Führungskrise der CDU - „Mit der Wahl des neuen Vorsitzenden fangen die Probleme erst an“

Das Rennen um die Nachfolge der CDU-Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer ist eröffnet. Jetzt läuft es doch wieder auf eine Kampf-Kandidatur ihrer Nachfolger hinaus. Es ist kein gutes Vorzeichen. Denn das eigentliche Problem steht der Partei noch bevor.

Two and a half men: In der CDU läuft es auf einen Kampf zwischen Merz und dem Team Laschet/Spahn hinaus / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Hermann Binkert ist Geschäftsführer des Markt- und Sozialforschungsinstitutes INSA-Consulere. Er war Mitglied der CDU und von 2008 bis 2009 Staatssekretär in der Thüringer Staatskanzlei. 

Herr Binkert, das Rennen um die Nachfolge von CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist eröffnet. Es kandidieren Friedrich Merz, Norbert Röttgen, das Team Laschet/Spahn. Die CDU hat zuletzt bei der Wahl in Hamburg nur noch 11,2 Prozent der Stimmen bekommen. Ist die Bewerbung um den Parteivorsitz ein Himmelfahrtskommando? 
Nein, alle drei Bewerber um den Vorsitz stehen für einen bestimmten Ansatz. Und alle drei haben vor, die CDU wieder nach vorn zu bringen.  

Wer hat denn die besten Chancen?
Wir können mit unseren Umfragen nur die Chancen bei den Wählern messen, insbesondere bei den aktuellen und potenziellen Wählern der Union. Und da kommt Friedrich Merz am besten an. 

Was sehen die Wähler in ihm?
Wir haben nach Kompetenz, Sympathie und nach der Chance gefragt, bei Wahlen möglichst viele Stimmen für die Union zu gewinnen. In allen drei Kategorien liegt Merz bei den Unionswählern vorn. Danach kommt Laschet. Er gilt als sympathisch – auch noch über die Klientel der Unionswähler hinaus. Wenn man die Gesamtzahl der Wähler als Maßstab nimmt, dann liegt Laschet bei der Sympathie-Frage noch vor Merz. Merz zieht bei den aktuellen und potenziellen Unionswählern am stärksten.

Aber in der Bundespartei ist Armin Laschet als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU stärker verankert. Wie zuverlässig sind da Ihre Umfrage-Ergebnisse?
Über die Kräfteverhältnisse beim Bundesparteitag kann ich überhaupt nichts sagen. Da müssen Sie einen Insider fragen. Demoskopisch steht fest, dass Merz im Süden und im Osten der Republik besonders gut ankommt.  

AKK hat nach nur einem Jahr auf dem Höhepunkt der Thüringen-Krise das Handtuch geworfen. Hat Sie das überrascht?
Nein, dass es für Frau Kramp-Karrenbauer schwierig wird, haben ja schon die Zahlen des Politiker-Rankings 2019 gezeigt. Innerhalb von nur einem Jahr hat sie massiv an Zustimmung verloren. Und sie hat es richtig analysiert, als sie gesagt hat, sie sei an dem Dualismus zwischen Parteivorsitz und Kanzleramt gescheitert ist. Angela Merkel hatte zu Recht Bedenken, die beiden Ämter zu trennen. 

Ist AKK auch gescheitert, weil sie eine Frau ist?
Das glaube ich nicht. Frau Merkel ist ja auch nicht gescheitert, und sie ist auch eine Frau. 

Aber CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus hat in einem Interview in der SZ gesagt, die Bundespartei habe es Kramp-Karrenhauer auch nicht gerade leicht gemacht. 
Das stimmt, aber mit dem rauhen Wind musste Frau Merkel auch die ganze Zeit leben. Es ist jedenfalls nicht so, dass man sagen könnte, dass eine Frau in der CDU nicht Parteivorsitzende sein kann. Ds ist widerlegt! 

Mit der Personalentscheidung ist auch eine Richtungsentscheidung verbunden. Wofür stehen die Kandidaten? 
Friedrich Merz steht nach seiner eigenen Einschätzung für Aufbruch und Erneuerung – und Armin Laschet für Kontinuität. Er selbst sieht das wohl anders.  

Merz verkörpert offenbar die Sehnsucht nach der guten alten Bundesrepublik, nach autoritären Figuren wie Helmut Kohl.  Muss man da nicht eher von einem „Bruch“ mit der Ära Merkel als von einem „Aufbruch“ sprechen?
Unbestritten ist Merz nicht der Favorit der Kanzlerin. Er wird von seinen Fans wohl gerade deshalb unterstützt, weil er kein Freund von Angela Merkel ist. Ich glaube aber, dass er für viele Menschen eine Projektionsfläche ist. Er spricht liberal-konservative Wähler an. Frau Merkel hat eher Zuspruch von Wählern der Grünen.  

Wenn es nach Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gegangen wäre, hätte die CDU in ihrer Führungskrise erst rausfinden sollen, wofür sie heute eigentlich steht – und dann den Nachfolger bestimmt. War es klug, einen Sonderparteitag im April anzuberaumen, um die Nachfolge der Parteichefin zu klären? 
Ja, aus demoskopischer Sicht kann man nur sagen: Lange Zeiten der Ungewissheit und des Streites schaden einer Partei, die sich streitet. Die inhaltlichen Punkte müssen immer zur Person passen. Die CDU arbeitet ja aktuell an einem neuen Grundsatzprogramm. 

Auf dem Sonderparteitag im April läuft es jetzt auf eine Kampfkandidatur der Nachfolger hinaus. Wollte AKK nach den Erfahrungen mit dem Castings auf den zurückliegenden Regionalkonferenzen nicht genau das vermeiden? 
Ja, wenn man den Verlautbarungen folgt, dann war eigentlich eine Teamlösung angedacht. Aber offenbar konnten sich drei beziehungweise vier Bewerber nicht auf eine Lösung einigen. Und dann muss es eben der Parteitag entscheiden. Der zentrale Punkt wird sein, ob es dem Nachfolger gelingt, die Unterlegenen anständig einzubinden.  

Offenbar hat Frau Kramp-Karrenbauer unterschätzt, dass hier vier Egos aufeinanderprallen. Hat sie das Auswahlverfahren nicht mehr im Griff? 
Im Griff kann ja nicht heißen, sie kann durchsetzen, was sie wollte. Das klappt in einer demokratischen Partei nicht. Zu Recht. Sie hat versucht, einen Konsens zu finden. Wenn das nicht gelingt, muss man es eben auf demokratischem Wege lösen. Das als mangelnde Führung anzusehen, hieße, die Demokratie in Frage zu stellen. 

 

Hermann Binkert / privat 

Was sagt es über den Zustand CDU aus, dass erst Norbert Röttgen seine Kandidatur öffentlich verkünden musste, bevor seine Mitbewerber ihren Hut offiziell in den Ring geworfen haben?
Ich weiß nicht, ob die anderen das sonst auch in dem Tempo gemacht hätten. Ich finde, dass es gut ist, wenn demokratische Prozesse transparent gemacht werden – und wenn Klarheit darüber hergestellt wird, in welche Richtung es geht. Wähler erwarten von den Parteien auch Orientierung. Insofern war es klug, dass Herr Laschet versucht hat, sein eigenes Spektrum mit Herrn Spahn zu verbreitern. Eine Partei, die Volkspartei bleiben will, muss sich breit aufstellen.  

Norbert Röttgen hat diese „Hinterzimmer-Deals” gerügt. Wollte AKK den Nachfolger nicht deswegen hinter verschlossenen Türen aussuchen, damit die Führungskrise der CDU nicht noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückt?
Eine einvernehmliche Lösung mit den Bewerbern wäre sicherlich gut gewesen. Aber wenn es diesen Konsens nicht gibt, ist es besser, die Konflikte offen auszutragen. 

Wieso greift die Kanzlerin in dieser Führungskrise eigentlich nicht ein? 
In der Bevölkerung gibt es den klaren Wunsch, dass die Kanzlerin nicht über 2021 hinaus Regierungschefin bleibt. Die Kanzlerin genießt aber immer noch eine hohe Sympathie – weit über die Wählerschaft der Union hinaus. Für viele steht sie inzwischen über den Parteien und wird nicht mehr explizit als CDU-Frau wahrgenommen. Sie hat diese parteipolitische Ebene verlassen ... 

... um nicht ihren eigenen Mythos zu demontieren?
Darüber maße ich mir kein Urteil an. 

Ist es nicht fahrlässig, jetzt die Hände in den Schoß zu legen und der eigenen Partei zuzuschauen, wie sie sich selbst demontiert?
Der Dualismus zwischen Kanzleramt und Parteivorsitz hat der CDU geschadet. Frau Merkel hat das von Anfang an befürchtet. Nachweislich hatte sie Recht. 

Heißt das, sie hat die Führungskrise vorsätzlich provoziert?
Nach dem schlechten Wahlergebnis der CDU bei der Hessen-Wahl 2018 musste sie reagieren. Sie hat ihre Kanzlerschaft auch damit gerettet, dass die den Parteivorsitz als Ballast abwarf. 

Hätte sie nicht mit einer Kabinettsumbildung Druck aus dem Kessel nehmen können?
Ja, man macht häufig die Erfahrung, dass neue Besen besser kehren. Wenn etwas Neues kommt, kann das einen Aufbruch bringen. Eine Sicherheit dafür gibt es aber natürlich nicht. Aber wenn man es nicht macht, hat man die Chance verspielt. 

AKK will den Parteivorsitz mit der Kanzlerkandidatur verbinden, um zu verhindern, dass ihrem Nachfolger dasselbe passiert wie ihr. Eine kluge Entscheidung? 
Ja, alle Kandidaten für die Nachfolge haben erklärt, dass sie auch im Interesse am Kanzleramt haben. Die Konstellation ist also eine andere als vor dem Bundesparteitag 2018, wo es hieß, es gehe nur um den Parteivorsitz. 

Aber damit schließt sie CSU-Chef Markus Söder aus, dem ebenfalls Ambitionen auf das Kanzleramt nachgesagt werden. Ist das schon eine Entscheidung gegen einen Kanzlerkandidaten Söder? 
Nein, es ist vereinbart, dass derjenige, der Parteivorsitzender wird, das mit Söder aushandelt. Alle drei wollen ja Kanzlerkandidat werden. Söder hat das für sich bislang ausgeschlossen. 

Bis zur Bundestagswahl sind es noch anderthalb Jahre. Kann es sein, dass er auf Zeit spielt, um sich nicht jetzt schon als Kandidat zu verbrauchen?
Das stimmt. Wie schnellebig die Politik ist, haben ja die vergangenen Wochen gezeigt. Und Söder steht derzeit ganz oben im Politikerrankings. Er hat einen großen Sprung nach vorn gemacht. Aus dieser Zustimmung kann er schöpfen. Aber das muss er mit dem künftigen CDU-Parteivorsitzenden ausmachen. 

Ist die Führungskrise mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden gelöst? 
Nein, weil dann immer noch nicht geklärt ist, wie die Zusammenarbeit des neuen Parteivorsitzenden mit der Kanzlerin läuft. Es ist auch nicht klar, wie es verlaufen würde, wenn Friedrich Merz gewählt werden sollte. 

Würden die Probleme dann nicht erst richtig anfangen?
Ja, es heißt, die beiden seien verfeindet. Man weiß nicht, wie sie dann handeln. Darin besteht eben die grundsätzliche Gefahr bei einem Wettstreit, wie er sich auf dem Sonderparteitag im April abzeichnet. Nämlich, dass sich ein Teil der Partei anschließend als Verlierer fühlt und nicht mit dem Gewinner mitgeht. Egal wer gewinnt. 

Hat die CDU nach dem ganzen Theater überhaupt noch eine Chance, nach der nächsten Bundestagswahl an die Regierung zu kommen?
Seit langer Zeit gibt es im aktuellen INSA-Meinungstrend eine rechnerische Mehrheit für ein Bündnis von Grün-Rot-Rot. Es gibt also eine Mehrheit jenseits der Union. Das ist neu. Jahrelang hieß es, ohne die CDU/CSU kann nicht regiert werden. 

Heißt das, die Führungskrise der CDU interessiert dann keinen mehr, weil sie sowieso in der Opposition ist? 
Ja, wenn es eine rechnerische Mehrheit für Grün-Rot-Rot gibt, kann ich mir schwer vorstellen, dass die Grünen eine Koalition mit der CDU eingehen, statt selbst den Kanzler zu stellen.  

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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