Fall Al-Bakr - Sachsen ist nicht das Problem

Die Schuldzuweisungen im Fall Al-Bakr sind heuchlerisch. Nicht Sachsen trägt die Verantwortung, sondern das Kanzleramt. Die Sicherheitslage gebietet mehr Ernsthaftigkeit von Kommentatoren aus Politik und Medien

JVA Leipzig: Mehr Verständnis für Zwangslage der Justizbeamten / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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„Völliges Versagen“, „handfester Justizskandal“ – kein Vorwurf ist zu grob, um ihn den Verantwortlichen in Sachsen in die Schuhe zu schieben. Nachdem sich der Syrer Jaber Al-Bakr in einer Leipziger Gefängniszelle mit einem T-Shirt selbst stranguliert hat, hagelt es Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Medien wie Spiegel Online und die Süddeutsche Zeitung höhnen über den „gescheiterten Freistaat“, der schon zu lange von einer arroganten CDU regiert werde. Terrorismusexperten wie Elmar Theveßen (ZDF) vergessen in ihren Analysen allerdings zu erwähnen, dass die in Leipzig zu Rate gezogene Gefängnispsychologin keine Selbstmordgefahr sah; mithin also keine Unterbringung in einer Sonderzelle veranlasste. Die Einweisung in diese Art überwachter Isolationshaft kann in unserem Rechtssystem schnell als Folter geahndet werden. Man sollte die Justizbeamten also nicht vorschnell als Trottel aburteilen und mehr Verständnis für deren Zwangslage aufbringen.

Keine Frage: Dieser Antiterroreinsatz ist alles andere als optimal verlaufen. Es wurden gravierende Fehler gemacht. Aber es ist wenig plausibel, nun so zu tun, als hätte Sachsens Polizei und Justiz total versagt und es sei einzig den drei weiteren Syrern zu verdanken, dass eine schlimme Attacke auf den  Berliner Flughafen Tegel verhindert wurde. Zweifelhaft ist auch der Glaube an die spontane Radikalisierung von Al-Bakr. Der 22-Jährige nahm offenbar von Syrien aus eine andere Route nach Deutschland als die bisher bekannt gewordenen Dschihadisten des IS. Ermittler werteten dies als Indiz dafür, dass er ein Profi sei

Verantwortung bei Angela Merkel

Bleiben wir bei den Fakten: Mit der Flüchtlingswelle kamen nicht wenige Personen mit unguten Absichten ins Land. Erst Mitte September wurden bei Razzien in Asylunterkünften in Schleswig-Holstein drei mutmaßliche „Schläfer“ der Terrormiliz IS gefasst. Der Attentäter von Ansbach hatte in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Der junge Afghane, der im Sommer nahe Würzburg in einem Regionalzug mit einer Axt auf Fahrgäste losging, kam als unbegleiteter Flüchtling ins Land. Mehrere der Attentäter von Paris im November 2015 waren unbehelligt als Flüchtlinge über die Balkanroute und Deutschland nach Frankreich gelangt – mitsamt Waffen.

Bis heute wissen wir nicht genau, wie viele Flüchtlinge sich wo und mit welchen Absichten im Land aufhalten. Die Angaben variieren stark. Noch immer sind fast 500.000 Asylanträge nicht bearbeitet. Wer die Verantwortung für diesen Kontrollverlust ausmachen will, darf das Chefzimmer im Bundeskanzleramt nicht übersehen. Angela Merkel hat eigenmächtig die Grenzen weit geöffnet und lehnt bis heute strenge Kontrollen ab. Jeder, der Asyl begehrt, wird hereingelassen.

Durchlässige Prüfverfahren

Der Fall Al-Bakr belegt zudem, wie durchlässig unsere Prüfverfahren sind. Er konnte unbehelligt in die Türkei ausreisen und wieder nach Leipzig zurückkehren. Dieses Nicht-Sehen-Wollen erschwert die Arbeit von Verfassungsschutz und Polizei, die allein mehrere hundert Gefährder überwachen und tausenden Hinweisen nachgehen müssen. Die drei Terrorverdächtigen aus Schleswig-Holstein seien drei Monate lang insgesamt 22 000 Stunden observiert worden, verdeutlichte Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen die Belastung in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Rechnerisch haben damit 150 Leute nur an diesem Fall gearbeitet.“

Überzogene Datenschutz-Regeln, für die Politik und Gerichte verantwortlich sind, legen den Sicherheitsbehörden unnötige Fesseln an. Sie haben nicht einmal Zugriff auf das Wenige, was die Behörden von Asylbewerbern wissen. Der entscheidende Hinweis auf den Bombenbauer von Chemnitz kam von einem US-Geheimdienst.

Doch anstatt sich ernsthaft mit der Terrorgefahr zu beschäftigen, die mit der unkontrollierten Flüchtlingswelle rasant gestiegen ist, betreiben Opposition und Medien Schuldzuweisung gegen Sachsen. Man will offenbar Köpfe rollen sehen. Dass die CDU nun Justizminister Heiko Maas (SPD) auf die Liste der Versager setzt, weil der ihm unterstellte Generalbundesanwalt den Fall nicht schnell genug an sich gezogen hat, ist eine billige Retourkutsche und lenkt von der eigentlichen Problematik ab. Die Terrormiliz IS und ihre als Asylsuchende getarnten Attentäter können sich die Hände reiben. Denn in Deutschland fehlt noch immer das Bewusstsein für die notwendige Gefahrenabwehr. Der mögliche Attentäter Al-Bakr ist kein Opfer, der in Deutschland auf wundersame Weise radikalisiert wurde, sondern mutmaßlich ein Täter, der viele Menschen in den Tod reißen wollte. Und davon könnte es noch mehr geben. Darauf sollte sich die Debatte konzentrieren.

 

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