenn die Hersteller Curevac und Johnson & Johnson wider Erwarten keine Zulassung erhalten sollten. Bei der „Maximalvariante“ wäre ohnehin alles einzuhalten. Man werde sich dabei an die Reihenfolge halten, welche die Ständige Impfkommission vorgeschlagen habe. Ein Vorziehen etwa der Berufsgruppe der Lehrer und Erzieher dürfte es entgegen aktueller Diskussionen also kaum geben.

„Noch viele Jahre impfen müssen“

Was die Kanzlerin mit Realismus meinte, das verdeutlichte vor allem ein Satz: „Wunder werden da jetzt nicht passieren.“ Sie sagte das, weil sie nicht damit rechnet, dass plötzlich viel mehr Impfstoff zur Verfügung stehen würde. Die Zeit bis zum Ende des Sommers dürfte für die Bevölkerung schwierig bleiben. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sagte mehrfach, dass die Impflage zumindest im ersten Quartal so dürftig bleiben wird, wie bislang. Und Merkel wies darauf hin, dass noch immer nicht erwiesen sei, ob Geimpfte das Corona-Virus nicht doch weitergeben könnten. Im Angesicht der sich schneller verbreitenden Mutationen könne es, solange nur eine kleine Minderheit geimpft sei und eine große Mehrheit nicht, „keine neuen Freiheiten geben“, sagte Merkel. Zu Realismus und Redlichkeit gehörte dann noch ein Ausblick auf die kommenden Jahre: „Es kann sein, dass wir noch viele Jahre impfen müssen, so ähnlich wie beim Grippeimpfstoff.“ Denn immer wieder könne sich das Virus verändern und die Impfstoffe müssten dann angepasst werden.

Eine Errungenschaft des Impfgipfels soll neben dem Austausch zwischen Politiker und Pharmaherstellern sein: ein nationaler Impfplan. Was das konkret heißt, konnte Merkel zwar nicht ausführen. Aber es gehe darum, dass modelliert werden solle, wann welche Impfgruppe in welchem Zeitraum mit einer Impfung würde rechnen können. Die Umsetzung liege dann beim Bundesgesundheitsminister und den Gesundheitsministern der Länder. Das würde zwar niemandem einem schnelleren Impftermin bringen, so Merkel, aber mehr Übersichtlichkeit und Planbarkeit – wohlgemerkt immer unter dem Vorbehalt, dass auch etwas schiefgehen kann. Immerhin, am Einladungsmanagement soll nun gearbeitet werden.

Ein Strohmann namens Vertrauen

An der Stelle, an der es interessant hätte werden können, blieb die Bundeskanzlerin beim Altbewährten. Gleich zwei kritische Themen lenkte sie um mit der Begründung, wichtig sei ihr vor allem das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu behalten. Sie verteidigte damit noch einmal, dass die EU sich dafür entschieden habe, keine Notfallzulassungen veranlasst zu haben, sondern das Verfahren der EMA abgewartet habe. Andernfalls hätte das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit des Impfstoffs gelitten. Dass in Großbritannien derartiges geschehen ist, davon liest man allerdings kaum etwas.

Um Vertrauen geht es Merkel auch beim Thema Schnelligkeit der Verimpfungen. Angesichts der großen Erfolge Israels wies die Kanzlerin darauf hin, dass es Länder gebe, „die anders mit Daten umgehen“, Länder, „die Digitalisierung betreiben“ würden. Es dürfte einer dieser ungeschickten „Das Internet ist für uns alle Neuland“-Versprecher gewesen sein. Der Datenschutz musste einmal mehr als Strohmann dafür herhalten, dass Digitalisierung noch immer ein Fremdwort zu sein scheint. Noch beim Davoser Weltwirtschaftsgipfel sagte Merkel selbst, wie wenig weit die digitale Vernetzung etwa der Gesundheitsämter fortgeschritten sei.

Sicherlich ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger entscheidend für den Erfolg auch dieser hoffentlich bald letzten Phase dieser Pandemie. Wer aber sieht, wie andere Länder früher, schneller und flächendeckender impfen, auch der kann das Vertrauen verlieren. Auch das gehört zum Realismus und zur Redlichkeit.

Anzeige