Fridays For Future-Demo mit Greta Thunberg - Mein Sohn, der Spießer

Greta Thunberg besucht Berlin, und 20.000 Kinder und Jugendliche jubeln der Klima-Aktivistin zu. Viele Erwachsene haben dafür nur Spott übrig. Doch wie fühlt es sich an, wenn der eigene Sohn dabei ist?

Alles besser als Mathe: Nicht allen Teilnehmern der Greta-Thunberg-Show geht es um die Klimarettung / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es gibt Momente im Leben einer Mutter, da fragt man sich: Ist dieser 1,80 Meter große junge Mann, der da vor mir steht, tatsächlich mein Sohn? Wie kann es sein, dass er völlig anders tickt als ich? Warum rollt der mit den Augen, wenn der Name „Greta Thunberg“ fällt? Was habe ich bloß falsch gemacht? 

Ich hatte dieses Gefühl zuletzt heute mittag. Da ploppte auf meinem Smartphone eine WhatsApp-Nachricht mit einem Foto auf. Endlich, dachte ich. Das versprochene Foto von der Fridays For Future-Demo. Mein Sohn war zusammen mit Tausenden Kindern zum Bundeswirtschaftsministerium gefahren, wenn auch nicht ganz freiwillig. Greta kommt nach Berlin, hatte ein Mitschüler gesagt. Und wenn Greta kommt, komme ich auch. Dieser bestechenden Logik vermochte der Rest der Klasse offenbar nichts entgegenzusetzen. Alles besser als Unterricht. 

Klassenausflug zur Klimademo 

Oder wie sollte ich das Foto auf meinem Handy interpretieren, das ich jetzt öffnete? Nein, es war kein Schnappschuss von Greta, dem Shooting Star aus Stockholm. Die, so erfuhr ich später, hätten sie in der Menge gar nicht gesehen. Womit aber auch keiner gerechnet habe. „Es war total voll. Und die ist ja auch sehr klein.“ Nein, das Foto zeigte acht 15-jährige Jungs, die sich um ein Plakat gruppiert haben. Auf dem Plakat steht: „Fickt Euch – nicht das Klima!“ Die Jungs sehen aus, als seien sie unterwegs auf Klassenfahrt. Sie lachen. 

Nur, damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe nichts dagegen, dass Kinder auf die Straße gehen, um ihrer Angst vor dem Klimawandel Ausdruck zu verleihen. Im Gegenteil, ich finde das sogar gut. Man wirft der Jugend gerne vor, ihr Horizont höre am Handyrand auf. Sie lese keine Zeitung, geschweige denn irgendwelche CO2-Bilanzen. Jetzt aber entdeckt sie ihr ökologisches Gewissen. Sie zeigt den Politikern den Mittelfinger, die viel von Klimaschutz reden, aber tatenlos dabei zusehen, wie der Planet geplündert wird. Jeden Freitag schwänzen Tausende die Schule, um sie lautstark daran zu erinnern. „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil Ihr uns die Zukunft klaut.“ 

Ernster Protest oder Spaß beim Schwänzen?

Und was passiert? Wieder machen sie sich unbeliebt. Alte weiße Männer, die es eigentlich besser wissen müssten, kippen kübelweise Spott über Greta & Konsorten aus. Sind das nicht alles dumme Mädchen und Jungs, die sich vor den Karren einer links-grün-versifften Propaganda spannen lassen, um ein paar schulfreie Stunden zu genießen? Kinder, die von Papa und Mama im SUV zur Demo chauffiert werden? Und danach ab zu McDonald’? 

Nun, wie gesagt. Mein Sohn fällt nicht in diese Kategorie. Freitags geht seine Schule bis 16 Uhr. Er sagt, Unterricht zu schwänzen, könne er sich gar nicht leisten. Ich weiß nicht, ob ich darüber erleichtert oder entsetzt sein soll. Mein Sohn, ein Spießer. 

Er reist gerne herum, besonders mit dem Flugzeug. Aber die Welt, sie hört für ihn hinterm Ortsschild von Berlin auf. Ein Ozonmantel, der immer löcheriger wird. Eis, das an den Polkappen schmilzt. Eisbären, die aussterben. Alles nicht sein Problem, glaubt er. Er will nicht einsehen, dass auch er mit seinem Konsumverhalten zum Klimawandel beiträgt. Das macht mich ein bisschen traurig. 

Papa und Mama tragen die Dinkelstulle hinterher

Noch trauriger macht mich, dass er offenbar keine Ausnahme ist. Freunde berichten mir, auch ihre Kinder seien eher lustlos durch Mitte geschlurft. 15.000 Teilnehmer hatten die Veranstalter angekündigt. Tatsächlich sollen es noch mehr gewesen sein. Mein Sohn sagt, natürlich gebe es darunter auch Greta-Fangirls und Fanboys, die „hysterisch kreischen“ und „richtig  eskalieren“, wenn sie ihrem Idol folgten, bewaffnet mit  „Rettet-die-Robben-Transparenten“. „Viele gehen erst in die erste Klasse. Papa und Mama tragen ihnen die Dinkelstulle hinterher.“ Aber sie seien in der Minderheit. 

Zwei von drei Demonstranten, schätzt mein Sohn, seien heute nur mitgelaufen. So ein Ausflug mit den Kumpels sei doch auch netter als Mathe bei Herrn Fleischer. Wobei, nichts gegen Herrn Fleischer. Der, so sagt mein Sohn, sei vor der Demo richtig ausgerastet. Er habe den Neuntklässlern eine Standpauke gehalten. Wie könnten sie jeden Tag ihren Plastikmüll in der Klasse entsorgen und dann mit Greta für die Rettung der Robben demonstrieren. Völlig verlogen sei das.  

Mein Sohn, der Spießer, hat ihm dafür das größte Kompliment gemacht, das ein Schüler einem Lehrer machen kann. „Respekt!“  

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