Streit um Bundeskanzler-Kohl-Stiftung - Die Witwe hat ein Faustpfand im Kanzlerbungalow-Keller

Drei Jahre nach dem Tod des Altkanzlers Helmut Kohl will der Bund dem Staatsmann eine Stiftung widmen. Der Plan droht jedoch am Widerstand seiner Witwe zu scheitern. Sie plant eine eigene Stiftung. Aber was ist ihr Motiv?

Altkanzler Kohl soll eine Stiftung in Berlin gewidmet werden; oder doch in Oggersheim? / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Eigentlich hätte das für Maike Kohl-Richter, die Witwe des Altkanzlers, ein schönes Weihnachtsgeschenk sein können. Die Große Koalition hat sich darauf geeinigt, eine vom Bund finanzierte „Bundeskanzler-Kohl-Stiftung“ zu errichten, einschließlich eines für die Öffentlichkeit zugänglichen Helmut-Kohl-Zentrums in Berlin. Dafür hat der Haushaltsausschuss vor wenigen Tagen schon mal knapp drei Millionen Euro als Anschubfinanzierung bewilligt.

Jetzt geht es darum, ein Konzept zu entwickeln, wie das Andenken an den Kanzler der Einheit und großen Europäer Helmut Kohl gewahrt werden kann. Doch die Frau, mit der er von 2008 bis zu seinem Tod im Sommer 2017 verheiratet war, ist damit nicht zufrieden. Das Angebot, auf Lebenszeit einen Platz in dem fünfköpfigen Kuratorium der Stiftung einzunehmen, hat sie brüsk abgelehnt. Frau Richter-Kohl will eine Helmut-Kohl-Stiftung, in der nur eine Person das Sagen hat – sie selbst.

Der größte deutsche Staatsmann

Man tritt der Dame nicht zu nahe, wenn man behauptet, sie verfolge mit geradezu missionarischem Eifer das Ziel, Helmut Kohl als größten deutschen Staatsmann aller Zeiten dargestellt zu sehen, als Mann ohne Fehl‘ und Tadel, dessen Wahlniederlage 1998 allein der Unfähigkeit der CDU und den feindseligen Medien zuzuschreiben sei. Wer auch nur leise darauf hinweist, Kohl habe als Kanzler ungeachtet seiner großen Verdienste sicher auch Fehler gemacht, wird von seiner Witwe in die Kategorie der „Verräter“ eingeordnet. In ihrem Freund-Feind-Denken steht sie dem Ehemann in nichts nach.

Kohl-Richters Ablehnung einer Bundesstiftung dürfte vor allem auf der Sorge beruhen, eine sich auf die Expertise von Politologen und Historikern stützende Einrichtung könnte bei der Darstellung des politischen Lebenswerks Kohls zu anderen Einschätzungen kommen als sie selbst. Das versteht sich eigentlich von selbst, wenn die Politik Kohls eher wissenschaftlich-nüchtern analysiert und bewertet wird als aus dem Blickwinkel einer bewundernden Ehefrau.

Reine Verklärung kann nicht das Ziel sein 

Eine reine Verklärungs-Anstalt kann und wird diese Bundesstiftung aber nicht werden; das ist bei den ebenfalls vom Bund getragenen Bundeskanzler-Stiftungen für Willy Brandt und Helmut Schmidt nicht anders. Dort arbeiten Brandts Witwe Brigitte Seebacher-Brandt und Schmidts Tochter Susanne im Kuratorium mit, was eigentlich ganz selbstverständlich ist. Bei Kohl-Richter läuft vieles kontroverser ab als bei den Nachkommen anderer Regierungschefs. Sie hat für „den Kanzler“, wie sie den Verstorbenen zu bezeichnen pflegt, Anderes, Besseres vor. Sie plant ihre eigene Helmut-Kohl-Stiftung.

Die soll ihren Sitz im Kanzlerbungalow im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim haben. Angeblich hat sie ein benachbartes Grundstück gekauft oder sich Nutzungsrechte einräumen lassen, um dort ein Kohl-Museum zu errichten. Die könnte dann zu einer Pilgerstätte für Kohl-Fans werden. Das passt insofern, als Oggersheim mit der 1775 erbauten „Mariä Himmelfahrt“ bereits eine Wallfahrtskirche hat. Wie die Witwe ihre Stiftung finanzieren will, darüber kann nur spekuliert werden. Dem Vernehmen nach versucht sie bei wohlhabenden Unternehmern aus der Generation ihres Mannes Spenden zu akquirieren.

Kohls Akten

Ob die kompromisslose Verteidigerin von Kohls Wirken im verkehrsmäßig eher abgelegenen Oggersheim eine Kohl-Gedenkstätte errichtet oder nicht, brauchte den Bund eigentlich nicht zu interessieren – eigentlich. Doch verfügt Kohl-Richter über ein gewichtiges Faustpfand: Im Keller des von Helmut und Hannelore Kohl einst gebauten Bungalows lagern unzählige Akten, Briefe und Dokumente aus Kohls langem politischen Leben. Angeblich handelt es sich um rund 400 Ordner mit bis zu 200.000 Blatt. Ohne diese Unterlagen bliebe eine Bundesstiftung jedoch eine leere Hülle. Wissenschaftler, die sich ernsthaft mit der Person und Politik des Altkanzlers auseinandersetzen wollen, wären ohne diese Briefwechsel, Vermerke, Protokolle und Entwürfe arm dran.

Politisch pikant, wahrscheinlich auch brisant ist, dass Helmut Kohl diesen Teil seines Nachlasses noch selbst dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung übertragen hat. Allerdings hat er dieselben Unterlagen wieder leihweise nach Ludwigshafen bringen lassen, weil er sie für die Abfassung seiner Memoiren benötigte. Seither liegen sie dort und kein Wissenschaftler oder Journalist hat auch nur den Hauch einer Chance, sie für seine Arbeit zu nutzen. Kohl-Richter würde allenfalls ihr sehr nahestehenden Personen einen Blick in diesen zeithistorisch so wertvollen Schatz erlauben.

Showdown steht noch aus

Doch viele Freunde hat die streitbare Dame nicht. Offensichtlich spekuliert Kohls Alleinerbin darauf, die Adenauer-Stiftung und die CDU würden es nicht wagen, sie gerichtlich zur Herausgabe dieser Unterlagen zu zwingen. Allerdings hat der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann, die Witwe bereits kurz nach Kohls Tod schriftlich darauf hingewiesen, dass dieses Material seiner Institution zustehe. Aber auch das Bundesarchiv hat bisher nicht auf gerichtlichem Weg versucht, die Interessen der Bundesrepublik an den Unterlagen durchzusetzen.

Nach Errichtung der Bundeskanzler-Kohl-Stiftung könnte der Bund freilich darauf drängen, an den amtlichen Teil des Nachlasses zu kommen. Wobei es eine offene Frage ist, wie sich bei einem langjährigen Regierungschef und Parteivorsitzenden regierungsamtliche von parteipolitischen Schriftstücken sauber trennen lassen.

Unwürdiges Gezerre um den schriftlichen Nachlass 

Auch dürfte es in vielen Fällen schwierige Abgrenzungsfragen zwischen Politischem und Privatem geben. Man muss also davon ausgehen, dass um den schriftlichen Nachlass Kohls ein ebenso unwürdiges Gezerre ins Haus steht wie vor drei Jahren um den Staatsakt (mit der Bundesregierung) und um die Grabstätte (mit den Söhnen Kohls).

Von Maike Kohl-Richter ist bekannt, dass sie keinem Streit aus dem Weg geht, dass sie keine andere Meinung neben ihrer eigenen gelten lässt und dass sie für sich in Anspruch nimmt, die Politik Kohls besser interpretieren und bewerten zu können als Heerscharen von Weggefährten und Wissenschaftlern. In dieser Beziehung könnte sie die Tochter Helmut Kohls sein. Mit einem Unterschied: Kohl wusste, dass es – ungeachtet scharfer Auseinandersetzungen – letztlich nicht ohne Kompromisse geht. Das sieht die Witwe wohl anders.

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