Humboldt-Universität - Gedecktes Geschacher

An der Humboldt-Universität sollen sich Studenten gegenseitig bezahlte Posten zugeschachert haben. Nachforschungen dazu gestalten sich schwer, der Senat scheint an einer Aufklärung kein Interesse zu haben. Schützt er seine eigene Klientel?

Die Zentralbibliothek der Humboldt-Universität / picture alliance
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Von Jochen Zenthöfer erscheint in diesen Tagen das Buch Plagiate in der Wissenschaft - Wie „VroniPlag Wiki“ Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt, transcript Verlag, Bielefeld, 188 Seiten, ISBN: 978-3-8376-6258-0, 19.50 Euro. Zenthöfer berichtet seit acht Jahren als Sachbuchrezensent in der FAZ. über Plagiate in Doktorarbeiten – nicht nur bei Politikern.

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Spätestens am 15. November 2017 hätte der Berliner Senat merken müssen, dass in den studentischen Gremien der Humboldt-Universität eine Menge im Argen liegt. An diesem Tag veröffentlichte der Tagesspiegel einen Artikel, der zuvor in der von Studenten der Humboldt-Universität herausgegebenen Zeitschrift Unaufgefordert erschienen war. Darin deckten die Autoren auf, dass sich im Studentenparlament und Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) der Hochschule einige wenige Mitglieder Ämter gegenseitig zuschachern – und dafür Aufwandsentschädigungen bis zu 735 Euro monatlich kassieren. Jährlich werden an der Humboldt-Uni insgesamt 114.000 Euro an Aufwandsentschädigungen für Funktionäre der studentischen Selbstverwaltung ausgezahlt. 

Derartige Praktiken herrschen schon lange beim Asta der Humboldt-Universität, der dort aus historischen Gründen „ReferentInnen-Rat“ (RefRat) heißt. Recherchen zum Thema gestalteten sich schwierig, da oft schon unklar ist, wie die Funktionäre überhaupt heißen. In Sitzungsprotokollen steht zum Teil nur ein Vorname, weshalb kaum nachvollziehbar ist, wer welches Amt bekleidet. „Es scheint so, als ob viele Mitglieder gar nicht wollen, dass ihre Aktivitäten bekannt werden“, heißt es in dem Unaufgefordert-Artikel. 

Die Situation nahm der Berliner AfD-Abgeordnete Martin Trefzer zum Anlass, die Landesregierung nach den Namen aktueller und ehemaliger studentischer Amtsträger an der Humboldt-Universität und ihrer Vergütung zu fragen. Wenn es schon einer Studentenzeitschrift der betroffenen Hochschule nicht gelingt, näheres zu erfahren – sollte dann nicht wenigstens der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses erfragen dürfen, wer studentische Interessen vertritt und öffentliche Gelder verwaltet? Sind Wahlen und Ernennungen in der studentischen Selbstverwaltung der Humboldt-Universität doch öffentlich und untersteht doch die Hochschule der Rechtsaufsicht von Berlins Regierendem Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD). Doch weit gefehlt. In der Antwort des Senats, die Cicero vorliegt, gibt sich der Senat wortkarg.

Hochschule weiß nicht, wen sie bezahlten

„Über die Namen und den jeweiligen Beginn und das Ende der Amtszeit der gegenwärtig amtierenden Referentinnen und Referenten sowie stellvertretenden Referentinnen und Referenten kann die Humboldt-Universität zu Berlin bislang keine Angaben machen“, heißt es. Übersetzt bedeutet das: Die Leitung der Hochschule kann nicht mitteilen, wer öffentliche Ämter in der studentischen Selbstverwaltung, die hochschulpolitische Fragen mitgestaltet und sich universitätsintern äußert, inne hat. Zudem erklärt der Senat in seiner Antwort auf Trefzers parlamentarische Anfrage, die Hochschulleitung habe „im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht die entsprechenden Informationen erfragt.“ Auch aus diesem Satz folgt Erstaunliches. Erstens: Der Hochschulleitung werden die Namen studentischer Funktionsträger nicht nach Amtsübernahme mitgeteilt; auch erfolgt offenkundig keine regelmäßige Übermittlung dieser Namen. Zweitens: Die Universität ist nicht im Stande, die Daten innerhalb der mehrwöchigen Beantwortungsfrist für die Anfrage des Abgeordneten zusammenzutragen. Und das obwohl die Amtsträger einen jährlichen Haushalt von 780.000 Euro verwalten. 

Die Namen ehemaliger Referenten will der Senat gar nicht erst mitteilen und beruft sich auf den Datenschutz: „Die Betroffenen müssen nach dem Ausscheiden aus ihrer offiziellen Funktion nicht mehr mit einer Nennung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage rechnen“, heißt es. Wie der Senat zu diesem Schluss kommt, ist unklar. Denn natürlich haben Entscheidungen der Studentenvertreter auch Einfluss auf die Zukunft. Wer in ein öffentliches Amt gewählt wird, und dafür Aufwandsentschädigungen bekommt, sollte sich nicht verstecken dürfen. Denn so wird Aufklärung darüber verhindert, ob immer wieder die gleichen Studentenvertreter in Ämter zurückkehren und die vorgesehenen Amtszeitbegrenzungen aushebeln. Der Berliner Senat macht es sich derweil sehr einfach: Statt die Namen zusammenzutragen, behauptet er, dass „schutzwürdige Interessen der Betroffenen“ den Interessen der Volksverteter vorgehen. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Adressen, Geburtsdaten oder intime Details. Es geht um die Namen der gewählten Vertreter. Der Berliner Senat verhindert damit eine effektive parlamentarische Kontrolle. Die demokratische Kontrollkette wird von Michael Müller (SPD) durchtrennt. 

Haushalt zuletzt vor 17 Jahren geprüft

Eine Finanzkontrolle durch den Rechnungshof findet auch nicht regelmäßig statt. Zuletzt wurde der Haushalt der Studentenschaft an der Humboldt-Universität im Jahr 2001 geprüft, wie der Senat jüngst auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Hans-Christian Hausmann zugeben musste. Darin wurde auch deutlich, dass die Personalkosten seit Jahren steigen: Im Jahre 2015 waren es 43 Prozent des Gesamthaushalts, die dafür aufgewendet werden mussten, im Jahr 2017 waren es schon 52 Prozent. „Angesichts der zahlreichen Beratungsangebote und sonstigen Dienstleistungen hält die Senatskanzlei die Kostenstruktur für vertretbar“, hieß es von der Berliner Stadtregierung. Nur wer da als Berater tätig ist, vermag sie nicht zu sagen. Immerhin werde an der Humboldt-Universität von dem Geld auch „ein Kinderladen unterhalten“.  

Die Wahlbeteiligung bei den vergangenen Wahlen zum Studentenparlament der Humboldt-Universität lag bei 9,1 Prozent. Kein Wunder, dass mehr als 90 Prozent der Studenten nicht wählen gehen, wenn die Amtsträger Geheimniskrämerei und Postengeschacher betreiben und die Hochschulleitung diese Vorgänge toleriert. Was die studentischen Funktionäre selbst von Transparenz halten, zeigt ein Blick auf die Webseite des RefRat (Asta): Namen sind nicht zu erfahren – aber es wird immer noch eine Veranstaltung aus dem Jahr 2015 beworben: „Parodierte Transzendenz. Eine Kritik der Esoterik.“ 

Der Berliner Senat deckt diese Intransparenz der vorwiegend linken Studentenvertreter seit Jahren. Wissenschaftssenator Michael Müller muss sich fragen, ob die SPD auf der Seite einer intransparenten Funktionärsminderheit steht oder die über 90 Prozent „normalen Studenten“ unterstützt, die von der Intransparenz geschädigt werden. In Berlin könnte sich sonst ein weiteres Mal zeigen, wie sich die SPD vom „einfachen Mann auf der Straße“ entfernt hat. Besonders peinlich muss es für Müller sein, dass nun ausgerechnet die AfD die Vorgänge aufdeckt und deutlich macht, dass Senat und Universitätsleitung ihre Rechtsaufsicht über die studentische Selbstverwaltung nicht korrekt wahrnehmen.

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