Der Traum vom digitalen Staat - Hebt den Datenschatz!

Ein analoger Staat ist auf Dauer kein Standort für Hochtechnologie. Deutschland braucht eine digitale Verwaltung. Öffentliche Datenbestände könnten helfen, den Wandel zu bewältigen. Deren Wert ist bereits auf 12 Milliarden Euro taxiert

dpa/ picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Tobias Knobloch ist Experte für Verwaltung und offene Daten beim Think Tank "Stiftung Neue Verantwortung" in Berlin. Er entwickelt Vorschläge für die Politik zur Offenlegung staatlicher Datenbestände und für den Schutz der Privatsphäre.

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Langsam, so hat man den Eindruck, wird in Politik, Wirtschaft und Verwaltung die maßgebliche Rolle deutlich, die der Staat bei der Digitalisierung spielt. Das Thema stand auf der Tagesordnung der Kabinettsklausur in Meseberg. Dieser Tage ist es auf dem „Zukunftskongress“ in Berlin Top-Thema. Zwei der drei Digitalministerien – Wirtschafts- und Verkehrsministerium – fielen zuletzt durch Umtriebigkeit in Sachen digitaler Erneuerung auf.

Den entscheidenden Akzent für die Modernisierung Deutschlands zu einem leistungsfähigen digitalen Staat könnte jedoch das dritte Digitalministerium, das unter der Leitung von Thomas de Maizière stehende Innenministerium, setzen. Denn das ist für den Umgang mit den Datenbeständen der Verwaltung zuständig.

Der Staat ist ein Multidienstanbieter

Gerne wird mit dem Hinweis auf die gewaltigen Datenschätze von Unternehmen wie Google und Facebook vor deren überwältigender Macht gewarnt. Unerwähnt bleibt dabei, dass der Staat zumindest potenziell auf einem ebenso großen Datenschatz sitzt: Schließlich erfasst er Geburten und Sterbefälle, verwaltet Katasterinformationen, zeichnet Wetterdaten auf, überprüft die Wasser- und Lebensmittelqualität, überwacht den Parkraum, stellt die Verkehrs- und Informationsinfrastruktur zur Verfügung, reguliert Energieerzeugung, registriert Unternehmensanmeldungen, treibt Schulden ein, betreibt Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten, registriert Geflüchtete und besorgt viele andere, mit Datenerhebung und -verarbeitung verknüpfte Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Aus Sicht des Informationszeitalters ist der Staat dadurch ein Multidienstanbieter, der es ohne jede Vermarktung auf 82 Millionen Nutzer bringt. Jedes Technologie-Startup würde mit einem solchen Wert aus dem Stand in die Gruppe der am höchsten bewerteten Unternehmen der Welt aufsteigen.

Daten kostenlos zur Verfügung stellen

Staatliches Anliegen im Datenzeitalter sollte es sein, diesen Datenschatz im Gemeinwohlinteresse zu heben. Denn es stimmt allen gegenteiligen Image-Beteuerungen zum Trotz, dass genau das nicht das Ziel der großen Technologiekonzerne ist. Dem Staat muss es darum gehen, den gesellschaftlichen Nutzen seiner Daten zu maximieren und die möglichen Kosten gleichzeitig zu minimieren. Das könnte er, indem er wie andere Länder in großem Stil Verwaltungsdaten maschinenlesbar und kostenlos zur Verfügung stellt. Das ermöglicht neue Geschäftsmodelle und Innovation bei bestehenden.

Allein das harte ökonomische, in Zahlen messbare Potenzial dieses Schrittes ist in mehreren Studien für verschiedene geografische Ebenen aufgezeigt worden. Zuletzt von der Konrad-Adenauer-Stiftung, die den wirtschaftlichen Wert offener Verwaltungsdaten für Deutschland bei vorsichtiger Schätzung auf 12 Milliarden Euro taxiert. Angesichts der Tatsache, dass sich der Bund gerade heftig mit den Ländern über die Aufteilung von 20 Milliarden Euro Kosten für die Versorgung und Integration von Flüchtlingen streitet, ist das ein Potenzial, auf das zu verzichten wir uns nicht leisten sollten.

Erkenntnis: Im Krankenhaus sterben sie eher am Wochenende

Der zweite gute Grund für die Öffnung des staatlichen Datenschatzes ist, dass dadurch das gesellschaftliche Potenzial zur Problemlösung wächst. In Großbritannien bemerkte man etwa durch die Analyse von offenen Krankenhausdaten, dass die Sterberaten in manchen Krankenhäusern am Wochenende wesentlich höher lagen als unter der Woche. Diese aus umfänglichen Rohdaten gewonnene Erkenntnis veranlasste die Behörden, in den betreffenden Häusern nach den Ursachen zu suchen, um entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen und unnötige Todesfälle in Zukunft ausschließen zu können.

Qualitativ hochwertige Datenbestände sind nicht nur eine gute Grundlage für politische Entscheidungen, sondern auch für die politische Kommunikation. Denn eine auf Evidenz gestützte Entscheidung lässt sich allemal besser vermitteln als eine Bauchentscheidung. Wenn Deutschland das Thema Datenöffnung strategisch mit seinen zentralen Zukunftsthemen Energie, Migration und Verkehr verknüpft, ist es auch für das Digitalzeitalter gewappnet.

Einsparpotenzial von etwa drei Milliarden Euro

Damit kommen wir zum dritten und vielleicht wichtigsten Grund für einen progressiven Umgang des Staates mit seinen eigenen Datenbeständen: Er kann massiv dabei helfen, dass die öffentliche Hand im Digitalzeitalter ankommt. Auf Dauer ist eine erfolgreiche digitale Wirtschaft in einem analogen Staat nämlich nicht möglich. Unternehmen wollen mit Behörden einfach, bruchlos und digital kommunizieren. Und die Bürger fragen sich sowieso schon lange, warum der Staat zu Verwaltungszwecken nicht ein paar Prozent der Online-Servicequalität hinbekommt, die Amazon, Google & Co. seit Jahren zu Geschäftszwecken bieten und stetig optimieren. Alle Seiten würden von einem besseren E-Government-Angebot profitieren, auch der Staat selbst: Der Normenkontrollrat hat in einem Gutachten ein jährliches Einsparpotenzial durch Digitalisierung der 60 wichtigsten Verwaltungsleistungen von rund drei Millliarden Euro berechnet. Das entspricht etwa 35 Prozent der derzeitigen Aufwendungen.

Nun bedeutet E-Government nicht das Einscannen und elektronische Ablegen von Printformularen. Zeitgemäßes E-Government impliziert einen generellen Wechsel des Modus Operandi der Verwaltung von analog zu digital. In Behörden und Ministerien muss verstanden werden, welches Potenzial moderne Datenverarbeitung bietet. Und sie müssen entsprechende Kompetenzen aufbauen, die sie noch nicht besitzen.

Es braucht viel mehr IT-Experten

Dass das Budget des Bundesinnenministeriums für externe IT- und Organisationsberater nahezu dem eigenen Personaletat entspricht (85 Millionen Euro jährlich), spricht in dieser Hinsicht Bände. Es gibt keinen besseren und näher liegenden Bereich, diesen Kompetenzaufbau einzuleiten als die systematische Öffnung des staatlichen Datenschatzes. Alle im Digitalzeitalter relevanten Systemvoraussetzungen und Fähigkeiten sind damit verknüpft. Nur aus einem digitalen Aktensystem lassen sich gezielt elektronische Daten zur Nachnutzung bereitstellen. Nur der im produktiven Umgang mit Daten und entsprechenden Verarbeitungssystemen geschulte Mitarbeiter kann das.

Die systematische Öffnung von Verwaltungsdaten hätte also einen unmittelbaren volkswirtschaftlichen Nutzen und sie würde den dringend nötigen Wechsel von einer analogen Verwaltungskultur zu einer digitalen beschleunigen. Dann wüsste Behörde A endlich, was Behörde B schon längst weiß, was sie Behörde A aber nicht mitteilen kann, weil ihre Informationsverarbeitungssysteme inkompatibel sind. In der hier skizzierten Zukunft würde Behörde A – wie die Unternehmen, die davon profitieren können, oder wie interessierte Bürger – einfach auf die offene Dateninfrastruktur von Behörde B zugreifen.

Dieses Szenario muss keine Utopie bleiben. Mit politischem Willen kann der Traum vom digital funktionierenden Staat auch in Deutschland Wirklichkeit werden.

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