Gerhard Schröder - „Macron hat Mut“

Altkanzler Gerhard Schröder über den SPD-Kanzlerkandidaten, Merkels Fehler in der Flüchtlings­politik – und warum er beim Brexit an Obelix denken muss

Erschienen in Ausgabe
„Theresa May hat überhaupt kein Blatt in der Hand, überhaupt kein Druckmittel“ / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Herr Schröder: Sie waren immer ein gefürchteter und lustvoller Wahlkämpfer – juckt’s manchmal noch?
Gerhard Schröder: Nein, nein, das ist vorbei. Ich werde dem einen oder anderen Abgeordneten, den ich persönlich kenne, helfen. Aber sehr zurückhaltend. Man muss wissen, wann es vorbei ist. 

Frau Merkel ist zwölf Jahre im Amt, sie hat Fehler gemacht. Wäre sie bei der Bundestagswahl am 24. September zu schlagen? 
Ja, in der Tat, und ich glaube, dass die SPD mit Martin Schulz den richtigen Kandidaten hat. Er hat deutlich gemacht, dass er Kanzler werden will. Und dieses Amt muss man unbedingt wollen, sonst funktioniert ein Wahlkampf nicht. 

Klingt nach Zweckoptimismus nach den Niederlagen im Saarland und in Schleswig-Holstein und dem Debakel in NRW.
Ohne Zweifel waren das schmerzhafte Ergebnisse, vor allem das in Nordrhein-Westfalen. Aber es sind Landtagswahlen, und auch nicht mehr. Die Leute können das schon unterscheiden. Die CDU hat während Frau Merkels Kanzlerschaft eine Vielzahl davon verloren, und trotzdem die Bundestagswahl gewonnen. Und bei mir war das auch so. Ich erinnere mich daran, dass wir 1998 die Landtagswahl in Bayern krachend verloren haben. Das war nicht mal zwei Wochen vor unserem fulminanten Sieg bei der Bundestagswahl.

Martin Schulz sucht sein Heil bei der sozialen Gerechtigkeit, ist das das richtige Thema?
Das ist ein wichtiges Thema, ja. 

Der Kandidat hat sich dabei die Beinfreiheit genommen, Sie und Ihre Agenda 2010 handfest zu kritisieren. 
Für mich ist wichtig, was er auf dem letzten SPD-Parteitag gesagt hat. Und da habe ich den Eindruck, dass die SPD unter Martin Schulz und Sigmar Gabriel ihren weitgehenden Frieden mit der Agenda gemacht hat und jetzt darüber nachdenkt, was folgen muss – eine Agenda 2030. Es geht um Qualifizierung. Zum einen um die Fachkräfte, die sich wegen der Digitalisierung der Industrie weiterbilden müssen. Und zum anderen haben wir eine Million Flüchtlinge – und darunter sehr, sehr viele junge Männer. Zu glauben, das seien alles ausgebildete Ärzte oder Ingenieure, wäre vermessen. Wir werden diese Menschen qualifizieren müssen. Das wird Milliarden kosten. Und diese Milliarden müssen aufgebracht werden. Dann kann man es schaffen. Aber einfach zu sagen: Wir schaffen das, das reicht nicht. Frau Merkel hatte damals Herz, aber keinen Plan. Der Plan muss jetzt nachgeliefert werden. 

Ist das Handling der Flüchtlingskrise die Achillesferse der Angela Merkel?
Ich glaube schon, dass das so ist. 

Warum geht die SPD nicht darauf los?
Weil darauf losgehen auch falsch wäre. Es geht jetzt darum, einen Plan zu haben, wie die Menschen integriert werden, wie wir innere Sicherheit garantieren können und wie man die Gesellschaft zusammenhält. Die SPD ist immer eine Partei gewesen, die die Solidarität mit jenen, denen es schlecht geht, nicht aufgibt. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass der Machtinstinkt in konservativen Parteien ausgeprägter ist als in den sozialdemokratischen. Das ist einfach so. Die SPD hat da mehr Skrupel. Das ehrt sie. Das lässt sie gelegentlich unter ihren Möglichkeiten bleiben. 

Sigmar Gabriel hat kürzlich gesagt, ein Gerhard Schröder, ein Helmut Schmidt und ein Helmut Kohl hätten in dieser Situation nie so gehandelt wie Angela Merkel. Es sei naiv gewesen, so vorgegangen zu sein. 
Ich kenne die Abläufe nicht im Detail und will deswegen vorsichtig sein. Aber in jedem Fall wäre es richtig gewesen, die Entscheidung über die Grenzöffnung zusammen mit dem französischen Präsidenten zu treffen. Die Grenzöffnung selbst hätte man meines Erachtens am Ende nicht anders entscheiden können. Aber Frau Merkel hat den Fehler gemacht, so zu tun, als sei dieser Zustand ein neuer Normalzustand. Er war aber eine Ausnahme. Und muss eine einmalige Ausnahme bleiben.

Oder liegt die Beißhemmung daran, in einer Großen Koalition fürs Regierungshandeln mitverantwortlich zu sein? 
Der Wahlkampf bietet die Möglichkeit eigener Akzente auf allen Politikfeldern. In der Rentenfrage sind gemeinsam Fehler gemacht worden. Ich halte die Rente mit 63 für einen Fehler und auch die Mütterrente. Im Moment findet, so ist mein Eindruck, die SPD für ihr Wahlprogramm eine gute Mischung aus wirtschaftlicher Vernunft, Innovation und sozialer Gerechtigkeit. Es gibt in der Wahlkampfstrategie der SPD ein paar Anklänge an 1998 …

… „danke Helmut, es reicht“, war damals Ihr Satz …
… ja, und so ähnlich ist die Situation jetzt auch. Frau Merkel hat ja nicht nur Fehler gemacht, das kann man ja nicht ernsthaft behaupten. Deshalb ist sie auch weiter populär. Aber man kann den Menschen sagen: Schaut, nach zwölf Jahren reicht es dann auch. Ich sage Ihnen, auch aus eigener Erfahrung: Man wird im Laufe der Jahre in einem solchen Amt immun gegen Kritik. Das ist nicht gut. Deshalb finde ich: Acht oder zehn Jahre als Kanzler reichen. Das ist gar nicht so schlecht, was die Verfassung der USA da vorgibt: maximal zwei Wahlperioden für den Präsidenten.

Welche Koalition soll Martin Schulz anstreben? 
Es ist ja richtig, wenn er sagt: Wir wol­len stärkste Partei werden, und dann schauen wir, mit wem wir regieren. Die SPD sollte sich nicht vorschreiben lassen, mit wem es geht oder mit wem nicht. 

Also ginge auch ein Bündnis mit der Linken, Rot-Rot-Grün?
Wenn man sich die Programmatik und das öffentliche Auftreten der Linkspartei, vor allem der Familie Lafontaine, anschaut, dann muss man erkennen: Deren Ziel ist es, die SPD vorzuführen. Es ist nicht ihr Ziel, mit der SPD zu regieren. 

Sind die beiden wirklich repräsentativ für die Linke?
Besser wäre es sicherlich, wenn sich Pragmatiker wie der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow oder Dietmar Bartsch durchsetzen würden. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa, wir haben eine große internationale Verantwortung. Daher muss die Linke, wenn sie koalitionsfähig werden will, ihre Programmatik ändern. Mit einer antieuropäischen Haltung und der Forderung, aus der Nato auszutreten, kann man nicht den Anspruch erheben, mitregieren zu wollen.

Wenn kein Rot-Rot-Grün, was dann? 
Was Herr Lindner von der FDP sagt, ist ja interessant. Er sagt: Die FDP will in der Koalitionsfrage frei sein. Okay. Aber dann kann er eine Ampel nicht prinzipiell ausschließen. Wenn er das tun würde, dann begäbe sich die FDP wieder einmal in die babylonische Gefangenschaft der CDU.

Lindner sagt, Schulz klingt nicht nach Schröder, sondern nach Hollande.
Das ist natürlich Unsinn. Eine Aussage, die vermutlich dem aufziehenden Wahlkampf geschuldet ist. Wenn es einen gibt, der Europa kennt und weiß, wie man die Gräben zwischen den Mitgliedstaaten überwinden kann, dann ist das Martin Schulz. Und da gibt es ja einiges zu tun, wenn Sie an die Differenzen denken in der Flüchtlingspolitik oder auch in der Frage, wie wir die Währungs- und Finanzpolitik gestalten sollten.

Also sollte die SPD einen Ampel-Wahlkampf führen?
Nein, keineswegs. Erst mal geht es darum, dass die SPD den Anspruch hat, stärkste Partei werden zu wollen. Was danach kommt, wird man sehen. 

Die Grünen und die FDP, das geht jetzt zusammen?
Die Grünen haben sich verändert. In wirtschaftlichen Fragen sind sie sehr viel liberaler geworden. Das wäre eine Konstellation, mit der man gut regieren könnte. 

Wenn es am Ende dann doch nur wieder für die Große Koalition reicht?
Dann muss Deutschland auch regiert werden, das geht ja nun nicht ohne. Aber klar, am besten unter der Führung von Martin Schulz.

Nach der Willkommenskultur hat die CDU nun die Leitkultur wiederentdeckt. Können Sie damit was anfangen? 
Ich habe schon im Jahr 2000, als das zum ersten Mal aufkam, nicht verstanden, was das eigentlich sein soll. Wir haben doch eine exzellente Verfassung. Es gibt nichts Besseres als die Grundrechtsartikel. Wir sollten einen Patriotismus pflegen, der sich auf die Verfassung bezieht. Leitkultur bedeutet, den Menschen vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Aber es muss in einer liberalen Gesellschaft darum gehen, den Menschen zu ermöglichen, dass sie leben können, wie sie es wollen. Natürlich alles auf der Grundlage unserer Verfassung. Daher kann ich mit dem Begriff einer Leitkultur nichts anfangen, gar nichts. Kultur? Dazu gehört ja auch die Kunst. Soll das heißen, wir führen jetzt dem Maler den Pinsel? Absurd ist das.

Am Ende geht es um Integration. Österreich hat ein ziemlich strenges Integrationsgesetz verabschiedet, das Kurse für Einwanderer vorschreibt.
Das finde ich richtig. Deutschland gibt mehr als 300 Millionen Euro jährlich für Sprachkurse aus, das soll uns erst einmal einer nachmachen. Die Menschen, die hier leben und berufliche Perspektiven haben wollen, müssen die Sprache lernen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Und da braucht es auch das Prinzip Fördern und Fordern. Wer sich Integrations- oder Sprachkursen verweigert, dem muss auch Druck gemacht werden, etwa durch Kürzungen bei den Sozialleistungen.

Frankreich hat gewählt. Was ist Ihr Bild von Emmanuel Macron, ist er einer vom Holze Blair, Schröder, Clinton? 
Das könnte sein, obwohl man mit solchen Vergleichen zurückhaltend sein sollte. Frankreich hat eine andere politische Kultur als Deutschland, eine ganz andere Auffassung über das Verhältnis zwischen Markt und Staat. Die Franzosen haben traditionell eine sehr enge Beziehung zum Staat. In Deutschland hat sich die Demokratie gegen den Staat entwickelt, Frankreich hatte dagegen eine andere Entwicklung. Aber vom Typus her ist Macron einer, wie Tony und ich es waren, als wir angefangen haben. Jetzt wird man mal sehen müssen, was er denn bei den notwendigen Reformen in Frankreich bewegen kann. 

Er verfügt dort bislang über keine parteipolitische Verankerung.
Ja, es wird da nicht einfach für ihn. Der entscheidende Punkt wird sein, ob er nach den Parlamentswahlen eine parlamentarische Mehrheit für sich organisieren kann. Das Verrückte ist, dass es auf der Linken in Frankreich Leute gab, die sagten: besser Le Pen als Macron. Das wäre ja so, als wenn die Linke zur Wahl der AfD aufriefe. Das Ganze ist nah an der Sozialfaschismus-These, wie sie Ernst Thälmann 1929 in der Weimarer Republik propagiert hatte. Deswegen sage ich: Unsere Regierung muss ihn nach Kräften unterstützen. Was wir brauchen, ist ein Neuanfang in Europa, und der kann nur gemeinsam von Frankreich und Deutschland gemacht werden. Es ist durchaus vernünftig, was Macron über Europa sagt. Es ist nicht so einfach, in der jetzigen Situation mit einem dezidiert proeuropäischen Programm in Frankreich anzutreten. Das hat er getan. Das zeigt schon, dass er viel Mut hat.

Heißt dass, Deutschland muss Frankreich auch mit Geld unterstützen, wie Sigmar Gabriel es fordert?
Er hat Pläne für eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik in Europa vorgestellt. Darüber muss man offen diskutieren. Man wird das nicht eins zu eins übernehmen können. Aber wenn Sie den Vorschlag von Wolfgang Schäuble für einen Europäischen Währungsfonds anschauen, dann ist doch erkennbar, dass es selbst bei den deutschen Konservativen, die ja immer strikte Gegner davon waren, Bewegung gibt. Und egal, welche Farbe die neue Bundesregierung haben wird, muss es darum gehen, dass Deutschland und Frankreich am Ende dieses Wahljahres gemeinsame Vorschläge präsentieren, wie sich die Europäische Union und die Eurozone weiterentwickeln können. Denn der alte Grundsatz gilt ja weiter: Nur wenn unsere beiden Länder zusammenarbeiten, kann es in Europa vorangehen.

Sind mit der Wahl von Macron der Frexit vom Tisch und der weitere Zerfall der EU?
Ja. Ich glaube nicht, dass der Brexit Beispiele schafft. Die Briten werden aus zwei Gründen erkennen, dass sie einen verhängnisvollen Fehler gemacht haben. Erstens: Sie werden politisch an Einfluss verlieren. Die Vorstellung, man könne zurück zum Empire und eine eigene Rolle spielen auf der Weltbühne, ist völlig absurd. Zweitens: Großbritannien wird ökonomisch leiden. Sie sehen jetzt schon: Teile der City verlagern Arbeitsplätze nach Paris, Frankfurt oder Amsterdam. Aber auch jenseits der Finanzbranche werden die Briten die Folgen spüren. Welcher Automobilzulieferer aus Japan oder aus Korea wird seine Europazentrale noch in Großbritannien ansiedeln? Kein einziger. 

Premierministerin May sagt selbstbewusst: Wir werden hart verhandeln und wir werden hinterher besser dastehen. 
Sie hat überhaupt kein Blatt in der Hand, überhaupt kein Druckmittel. Sind Sie asterixfest? „Die spinnen, die Briten“, sagt Obelix. 

Können Sie nicht gleichwohl ein wenig nachvollziehen, dass sich breite Bevölkerungsschichten in unterschiedlichen Ländern in Europa ins Neonationale zurückziehen, weil Europa vielleicht über einige Jahre nicht geliefert hat? 
Von vielen wird die EU nicht als Antwort auf die aktuellen Probleme gesehen, sondern als Teil der Probleme. Sie muss wieder Vertrauen zurückgewinnen. Und dazu muss sie sich ändern. Der erste Punkt ist, dass die Finanz-, Wirtschafts- und auch die Sozialpolitik im Euroraum enger koordiniert werden müssen, damit die Währung stabil bleiben kann. Zweitens: Die Brüsseler Bürokraten agieren ziemlich weit weg von dem, was in den nationalen Gesellschaften eine Rolle spielt, und teilweise auch mit durchaus vorhandener Arroganz gegenüber den politischen Willensbildungen in den Mitgliedstaaten. Das geht nicht. Perspektivisch, allerdings sehr langfristig gedacht, braucht man eine europäische Regierung und ein Parlament, das diese wählt. Jeder Wähler in Europa, der zur Wahlurne geht, muss das berechtigte Gefühl haben, ich bewege etwas damit. Und drittens muss man Ernst machen mit der Subsidiarität. Da bin ich mit den Bayern übrigens einig.

Mit Ihrem Freund Edmund Stoiber?
Wir werden alle älter, milder und weiser.

Nur Recep Tayyip Erdogan nicht. Gibt es nach diesem Eklat um seine Verfassungsreform noch einen Weg nach Europa für die Türkei? 
Ich war 2004 dabei, als die EU beschlossen hat, die Beitrittsverhandlungen zu starten. Das hatte gute Gründe – geopolitische und ökonomische, die bestehen weiter. Die Türkei ist ja ökonomisch erfolgreicher als Rumänien oder Bulgarien, das kann niemand ernsthaft bestreiten. Das Angebot hatte auch Gründe politischer Art. Zu der damaligen Zeit war Ministerpräsident Erdogan jemand, der das Militär in seine Schranken gewiesen hatte, der auf einem europafreundlichen Weg war. In der Folge sind Fehler gemacht worden, auf beiden Seiten. So ist die von Frau Merkel geführte Diskussion über eine privilegierte Partnerschaft, von der bis heute keiner weiß, was das sein soll, von vielen in der Türkei ganz anders verstanden worden. Auch die liberalen Kräfte haben dann gedacht: Die EU will uns nicht.

Erdogan ist aber ein anderer geworden seit Ihrer Zeit. Im Wahlkampf für seine Präsidialdiktatur hat er Deutschland Nazimethoden vorgeworfen. Wie soll da wieder eine Brücke gebaut werden? 
Das waren ganz falsche Äußerungen, vollkommen unhistorisch und auch verletzend. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, dass wir mit der Türkei zusammenarbeiten müssen. Die Türkei bleibt geopolitisch von ungeheurer Bedeutung, sie ist unser Nato-Partner, sie spielt in der Flüchtlingspolitik eine zentrale Rolle, und wir brauchen sie, um die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten zu befrieden. Man muss Meinungsverschiedenheiten nicht verschweigen, aber man muss auch miteinander reden. Das machen Frau Merkel und Herr Gabriel jetzt schon richtig.

Und nun? Ende der Gespräche über einen EU-Beitritt?
Das wäre falsch. Diejenigen, die jetzt aus innerparteilichen Motiven oder Wahlkampfgründen sagen, wir müssen die Gespräche beenden, die machen es sich sehr einfach. 

Und wo ist der Punkt, an dem auch bei Ihnen Schluss ist? 
Die Todesstrafe ist mit den Kopenhagener Kriterien, die für den EU-Beitritt erfüllt sein müssen, nicht vereinbar. Deswegen mein immer noch freundschaftlicher Rat an die Türkei: Lasst das. Ihr gebt sonst denen, die die Türkei aus ganz anderen Gründen nicht in der EU wollen, ein Argument an die Hand. Und das hätte eine große Tragik. Denn die Konsequenz könnte doch nur sein, dass sich die Türkei weiter nach Asien orientiert.

Oder nach Russland.
Oder nach Russland. Das tut die Türkei ja bereits.

Frau Merkel war jetzt nach zwei Jahren Pause das erste Mal wieder bei Wladimir Putin in Sotschi. Sie sind mit Putin befreundet. Kann er mit Merkel?
Dass die beiden einander als versierte Machtpolitiker respektieren, ist doch gar keine Frage. Jenseits des Persönlichen: Wir wissen, dass wir den russischen Markt und die russischen Ressourcen brauchen. Und die Russen wissen, dass sie das Know-how der deutschen Wirtschaft brauchen. Also gibt es gemeinsames Interesse an einer ökonomischen Zusammenarbeit. Ich hätte mir gewünscht, dass man in der Politik ein bisschen weiterkommt. Es hat ja Fortschritte im Minsk-Prozess gegeben. Und anstatt dann eine Beibehaltung oder gar eine Verschärfung der Sanktionen zu diskutieren, hätte ich mir eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen gewünscht. Meine Hoffnung ist, dass man nach der Bundestagswahl zur Vernunft zurückfindet und erkennt: Russland ist unser wichtigster Nachbar der EU und ist Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ein solches Land kann man nicht derart isolieren.

Nach der Annexion der Krim: Halten Sie Russland für gefährlich für weitere Anrainer?
Nein, denn die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert. Bei der Krim aber prophezeie ich Ihnen: Es wird auf absehbare Zeit keinen russischen Präsidenten geben, der die Krim wieder zurückgibt. Dieser Realität muss man ins Auge schauen, ob man es akzeptieren mag oder nicht.

 

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