Deutsch-türkisches Verhältnis - Es gibt keine einfachen Antworten

Wenn türkische Politiker in Deutschland für die Abschaffung der Demokratie in ihrem Land werben, stellt das den Rechtsstaat auf eine harte Probe. Sollen solche Auftritte zugelassen oder verboten werden? Eines ist sicher: Die Lösung wird niemanden wirklich zufrieden stellen, aber genau das macht ihre Stärke aus

Erdogans jüngste Provokation: Er verglich die Absage eines Auftritts seines Ministers mit Nazi-Praktiken / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Dem freiheitlichen Rechtsstaat wohnt eine strukturelle Schwäche inne, die immer dann sichtbar wird, wenn sich seine Gegner auf ihn berufen. Die schwierige Aufgabe von Demokraten besteht in solchen Situationen darin, die Freiheit zu verteidigen, ohne gleichzeitig den Wesenskern der rechtsstaatlichen Ordnung preiszugeben – und umgekehrt.

Der türkische Staatspräsident kennt als Feind der Demokratie, die mehr ist als eine bloße Exekution des Volkswillens, deren wunden Punkt nur allzu genau. Ihm geht es letztlich darum, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Das ist zwar nicht neu. Aber die Frage, wie eine offene Gesellschaft auf solche Angriffe reagieren sollte, ist immer wieder eine Herausforderung. Weil es sich um ein Dilemma handelt, kann es keine einfachen Antworten geben.

Versammlungsfreiheit gilt nur für Deutsche

Türkische Regierungspolitiker berufen sich auf die im Grundgesetz festgeschriebene Versammlungsfreiheit, um in Deutschland für ein Referendum zu werben, das die Türkei in einen noch autoritäreren Staat verwandeln würde, als er ohnehin schon ist. Nach Ansicht namhafter Verfassungsrechtler tun sie dies zu Unrecht, weil „eine Versammlung, die mehrheitlich von Nicht-Deutschen organisiert wird“, keine Trägerin des in Artikel 8 festgeschriebenen Grundrechts sei, argumentiert etwa der Staatsrechtler Christoph Degenhart.

Es wäre also durchaus plausibel, wenn sich die Bundesregierung auf diese Rechtsauffassung beriefe, um Wahlkampfauftritte von Erdogan und Konsorten auf deutschem Boden zu untersagen – zumal der friedliche Charakter solcher Veranstaltungen, bei denen es auch um Werbung für die Wiedereinführung der Todesstrafe geht, zu bezweifeln ist. Das ist die rechtliche Komponente.

Wehrhaftigkeit gegenüber Despoten

Es existiert aber auch eine politische Komponente. Denn Erdogan geht es ja gerade darum, den demokratischen Rechtsstaat mit seinen Provokationen zu delegitimieren. Natürlich ist es völlig absurd, wenn ein ausländischer Politiker mit diktatorischen Ambitionen sich auf die Errungenschaften unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung beruft, um seine eigene Agenda durchzusetzen. Es stellt sich deshalb zwingend die Frage nach der Wehrhaftigkeit unserer staatlichen Ordnung. Aber Wehrhaftigkeit muss nicht bedeuten, auf Angriffe so zu antworten, wie es der Angreifer einkalkuliert hat. Und Erdogan hat es genau darauf abgesehen: dass ihm und seiner Clique das Auftrittsrecht verwehrt wird und er sich umso mehr als Märtyrer aufspielen kann, als vermeintliches Sprachrohr seines Volkes, dem das Wort verboten wird.

Um die Affäre auf die Spitze zu treiben, stellt er jetzt sogar eine Parallele zwischen der Bundesrepublik und dem Dritten Reich her. Noch dazu fordert er den inneren Frieden in Deutschland heraus, indem er Zwietracht innerhalb der deutsch-türkischen Gemeinde sät und seine Landsleute in Stellung gegen den deutschen Staat zu bringen versucht. Erdogan ist ein Hetzer und ein skrupelloser Brandstifter. Aber auch mit solchen Leuten muss ein demokratischer Rechtsstaat irgendwie umgehen können, die Welt ist voll von Despoten.

Zwischen Appeasement und harter Hand

Erdogan will die Bundesregierung erpressen. Gibt sie ihm nach und gesteht ihm seine Propagandaauftritte in Deutschland zu, hat er gewonnen. Tut sie das Gegenteil, hat er auch gewonnen. Es geht also erkennbar um Schadensminimierung, und dass deutsche Politiker – zumindest solche, die in der Verantwortung stehen – sich nicht leicht damit tun, hier eine Abwägung zu treffen, versteht sich von selbst. Es wäre jedenfalls falsch, auf die Provokationen des türkischen Staatspräsidenten mit Hurrapatriotismus zu antworten. Die Frage muss lauten: Welche grundgesetzkonforme Antwort auf Erdogans antidemokratischen Autoritarismus dient den Interessen der deutschen Bevölkerung und der Art unseres Zusammenlebens am ehesten? Und zwar langfristig, nicht nur tagesaktuell.

Wer den handelnden Politikern in dieser Situation Appeasement vorwirft und eine harte Gangart gegen den Provokateur aus Ankara einfordert, kann durchaus viele Argumente anführen: politische, historische, juristische. Und dennoch wäre es zu einfach. Denn funktionierende Demokratien sind keine Maschinen und funktionieren nicht nach Algorithmen. Sondern können ihre Souveränität nur in komplizierten Abwägungsprozessen entfalten. Deswegen wirken sie manchmal auch behäbig und verdruckst-defensiv. Was aber noch lange nicht heißt, dass sie zu den Auslaufmodellen unter den Staatsformen zählen.

Die Bundesregierung wird eine Lösung finden müssen, die niemanden wirklich zufrieden stellen kann. Das liegt in der Natur dieser Sache. Aber Erdogan wird letztlich mit seinem Wahn scheitern, egal wie Deutschland auf ihn reagiert. Es ist nur eine Frage der Zeit.

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