Kehrtwende bei der FDP - Der Umfaller

Noch vor einigen Tagen wollte der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki Ungeimpfte nicht schlechter stellen als Geimpfte. Mit seiner klaren Haltung für Freiheit in der Corona-Krise dürfte er zum Wahlerfolg der Liberalen beigetragen haben. Doch auch seine Partei trägt den Gesetzentwurf mit, über den der Bundestag morgen entscheidet und der Ungeimpfte weitgehend vom öffentlichen Leben ausschließt.

Wolfgang Kubicki fällt um / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Der Boden der Wirklichkeit ist hart und kalt. Wolfgang Kubicki, seit 2013 stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP und in der bereits zweiten Legislaturperiode Vizepräsident des Deutschen Bundestags, ist jetzt just auf diesem aufgekommen. Es wird schmerzhaft gewesen sein, und ob es vermeidbar war, das weiß letztlich nur der 69-jährige Spitzenliberale selbst. Fakt ist: Morgen wird im Deutschen Bundestag über einen Gesetzentwurf der SPD-, Grünen- und eben der FDP-Fraktion entschieden, der alles gegenläufig macht, wofür bis dato besonders Kubicki mit seinem guten Namen einstand. 

Noch am 13.. November, also gerade mal vor vier Tagen, hatte der in einem Interview mit dem Spiegel gesagt, dass man Ungeimpfte nicht schlechter stellen dürfe als Geimpfte: „Ich degradiere die Ungeimpften nicht zu Menschen zweiter Klasse … Wir müssen beide Gruppen gleich behandeln“, so Kubicki gegenüber den vermutlich mit den Ohren schlackernden Journalisten des Hamburger Nachrichtenmagazins. 

Kein Schutz für die Allgemeinheit

Und auch sonst hatte der bürgerrechtsbewegte Rechtsanwalt von der Kieler Förde manch Wahrheit mit im kleinen Handgepäck: etwa, dass er nicht verstehen könne, wieso die Anzahl der Intensivbetten inmitten einer pandemischen Lage bundesweit um rund 9.000 reduziert worden sei oder warum die bisherige harte Maßnahmenpolitik der nur noch geschäftsführenden Bundesregierung die sogenannte vierte Welle nicht hat verhindern können. Und zuletzt auch noch dieses: „Die Impfung dient dem eigenen Schutz, nicht dem Schutz der Allgemeinheit.“ 

Solche Aussagen sind disputabel, aber selbst unter Medizinern satisfaktionsfähig. In Kreisen der liberalen Ampelteilnehmer aber sind sie wohl allenfalls noch hinter vorgehaltener Hand zulässig. Daher: Ach, Wähler, versteh – die Zeit ist passé! Wenn morgen der Deutsche Bundestag in dritter Lesung den Gesetzentwurf von Roten, Grünen und eben Gelben zustimmen wird, dann werden Kubickis Worte bestenfalls noch Schall und Rauch sein. Denn hinter der Drucksache 20/15 versteckt sich – man muss es wohl so hart sagen – die größte Ausgrenzungskampagne, die es in diesem Land seit Jahrzehnten gegeben hat: Ungeimpfte dürfen dann nicht mehr ohne Test mit Bus und Bahn fahren, menschliche Kontakte können eingeschränkt werden, flächendeckend können 2G-Regeln gelten. Kurz: „Lockdown für Ungeimpfte; das ist die Vulgärübersetzung“, wie es der Grüne Robert Habeck offenbar leicht angeekelt vom eigenen Rechtsverständis jüngst gegenüber den ARD-Tagesthemen erklärt hat. 

Ein leichter Deal

Es muss ein ziemlich einfacher Deal gewesen sein – selbst innerhalb der FDP. Zwar habe es in der Partei auch Kritik gegeben, so heißt es aus Kreisen der Liberalen; und nicht jeder sei jetzt über den Entwurf glücklich. In den Koalitionsverhandlungen selbst aber seien die neuen Maßnahmen nicht einmal Thema gewesen, man habe das ganze operativ abgestimmt, übersichtlich zwischen Partei- und Fraktionsführung.  

Das mag in Anbetracht der Dimension des Themas durchaus irritieren, aber irgendwie hatte es Wolfgang Kubicki ja angekündigt; vielleicht hatte es der damals heiß umworbene Wähler nur falsch verstanden, ja verstehen wollen: „Nach den Bundestagswahlen kommen wir stärker auf den Boden der Wirklichkeit zurück“, hatte der smarte Holsteiner noch im August in einem Interview mit BILD TV ins Netz gekabelt. Jetzt also ist Wolfgang Kubicki genau dort angekommen. Hart wird es auf diesem sein, kalt und sicherlich auch etwas schmerzhaft. Denn selten hat ein Politiker sowie die mit dessen Namen aufs engste verbundene Partei in so kurzer Zeit so viel Glaubwürdigkeit verloren.

So sind sie halt ...

Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus scheint man es derweil gelassen zu nehmen: Das, so heißt es ganz nüchtern aus Kreisen der FDP, sei eben der Unterschied zwischen einer Partei in der Regierung und einer in der Opposition. Und klar: Ginge es hier nur um die morgen ebenfalls im Bundestag zur Debatte stehende Bundeszuschussverordnung 2022 oder um eine Preisfestsetzung für Tulpenzwiebeln, man könnte abwinken und sich beeumeln – so sind sie halt, die Herren Politiker; das munkeln seit je die Taxifahrer und Friseure. 

Hier aber geht es ja um etwas anderes, und niemand weiß das besser als Wolfgang Kubicki: Wenn morgen der Bundestag dem Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes sowie weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage zustimmt, dann ist das zwar ein richtiger Schritt, um die Legislative wieder in ihr Recht zu setzen, es ist aber dennoch der falsche Schritt für die Freiheit als Ganzes. Denn wer die Grundrechte per Injektion verimpfen lässt, der hat ihren überhistorischen Wert nicht verstanden. „Im Zweifel für die Freiheit“, lautete einst das Credo einer anderen namhaften Liberalen. Nicht nur Wolfgang Kubicki sollte sich an diesem Satz von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Beispiel nehmen. Nicht jede Ampelschaltung springt automatisch auf Grün. Manchmal ist es vielleicht besser, sich selbst und den eigenen Versprechen treu zu bleiben.

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