Diätenerhöhung - Einmal durch die Waschanlage, bitte!

Dass die Abgeordneten des Bundestags mehr Geld bekommen, sei ihnen gegönnt. Aber das Verfahren ist nicht transparent. Es verstößt gegen höchstrichterliche Urteile und ist deshalb verfassungsrechtlich zumindest problematisch

Wenn es um die Diätenerhöhung geht, gibt es im Bundestag die ganz großen Koalitionen / picture alliance
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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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War was? Nö! Die Abgeordneten des Bundestags haben am vergangenen Mittwoch doch nur beschlossen, ihre Diäten an den Nominallohnindex, also an die Löhne und Gehälter der Beschäftigten zu koppeln. Das ist doch seit 2016 geltendes Recht. Wozu also sich aufregen? Wer es trotzdem tut und meckert, wie die Bild-Zeitung („Dreiste Politiker im Bundestag: Keine Regierung, aber sie erhöhen sich schon die Diäten“) wird mit der AfD und der Linkspartei in die Populisten-Ecke gestellt. Alles legal, nichts Verbotenes. Es war, zwar wie die Süddeutsche Zeitung mäkelte „eine Dummheit“, dass die Sache zunächst ohne Diskussion über die Bühne gehen sollte. Aber dann wurde doch tatsächlich fünf Minuten lang über eine Beschlussvorlage diskutiert und abgestimmt, in der das Wort „Diäten“ überhaupt nicht vorkam. Wo also ist das Problem?

Das Problem ist, dass niemand mehr ein Problem darin sieht, wenn das Parlament die ihm vom Bundesverfassungsgericht auferlegte Verpflichtung missachtet, regelmäßig öffentlich Rechenschaft über die Bezüge der Abgeordneten abzulegen. Die Volksvertreter wollen so bezahlt werden wie Richter an obersten Bundesgerichten. Dagegen ist nichts einzuwenden. Weil sie aber in eigener Sache entscheiden, müssen sie für Transparenz sorgen und jede Erhöhung ihrer Diäten öffentlich im Plenum des Deutschen Bundestages diskutieren und beschließen. Und genau dieser Verpflichtung, die ihnen vor 42 Jahren vom Bundesverfassungsgericht auferlegt wurde, entziehen sie sich. 

Es geht nicht um die Höhe, es geht um's Prinzip

Stattdessen delegieren die Abgeordneten die unpopuläre Entscheidung. Sie verstecken sich hinter einem schwer nachprüfbaren Koppelungs-Mechanismus, der ihnen für die Dauer einer Legislaturperiode prozentual die gleichen Gehaltserhöhungen beschert wie dem berühmten Otto Normalverbraucher. Hört sich zwar gerecht an – ist aber eine Missachtung höchstrichterlicher Urteile. Und das Erstaunliche ist: Die mediale Öffentlichkeit (mit Ausnahme der schäumenden Bild-Zeitung) nimmt daran kaum oder gar keinen Anstoß.

Zur Klarstellung: Es geht nicht um die Höhe der Diäten. Die Bezahlung der Abgeordneten ist angemessen. Man könnte sogar argumentieren, dass sie angesichts der Vielfalt der Aufgaben und der Verantwortung, die jeder Parlamentarier trägt, vergleichsweise gering ist. In den Vorstandsetagen der deutschen Wirtschaft und auf den Fußballplätzen der Bundesliga wird jedenfalls wesentlich mehr verdient. Abgeordnete sollen gut und vielleicht sogar viel mehr verdienen als ein Bundesrichter – aber dann eben auch für die Dauer ihres Mandats auf alle Nebeneinkünfte verzichten. 

Es geht also nicht um die Höhe der Diäten. Es geht um das Prinzip: Gerade weil sie gute Gründe haben, viel Geld für ihre Tätigkeit zu bekommen, und gerade weil sie nun einmal gezwungen sind, in eigener Sache zu entscheiden, müssen die Abgeordneten für Transparenz sorgen. Sie dürfen sich nicht hinter einem vom Statistischen Bundesamt ermittelten Index verstecken. Sie müssen für ihre Bezahlung öffentlich einstehen und sich notfalls dafür auch medial prügeln lassen. Das 2014 vom Parlament beschlossene und seit 2016 praktizierte Verfahren ist nicht transparent. Es verstößt gegen höchstrichterliche Urteile und ist deshalb verfassungsrechtlich zumindest problematisch.

Der legalisierte Verfassungsbruch

Vor 22 Jahren, als der Bundestag es zum ersten Mal versuchte, brach noch ein Sturm der Entrüstung los. Auch damals sollten die Diäten an die Gehälter von obersten Bundesrichtern gekoppelt werden. Weil sie wussten, dass dies nicht erlaubt ist, versuchten die Parlamentarier in einer ganz großen Diäten-Koalition aus CDU, CSU, SPD und FDP, das Grundgesetz zu ändern. Sie wollten so das Urteil der Verfassungsrichter aushebeln und eine neue Rechtslage schaffen. Fast hätte es geklappt. In letzter Minute jedoch lehnten drei von der  SPD regierte Bundesländer im Bundesrat die geplante Verfassungsänderung ab. Es war eine herbe Niederlage im Sommer 1995. Das Wort „Diäten-Anpassung“, mit dem die damals geplante saftige Gehaltserhöhung euphemistisch verschleiert werden sollte, avancierte zum Unwort des Jahres.

Fast 20 Jahre später, im Frühjahr 2014, unternahmen die Parlamentarier einen neuen Anlauf. Diesmal versuchten sie gar nicht erst, den Verfassungsbruch durch eine Verfassungsänderung zu heilen. Sie ignorierten die Rechtsprechung einfach und hofften darauf, dass man sie gewähren ließe. Und siehe da: Es klappte.
Um dem Vorwurf zu entgehen, sie brächen die Verfassung, ließen sie sich von einer so genannten Experten-Kommission – in der sehr viele ehemalige Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretäre saßen – bescheinigen, dass es mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung vereinbar sei, die Bezüge der Abgeordneten vollautomatisch an einen Index zu koppeln. Ist es natürlich nicht. Aber indem der Bundestag diese Interpretation übernahm und die Ankoppelung per Gesetz beschloss, wurde der Verfassungsbruch legalisiert. 

Wagt die AfD den Gang nach Karlsruhe?

Man könnte auch sagen: Die Experten haben den Abgeordneten eine Waschanlage geliefert, in der sie seitdem alle Diäten-Gesetze waschen können. Ganz ohne Beteiligung der Abgeordneten ging die Sache allerdings nicht ab. Das hatten auch die Experten erkannt. Das Parlament musste auf irgendeine Weise – und sei es nur symbolisch – beteiligt werden. Aber die Mitwirkung ist auf einen simplen Akt reduziert: Alle vier Jahre – und zwar jedes Mal zu Beginn einer neuen Legislaturperiode – müssen die Abgeordneten auf den Knopf der Waschanlage drücken, der das automatische Verfahren in Gang setzt. Den Rest erledigt das Statistische Bundesamt. Dieses Verfahren gehört vor das Karlsruher Gericht.

Es kann ja sein, dass die obersten Richter heute andere Maßstäbe anlegen und das Transparenzgebot lockern. Aber dazu muss man sie befragen. Das können jedoch, nachdem der Bundespräsident das Gesetz seinerzeit (nach längerem Zögern übrigens) passieren ließ, nur noch die Betroffenen tun. Bisher hat sich noch keine Bundestagsfraktion getraut, den Gang nach Karlsruhe zu wagen. Die Linkspartei hat seinerzeit nur die Lippen gespitzt, aber nicht gepfiffen. Es wäre jetzt an der AfD, die Sache anzufechten. Tut sie es nicht, dann wäre der Auftritt des AfD-Abgeordneten Stefan Keuter, der seine Kollegen im Bundestag fragte, ob sie sich ob der Diätenerhöhung nicht schämten, in der Tat nichts anderes gewesen als die scheinheilige Empörung eines Populisten. Man darf gespannt sein, welche Taten die neue Partei ihren Worten folgen lässt.
 

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