Gerichtsurteil - Der Staat soll Wahrheitsagentur sein

Kisslers Konter: Eine Broschüre des Bundesumweltamtes brandmarkte sogenannte Klimaskeptiker. Ein Gericht gibt dem Staat nun Recht. So kehren Obrigkeit und Untertänigkeit zurück – nicht nur in der Debatte um den Klimawandel

Reizthema Klimawandel / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ein Modewort dieser Tage lautet „Narrativ“, ein anderes spricht vom „Postfaktischen“. Prallen beide Tendenzen aufeinander, klingt es blechern. Denn so geschwind die Rede von den Lippen derer perlt, die sich für cool oder klug oder beides halten, so hohl bleibt sie, meistens. Das „Narrativ“ verschleiert den Umstand, dass jede Erzählung einen Erzähler braucht, bei dem sich die Macht ballt; Narrative sind Herrschaftsinstrumente. Und postfaktisch ist allenfalls die Behauptung der Postfaktizität. Fakten bedürfen der Interpretation und nähren also Zweifel. Das „faktische Zeitalter“, das wir hinter uns haben sollen, wäre eine diktatorische Ära. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg erinnert uns daran, ganz wider Willen.

Macht hat der Staat – und ist dieser republikanisch organisiert und freiheitlich gesinnt, dient die Machtfülle dem Gemeinwohl. Macht ist kein Teufelswerk. Hat die irdische Staatsmacht aber darum die Lizenz zur Seligkeit und, wie man spöttisch sagt, die Weisheit mit Löffeln gefressen? Darf der freie Rechtsstaat die Theologisierung seines eigenen Tuns betreiben? Er sollte es nicht, er tut es aber immer öfter, sei es auf dem Feld der Migrationspolitik, die humanitär genannt wird, weil man über sie nicht streiten sollen darf, oder jenem der Klimapolitik.

Quasi-apokalyptische Zukunftsszenarien

Darum war schon der Titel einer Broschüre des Bundesumweltamtes vom Mai 2013 heikel: „Und sie erwärmt sich doch! Was steckt hinter der Debatte um den Klimawandel?“ Das verfremdete Zitat, ursprünglich Galileo Galilei zugeschrieben, hob Kritiker an der These vom ausschließlich menschengemachten Klimawandel pauschal in den Rang einer verhärteten Glaubensgemeinschaft. Und sich selbst, dem Bundesamt, sprach es die Weihen zu der alleinseligmachenden, da faktisch unbestreitbaren „wissenschaftlichen Resultate“.

Niemand, der bei Sinnen ist, bestreitet den Einfluss der menschlichen Lebensweise auf das Weltklima, den Treibhauseffekt und den Anstieg der Erderwärmung. Auch ein Autor wie Michael Miersch („Lexikon der Öko-Irrtümer“) tut es nicht. Strittig ist die Plausibilität von quasi-apokalyptischen Zukunftsszenarien auf der Basis gegenwärtiger Daten. Und strittig ist, wie hoch der Anteil des Menschen am Klimageschehen sei. In der fraglichen Broschüre gab es jedoch nur einen als unwissenschaftlich gebrandmarkten, angeblich von finsteren Eigeninteressen getriebenen, zu ruchlosen Aktionen neigenden „Personenkreis, der die Erkenntnisse der Klimawissenschaft nicht anerkennt, die sogenannten Klimawandelskeptiker oder kurz Klimaskeptiker“ und: die Guten.

Zweifel war plötzlich ein Vorwurf, hart am Rande zum Offizialdelikt. Der „Personenkreis“ der Verstockten wurde konkret benannt. Die Namen sind in der Broschüre nachzulesen, bis heute. Gegen solch undifferenziertes Prangertum durch Steuergeld klagte eine der Personen, besagter Michael Miersch.  Das Verwaltungsgericht Halle verwarf seine Klage im November 2015, das Oberverwaltungsgericht Magdeburg nun ebenso. „Dieser Beschluss,“ heißt es am Ende des 19-seitigen Schriftstücks vom 2. Februar 2017, „ist unanfechtbar“.

Staatliches Informationshandeln

Dadurch bekommt das Urteil, unbeschadet der verhandelten Materie, grundsätzliche Bedeutung. Das Gericht sieht im „staatlichen Informationshandeln“ eine Methode, die „herrschende Meinung“ vorzutragen und letztlich durchzusetzen. Es begrüßt den Triumphzug der „herrschenden Meinung“, weil so die „Staatsleitung“ eine „Aufklärung der Bevölkerung“ leiste. Und diesen Satz möge man bitte rot unterstreichen und dick eintragen im Archiv des spätmodernen Bewusstseinswandels: „Wenn die Behörde deshalb versucht, einem ‚postfaktischen Diskurs‘ entgegenzuwirken, indem sie den auf Fakten beruhenden aktuellen Forschungsstand in den Vordergrund stellt, so ist dies Teil ihrer Öffentlichkeitsarbeit in Form zulässiger staatlicher Beteiligung am Prozess der gesellschaftlichen Meinungsbildung.“

Was lehren uns die Magdeburger Richter in der Sache „Miersch gegen Bundesrepublik Deutschland“ und weit darüber hinaus? Dass Aufklärung ein Begriff des Verwaltungsrechts geworden ist. Dass die Staatsleitung der Bevölkerung die Unterscheidung in wahre und falsche Informationen abnimmt, sie also Wahrheiten zuteilt. Dass der Staat Meinung bilden soll. Dass herrschende Meinungen gute Meinungen sind. Und dass der Zeitgeist vor Gericht gut gelitten ist: Die hohle, aber derzeit allgegenwärtige Rede vom „Postfaktischen“ diente einer letztinstanzlichen Urteilsbegründung. Der jüngste Schaum des Tages erhielt richterlichen Segen.

Kampf dem Klimawandel

Ganz am Schluss der hochfahrenden Broschüre aus dem Bundesumweltamt hieß es damals übrigens: „Der richtige Weg“ bestehe allein darin, „dieser Verantwortung gerecht zu werden und im Rahmen unserer jeweiligen Möglichkeiten dem Klimawandel zu begegnen. Die dazu notwendigen Schritte und Maßnahmen sind hinlänglich bekannt.“ Der Staat ist nicht mehr das Reich der Zwecke, sondern das Imperium des Richtigen. Der Staat will das einzige Faktum sein, wider das kein Zweifel möglich ist. So kehrt das „Auge Gottes“ in die Tagespolitik zurück. Mit ihm tun’s Ketzer, die stören. Die Moderne biegt ein in ihr Gegenteil.

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