Digitalisierung - Ein neuer Ruck für Deutschland

Innovation und Fortschritt lassen sich nur durch eine globale Informationsgesellschaft erreichen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei neue Technologien. Das sagte Roman Herzog bereits vor 20 Jahren. Und immer noch ist es aktuell. Ein Gastbeitrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Fuchs

Der Zugang zu Internet und Datenverkehr bedeutet wirtschaftliche Prosperität / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Michael Fuchs, MdB, ist Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Arbeitsbereich Wirtschaft und Energie, Mittelstand, Tourismus

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Vor zwanzig Jahren, am 26. April 1997, hielt Roman Herzog seine berühmt gewordene Berliner Rede zum „Aufbruch in das 21. Jahrhundert“. Ins Gedächtnis der Deutschen hat sie sich aber als „Ruck-Rede“ eingeprägt. Es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen, forderte der damalige Bundespräsident. Unter dem Eindruck von damals 4,3 Millionen Arbeitslosen und der sich ausbreitenden Ideenlosigkeit und Trägheit in Gesellschaft und Wirtschaft war es dem Bundespräsidenten ein Anliegen, auf den Tisch zu hauen. Viele lieb gewonnene Zustände und Gewohnheiten, so Herzog, gehörten auf den Prüfstand. Wer meine, die Globalisierung gehe einen nichts an, der stecke seinen Kopf in den Sand. Der Blick müsse nach vorne gerichtet werden. Lebenslanges Lernen und der Wille zur ständigen Reform seien die Rezepte, um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein.

Genau zwanzig Jahre danach ist es an der Zeit, auf die Rede und die darin aufgezeigten Herausforderungen zurückzublicken. Eine Bestandsaufnahme soll uns zeigen: Haben wir die Herausforderungen gemeistert? Sind die von Herzog beschriebenen Herausforderungen noch dieselben oder sind neue hinzugekommen? Ist es uns erfolgreich gelungen, von alten Besitzständen Abschied zu nehmen?

Digitaler Wandel im Lebensalltag

Roman Herzog zeichnete das Bild einer globalen Informationsgesellschaft vor. Seine Prognose ist eingetreten. Sogar deutlich ausgeprägter als es sich vor zwanzig Jahren abzeichnete. Das Internet ist die größte Bibliothek der Welt. Nicht mehr die Ansammlung von Erlerntem wird über unsere Innovationsfähigkeit entscheiden, sondern die Möglichkeit, mit dem weltweit verfügbarem Wissen umzugehen. Es gilt also, dieses Wissen möglichst vielen Menschen in unserem Land zugänglich zu machen und die menschliche Neugier und deutschen Erfindergeist zu bewahren. So können wir von dem weltweit verfügbaren Wissen profitieren.

Aber sind wir schon so weit? Der Zugang zum Internet, insbesondere zu schnellem Internet, ist dafür eine absolute Grundvoraussetzung. Der Datenverkehr wird in der Zukunft mindestens genauso wichtig sein wie der Warenverkehr. Es reicht inzwischen nicht mehr aus, jeden Ort Deutschlands innerhalb eines Tages mit Waren beliefern zu können. Bei Daten gelten andere Gesetze. Bei einer entsprechenden Internetverbindung kann auch jeder Ort Australiens innerhalb eines Sekundenbruchteils mit Daten beliefert werden. Wenn wir es nicht schaffen, Deutschland langfristig flächendeckend mit Internet und einem Datenvolumen im Gigabitbereich zu versorgen, werden ganze Landstriche von der Wertschöpfung der Zukunft abgeschnitten sein. Selbst im Deutschen Bundestag haben wir bis heute noch kein flächendeckendes W-LAN eingerichtet, wenngleich dies inzwischen vorbereitet wird. Ich fordere einen bundesweiten Kraftakt zum Ausbau. Unser Ziel muss es sein, bis 2025 möglichst jeden Haushalt Deutschlands mit einem Zugang zum schnellen Internet auszustatten. Das wird viel Geld kosten, aber eine entscheidende Grundlage für unsere wirtschaftliche Prosperität in der Zukunft schaffen.

In der Wirtschaft gilt schon jetzt: „Uber yourself before you get Kodak´ed“. Soll heißen: Stelle dein Geschäftsmodell regelmäßig in Frage und verkenne nicht die Möglichkeiten der Digitalisierung. Kodak hatte vor 40 Jahren die Digitalkamera entwickelt, deren Potenzial aber nicht erkannt. Einer der folgenreichsten Fehler der Wirtschaftsgeschichte. Damit dies zumindest in Deutschland künftig möglichst selten passiert, muss die Politik die Voraussetzungen dafür schaffen, Vorreiter der Digitalisierung zu sein.

Was für die Wirtschaft gilt, sollte auch für die Lehre gelten. Ich appelliere an die Berufsschulen, die Universitäten und die Professorenschaft: Seien Sie Pioniere der Digitalisierung! So können viel mehr Menschen in den Genuss von Bildung kommen, die nicht in der Lage sind, vor Ort an Vorlesungen und Seminaren teilzunehmen. Das gilt auch für alle, die schon im Beruf sind. Lebenslanges Lernen muss noch wesentlich stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte gerückt werden.

Was Herzog andeutet, ist die Forderung, eine Stimmung zu schaffen, die den Einzelnen dazu motiviert, zu wirtschaften, Unternehmen zu gründen und Innovationen voranzubringen. Dafür dürfe die Regulierung ein bestimmtes Maß nicht übersteigen. Beides aber ist noch nicht hinreichend gegeben.

Hin zum schlankeren Staat

Denn die Deregulierung ist allzu oft nur ein Lippenbekenntnis. Haben wir von der Union lange für eine „One-In-One-Out“-Regel (Für jede neue bürokratische Regelung soll eine aufgehoben werden) gefochten, heißt es dazu beispielsweise im „Bürokratiemonster“ Lohngleichheitsgesetz lapidar, darüber werde zu „einem späteren Zeitpunkt entschieden“.

Wir dürfen es den Unternehmen und den Bürgern nicht zumuten, immer wieder Opfer der Politik zu werden, die mit neuen umfangreichen Regulierungen den vermeintlich leichteren Weg geht.

Reformbedarf im sozialen Sektor

Auch eine Reform der sozialen Sicherungssysteme wurde von Roman Herzog immer wieder angemahnt. Hier haben wir einiges erreicht. Wer die aktuellen Debatten verfolgt, der erkennt aber, dass der Blick einiger Sozialromantiker in die scheinbar idyllischen achtziger Jahre und nicht nach vorne gerichtet ist. Die Agenda 2010 lässt sich hingegen voll und ganz unter dem von Herzog geforderten „Ruck“ subsumieren. Viele Zweige der Sozialversicherungen wurden grundlegend reformiert, die Lebensarbeitszeit wurde an die veränderten Umstände angepasst. Anders als vor zwanzig Jahren ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland deutlich zurückgegangen. Betriebe haben oft sogar erhebliche Probleme, neue Auszubildende oder Mitarbeiter zu finden. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung hat sich in den vergangenen zwölf Jahren mehr als halbiert. Die sich verändernde Alterspyramide und die steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung in der Rede bleiben aber auch heute noch eine deutliche Mahnung für die Zukunft.

Herzog wies pointiert darauf hin, dass der Staat unter dem Mythos der Unerschöpflichkeit seiner Ressourcen leidet. Bestand zur Zeit der Agenda die Überzeugung, die umlagefinanzierten, sozialen Sicherungssysteme nicht zu überlasten, scheinen einige politische Parteien wieder im Bann dieses Mythos gefangen zu sein. Dabei braucht man kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass die sozialen Sicherungssysteme immer wieder einer Überprüfung und Reform bedürfen. Der Staat darf nicht wegschauen, wenn aufgrund der demografischen Entwicklung das Rentenniveau immer stärker sinkt. Er kann diesen Vorgang aber auch nicht eins zu eins mit Steuergeldern auffangen. Das würde den Staat schon kurzfristig massiv überfordern. Also darf auch künftig die Koppelung von Renteneintrittsalter und Lebenserwartung kein gesellschaftliches Tabu sein. Gleichzeitig müssen wir über die steigenden Kosten im Gesundheitssystem reden. Der Fortschritt in der Medizin ist kontinuierlich und unaufhaltsam. Einige werden es noch erleben, dass bislang noch unheilbare Krankheiten wie Krebs in Zukunft viel erfolgreicher behandelt werden können. Nur können wir jetzt schon erahnen, mit welchen Kosten das verbunden sein wird. Gesundheit ist ein kostbares Gut. Der Verstand aber gebietet es auch, die Kosten der Gesundheit in einem tragbaren Rahmen zu halten und jetzt schon über die Kostenverteilung nachzudenken.

Subventionen reduzieren

Zu den Besitzständen: Ist es uns gelungen, uns stärker mental von einer Subventionsmentalität zu verabschieden? Uns darauf einzustellen, dass jeder in Zukunft ab und an über seinen Schatten springen und sich von lieb gewonnenen Privilegien trennen muss? Herzog hat es klar benannt: Jeder, der einmal in den Genuss einer ihn privilegierenden Subvention – gleich ob finanziell oder auf anderem Wege – gekommen ist, will davon nie wieder Abstand nehmen. Anstatt Subventionen mutig zu kürzen, wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten munter die gesamte Energieversorgung auf ein staatliches Zuschusssystem umgestellt. Auch die von Herzog vor zwanzig Jahren erwähnte Kohlesubventionierung ist noch nicht vollständig ausgelaufen. Jeder Versuch der Deregulierung geschützter Märkte ist mit heftigen Protesten der Privilegierten verbunden. Wird der Druck auf die nicht regulierten Berufe zu groß, wird allzu gerne nach einem staatlichen Schutz vor den Konkurrenten gerufen. Teilweise muss man es so deutlich sagen: Die wirtschaftliche Auseinandersetzung mit den Schwellenländern in Asien wird nicht mit dem deutschen Schornsteinfegermonopol gewonnen.

Meinungsmache nicht den NGOs überlassen

Herzog nahm sich auch die Eliten der Gesellschaft zur Brust. Alle müssten bereit sein, für die richtige Sache einzutreten, Klartext zu sprechen und für eine gemeinsame Vision zu werben. Dieser Appell gilt heute umso mehr. Es ist schade, dass nahezu alle politischen Debatten in Deutschland ohne die Stimme der Unternehmen ablaufen. Stattdessen sind allzu häufig die Top-Meinungsmacher eher undurchsichtige und wenig demokratisch organisierte NGOs wie „Campact“ oder „Greenpeace“. Auch die Politik muss bereit sein, ständig neue Ideen zu formulieren und den darauf gelegentlich folgenden Aufschrei auszuhalten, um ihrer Verantwortung gegenüber der Bevölkerung gerecht zu werden. Wir müssen klare Ziele formulieren und von Anfang an klarstellen, welche Opfer, aber auch Chancen damit verbunden sind. Wer zum Beispiel wie Jürgen Trittin die Energiewende zum Preis einer Kugel Eis propagiert, der dürfte die Zustimmung zu dem Mamutprojekt spätestens beim Blick auf die Stromrechnung verlieren.

Offenheit für Freihandel und Technologien

Ich möchte noch zwei weitere Beispiele anführen: Freihandelsabkommen und neue Technologien. Anstatt sich hinter einer gemeinsamen Verhandlungslinie zu versammeln, fand bei den Verhandlungen mit den USA oder Kanada über Freihandelsabkommen noch jede Interessengruppe einen Punkt, der auf keinen Fall verändert werden dürfe oder etwas, dass aus diesen und jenen Gründen nicht eingeführt werden könne. Die einen kämpfen gegen Schiedsgerichtsvereinbarungen, die anderen für die regionale Müllentsorgung. Am Ende kämpft jeder gegen irgendwas und ein Abschluss rückt in weite Ferne oder ist nur unter größter Mühe möglich.

Immer öfter werden neue technische Möglichkeiten als Gefahr für die herkömmliche Art zu leben angesehen. Vor drei Jahren schrieb Frank Drieschner in der ZEIT, warum in Deutschland Fracking unabhängig vom Sachargument keine Chance habe: „In einem Land, in dem Strommasten zu Monstermasten mutieren, Windräder das Windturbinensyndrom hervorrufen und Handystrahlen vermeintlich Krebs auslösen, wird niemand es dulden, dass Unternehmen Chemikalien in den Boden leiten, wo sie weiß Gott was anrichten können.“ Seine Prophezeiung hat sich leider bewahrheitet. Neue Methoden der Landwirtschaft werden nicht unter dem Aspekt betrachtet, den globalen Hunger zu bekämpfen und Nahrung für einen stetig wachsenden Planeten bereit zu stellen. Vielmehr herrscht Angst und Misstrauen vor dem Neuen. Dass sich die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Renate Künast, als Botschafterin für einen Schauprozess gegen ein führendes Unternehmen auf diesem Gebiet einspannen ließ, zeigt, wie salonfähig die konsequente Ablehnung neuer Technologien mittlerweile geworden ist.

Die Lektüre der Rede von Roman Herzog, zwanzig Jahre später, kann jedem ans Herz gelegt werden. Glücklicherweise wurde auch vieles erreicht. Die deutsche Wirtschaft ist robust, die Arbeitslosenzahlen niedrig. Doch die großen Herausforderungen sind im Wesentlichen geblieben und wir müssen sie uns kontinuierlich vor Augen führen. Wenn uns dies gelingt, wird Roman Herzogs Schlusswort zeitlos gelten: „Die besten Jahre liegen noch vor uns“.

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