Deutsch-Türkische Verhältnisse - Diktatur für das Herz, Demokratie für den Magen

Während der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in der Türkei verhaftet wurde, wirbt Ministerpräsident Yildirim in Deutschland für die Abschaffung der Gewaltenteilung. Die türkische Regierung macht sich die doppelte Staatsbürgerschaft vieler Deutschtürken immer mehr für ihre eigenen Zwecke zunutze

Zum Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim machten die Jugendlichen deutlich, für wen ihr Herz schlägt / picture alliance
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Autoreninfo

Sonja Margolina, Jahrgang 1951, ist 1986 aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik emigriert. Sie arbeitet als Journalistin und Buchautorin.

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Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel saß schon in einem  türkischen Gefängnis, als der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen für das Referendum warb, das die Gewaltenteilung in der Türkei abschaffen und den Staat in eine Präsidialdemokratie verwandeln soll.

Als Spiegel Online einige Kundgebungsbesucher fragte, warum sie gekommen waren, fielen die Antworten nicht allzu unterschiedlich aus. „Freiheit und Demokratie, wegen dieser Werte bin ich heute hier. Durch die Einführung des Präsidialsystems bekommt die Türkei unter Erdogan noch mehr Freiheit.“, sagte eine. „Ich stehe zu unserem Präsidenten und zu unserer Partei, der AKP. Ich glaube, dass die AKP einen Umsturz in der Türkei bewirkt hat, wir dürfen unsere Meinung frei äußern und unseren Glauben frei ausüben.“ „Wir wurden so erzogen, dass wir hinter unserem Heimatland, der Türkei, stehen. Wir möchten, dass in der Türkei nach dem Putschversuch alles wieder gut wird. Durch das Präsidialsystem wird alles besser“, sagt eine 15-jährige. „Nicht nur die Mädchen in der Türkei, auch die türkischen Mädchen hier in Deutschland lieben Recep Tayyip Erdogan von ganzem Herzen“, so eine 17-jährige Schülerin. 

Man erkennt an diesen Antworten die Wirkung des türkischen Fernsehens, der Propaganda-Maschine Erdogans, die das Orwellsche „Demokratie ist Diktatur“ in die Massen trägt. Auch ist eine fast erotische Bewunderung zu spüren, die dem Führer entgegenschlägt. Gewiss lässt ein Dutzend Antworten, in denen ein Bekenntnis zum Führer und zur Diktatur mitschwingt, nicht auf alle Türken schließen. Doch auch repräsentative soziologische Umfragen zeigen, wie weit ein Teil der seit Jahrzehnten hier lebenden Türken und ihres Nachwuchses von deutschen „Normen“ entfernt ist. 

Brücke zur Integration?

Es sei daran erinnert, wie viel Wert man der doppelten Staatsangehörigkeit als einer Brücke zur Integration beigemessen hat. Gewiss leben in Deutschland inzwischen Millionen von Menschen mit zwei Pässen. Für viele ist das nicht mehr als Bequemlichkeit und hat mit der kulturellen Identität wenig zu tun. Problematisch wird die doppelte Staatsbürgerschaft dann, wenn sich im Land große Diasporagemeinden von Migranten aus autoritären Staaten bilden.

Das führt Erdogan gerade vor Augen. Die Diaspora-Türken werden von ihm als „Wahlvieh“ instrumentalisiert, Politiker werden als Einflussagenten vereinnahmt. Erdogan als Vater des Volkes. Als Führer der Nation bedient er patriarchalische, paternalistische und nationalistische Ressentiments. Gleichzeitig wählen Deutschtürken in Deutschland jene Parteien, die ihre Interessen besser bedienen, in der Regel auf linker Seite. Nationalstolz und Gemeinschaftsgefühl kann Deutschland ihnen nicht bieten. Die Diktatur für das Herz, die Demokratie für den Magen.

Gewiss war die doppelte Staatsangehörigkeit nicht dazu gedacht, die staatliche Souveränität Deutschlands zu schwächen und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes zu erleichtern. Es war vor allem ein Multikulti-Fantasma. Nun ist dieser Einfluss inzwischen ein unbestreitbares Faktum und an eine Zurückweisung der politischen Einmischung ist nicht zu denken.

Sultan Erdogan bald wieder auf Werbetour

Die Integrationsministerin Aydan Özoguz würde zwar gerne den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten ungeschehen machen lassen. Doch verbieten lasse sich das nicht, weil die Veranstaltung von einer privaten Organisation organisiert werde, schließlich hätten wir einen Rechtsstaat. Nur ist Yildirim keine Privatperson, sondern ein Ministerpräsident, und sein Auftritt galt nicht der Werbung für Dönerbuden, sondern der politischen Agitation für ein diktatorisches Regime.

Nicht der deutsche Rechtsstaat, sondern die deutsche Mutlosigkeit verhindert die Zurückweisung von Erdogans politischer Einmischung. Zumal der Sultan bald nach Europa zu kommen gedenkt, um für seine Staatsreformen zu werben.

Übrigens: der Journalist Deniz Yücel könnte heute wohl frei sein, wenn er keine türkische Staatsangehörigkeit mehr besäße. Als deutscher Staatsbürger würde er höchstwahrscheinlich ausgewiesen.

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