Dienstpflicht - „Ich vermisse die enge Klammer zwischen Truppe und Land“

Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht als Dienstpflicht hält der ehemalige General Erich Vad für rechtlich und praktisch nicht machbar. Stattdessen müsse die Bundeswehr attraktiver werden. Dafür brauche es vor allem die Anerkennung der Gesellschaft

Wehrpflichtige Rekruten (2010): „Die Bundeswehr war viel präsenter in der Gesellschaft“ / picture alliance
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Herr Vad, als die Wehrpflicht abgeschafft wurde, waren Sie noch General der Bundeswehr. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Vorstoß von Annegret-Kramp-Karrenbauer hörten? Sie schlug vor, eine Dienstpflicht einzuführen, die sich an der Wehrpflicht orientiert.
Generell ist es ein guter Gedanke, dass junge Leute für ein Jahr der Gesellschaft etwas zurückgeben. Aber der Zwang dabei stört mich. Das würde im Grunde nur gehen, wenn so eine Dienstpflicht wie in Israel grundsätzlich für Männer und Frauen gilt. Und auch für die Bundeswehr wäre das kaum zu stemmen. Die leidet ja jetzt schon unter Personalmangel und müsste dann viele Leute abstellen, um die jungen Leute auszubilden. Rechtlich steht das also auf wackligen Beinen, und praktisch ist das mit der Bundeswehr in ihrem jetzigen Zustand kaum zu machen. 

Der Vorstoß wurde von CDU-Politikern auch mit der sicherheitspolitischen Lage begründet, weil die Landes- und Bündnisverteidigung nach der Krim-Annexion durch Russland wieder eine größere Rolle spielen würde. Wie ist Ihre Einschätzung?
Ehrlich gesagt, bewegt mich die Gefährdung der Nato im Nahen Osten und Nordafrika mehr als die im Osten durch Russland. Natürlich weiß man bei Wladimir Putin und Russland nie so genau, woran man ist. Aber daraus jetzt abzuleiten, dass man wieder mehr junge Männer für die Landesverteidigung braucht, ist fehlgeleitet. Ein Vergleich mit der Situation während des Kalten Krieges wäre ziemlich herbeigeredet. 

Erich Vad

Würden denn Wehrdienstleistende in der Armee überhaupt noch gebraucht werden?
In den Auslandseinsätzen sicherlich nicht, da braucht die Bundeswehr spezialisierte Profis. Und das war ja auch ein Grund für die Aussetzung der Wehrpflicht. Die Bundeswehr wurde verkleinert und gleichzeitig spezialisierter ausgerichtet. Das führte ja auch dazu, dass kaum noch Männer eingezogen wurden und so die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben war. Man könnte natürlich das Einsatzgebiet der Bundeswehr vergrößern, vor allem im Innern, zum Beispiel beim Grenzschutz. Aber das wäre eine ganz andere Debatte. Und dafür würde es realistischerweise auch keine Mehrheiten geben. Es muss also über Alternativen nachgedacht werden. 

Und die wären?
Der Bundesfreiwilligendienst läuft eigentlich recht gut. Der freiwillige Wehrdienst aber nicht. Hier müsste man Anreize schaffen, dass die Leute auch später etwas davon haben. Also zum Beispiel eine Bevorzugung bei der Vergabe eines Studienplatzes. Aber hauptsächlich geht es da um die gesellschaftliche Akzeptanz. Wir müssten dahin kommen, dass es bei den Jugendlichen „out“ ist, diesen Dienst nicht zu machen. Mein Jüngster geht für zwei Jahre freiwillig zur Bundeswehr und muss das vor seinen Freunden immer begründen. 

Vor allem hat aber die Bundeswehr Nachwuchssorgen. Warum ist sie für junge Leute als Arbeitgeber offenbar nicht interessant?
Wenn die Konjunktur brummt, wenn die Arbeitsplätze da sind, dann tut sich  die Bundeswehr mit der Rekrutierung schwer – mit oder ohne Wehrpflicht. 

Ist das nicht ein Armutszeugnis, dass die Leute nur zur Bundeswehr gehen, wenn nichts anderes mehr geht?

Tja, aber faktisch war das in der Geschichte der Bundesrepublik  immer so. Da fehlt es immer noch an der gesellschaftlichen Anerkennung. So lange die nicht da ist, können Sie noch so viele Anreize schaffen wie Kindergartenplätze oder ein sicheres Gehalt. Der Dienst beim Militär ist eben nicht nur angenehm, potenziell auch lebensgefährlich. Und das ließe sich nur kompensieren durch eine hohe soziale Anerkennung. 

Aber ist das nicht in Deutschland einfach historisch begründet? Hier gibt es nun einmal eine größere Skepsis gegenüber allem Militärischen.
Ja, aber genau das muss sich langsam ändern. Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft ein entspannteres Verhältnis zur Bundeswehr entwickelt. Aber das scheint schwierig zu sein. Schließlich arbeiten wir daran schon seit Jahrzehnten. 

Wie beurteilen Sie im Rückblick die Entscheidung, die Wehrpflicht faktisch abzuschaffen. War das ein Fehler?
Man muss ganz klar sagen, dass die Wehrpflicht damals faktisch schon tot war. Falsch war aber die Geschwindigkeit, mit der das Verteidigungsministerium unter Karl-Theodor zu Guttenberg da raus wollte. Das ging holterdiepolter, und das ist der Truppe nicht gut bekommen. Ich kann mich daran erinnern, dass Kanzlerin Angela Merkel schon damals angemahnt hat, dass dieser Schritt wohlüberlegt sein müsse, dass man bedenken müsse, was das für die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr und der Nachwuchsgewinnung bedeuten würde. Im Nachhinein muss man sagen: Das hat sich bewahrheitet. 

Trauern Sie der Wehrpflicht manchmal hinterher?
Die enge Klammer zwischen Truppe und Land, das vermisse ich schon. Die Bundeswehr war viel präsenter in der Gesellschaft, auch in den Wahlkreisen der Abgeordneten, wodurch sie politisch eine viel größere Rolle gespielt hat. Und der Austausch mit der Zivilbevölkerung durch die Wehrpflicht hat der Truppe auch viele wichtige Impulse gegeben. Aber jetzt dorthin zurück? Das sehe ich nicht. 

Zur Person: Erich Vad war General der Bundeswehr, langjähriger Militärischer Berater der Bundeskanzlerin und ist jetzt Lehrbeauftragter an der Universität München

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