Polizei in den USA - Trainiert wie Soldaten für den Krieg

Deutschland hat die Debatte zur Polizeigewalt aus den USA übernommen. Dabei sind manchen die Maßstäbe verrutscht. Denn die deutsche Polizei ist überhaupt nicht mit der amerikanischen Polizei vergleichbar.

Schusswaffengebrauch nach Ermessen: Die US-Polizei trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei / dpa
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Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

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Deutschland ist Importweltmeister. Zumindest in der Einfuhr amerikanischer Debatten. Ob MeToo oder Identity Politics: Der Blick klebt auf den USA. Derzeit geht es um die Bewegung Black Lives Matter, die sich gegen Rassismus und Polizeigewalt engagiert. Keine schlechte Sache. Den Deutschen schadet eine Auseinandersetzung damit nicht. Doch so hilfreich die Debatten auch sind: Viele führen sie im Maßstab 1:1. Das ist unreflektiert und unkritisch. 

Bei aller Berechtigung sollten wir den Kontext nicht aus dem Blick verlieren. Die Bedingungen, die in den USA zu dieser Bewegung führten, sind nicht zu vergleichen mit den Gegebenheiten in Deutschland. Die nationalen und historischen Realitäten sind grundverschieden. 

Ein krankes Land

Struktureller Rassismus ist den Vereinigten Staaten tief verankert. Vierhundert Jahre atlantische Sklaverei zeichneten die amerikanische Gesellschaft. Damals schon, zu Zeiten der Sklavenhändler, etablierte sich das Bild des schwarzen Straftäters. 

Jahrhunderte der Stigmatisierung schwarzer Bevölkerung führten zu Armut, zu fehlender Bildung, zu Segregation, die Aufteilung in schwarze Slums und weiße Villenviertel. Die amerikanische Gesellschaft ist räumlich fast so gespalten wie in den Sechziger Jahren. All das sind Gründe, wieso Afroamerikaner in Kriminalität versinken, öfter und länger im Gefängnis sitzen, und sich seltener aus armen Verhältnissen befreien. All das sind Gründe für den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft. Es ist ein krankes, gespaltenes Land, das nicht zurechtkommt mit seinem Werteverständnis, seiner Vielfalt, seiner Einstellung zum Leben des Einzelnen oder der Beziehung zu Gewalt und Waffen.
 
Auch Deutschland hat die Rassismusdebatte nötig. Nur nicht in derselben Radikalität, denselben Unterstellungen und Forderungen. Im Vergleich mit den USA glitzert Deutschland wie ein Eldorado.

Good cop, bad cop

Ein besseres Beispiel für das unreflektierte Übernehmen amerikanischer Gesellschaftsthemen: die derzeitige Polizeikritik, die sich aus Black Lives Matter heraus formuliert. Die Kritik an Gewalt und Rassismus, die in den Vereinigten Staaten zurecht Einzug in die Debatte hielt, formulieren nun auch Aktivisten aus Deutschland. Nur leider im selben Maßstab wie in den USA.

Korpsgeist und Militarisierung herrschen in den Kadern der amerikanischen Polizei, die ihren Nachwuchs vornehmlich aus Familienangehörigen von Kollegen oder Veteranen der Armee rekrutiert. Jeder fünfte US-Polizist war beim Militär, und „sie werden trainiert wie Soldaten, die in einen Krieg ziehen“, wie der Amerika-Korrespondent des Deutschlandfunks, Thilo Kößler, schreibt. Zudem ist der systematische Rassismus von Polizei und Justiz unbestreitbar.

Charakterliche Eignung spielt in der Polizeiausbildung kaum eine Rolle. Die Durchsetzung staatlicher Gewalt zählt umso mehr. In kürzester Zeit kann ein Neuling US-Polizist werden: Durchschnittlich in 19 Wochen. Im Bundesstaat Indiana darf man gleich ohne Ausbildung loslegen, sofern man seine Schulungen nachholt. Und 2015 fand die Neue Zürcher Zeitung heraus, dass die Ausbilder nur rund acht Stunden in das Training von Deeskalation investieren. Schießen dürfen die Beamten, sobald es ihnen angemessen erscheint. 

Schusswaffengebrauch als Ultima Ratio 

Die Anforderungen in der deutschen Polizeiausbildung dagegen sind enorm. Viele Anwärter absolvieren ein dreijähriges Studium bevor sie auf Streife gehen. Es ist eine fundierte Lehrzeit, besonders charakterliche Eignung zählt. Immer wieder beschäftigen sich die Schüler mit Deeskalation, dem Credo der deutschen Polizei. Der Schusswaffengebrauch ist in Deutschland die Ultima Ratio.
 
Kollegen mit ausländischen Wurzeln sind weder auf Großstadtwachen noch unter Polizeianwärtern eine Seltenheit. Im Gegenteil: Ihre Anzahl steigt. Die Marketingabteilungen werben gezielt um sie, in Hamburg seit 1995: Dort hat jeder fünfte neue Polizist einen Migrationshintergrund. Die deutsche Polizei genießt unter Demokraten in Deutschland einen tadellosen Ruf. Sie gilt als eine der besten der Welt. Eine mit Rassismus begründete, fahrlässige Tötung wie im Falle von George Floyd in Minnesota, das Gesicht im Asphalt, das Knie in Nacken und Luftröhre gedrückt: Hierzulande völlig undenkbar.

Defund the police

Ein amerikanischer Debattenimport im Zuge von Black Lives Matter wirkt in Deutschland besonders deplatziert: „Defund the Police!“ – „Streicht der Polizei die Mittel!“. So skandieren Protestierende in den USA, so titeln amerikanische Meinungsartikel. Die Mehrheit des Stadtrates in Minneapolis etwa will die örtliche Polizei durch eine Organisation für öffentliche Sicherheit ablösen. Die Idee der Abschaffung der Polizei folgt in den USA aus der Annahme, die US-Polizei sei überfinanziert und unreformierbar.
 
Auch in Deutschland fordern erste Stimmen, der Polizei die Mittel zu kürzen. „Wir müssen Ressourcen aus dem Polizeiapparat abziehen und in Institutionen der ökonomischen, sozialen und politischen Teilhabe reinvestieren“, sagen etwa die Sozialwissenschaftler Vanessa E. Thomson und Daniel Loick.

In Deutschland unhaltbar

„Defund the Police“ ist in den USA eine radikale Forderung. Die Kritik an ihr würde einen weiteren Artikel füllen, selbst wenn man die US-Polizei für unbedingt zu reformieren hält. Einzelne Ansätze aber sind im amerikanischen Kontext legitim begründet. Angenommen also, dort wäre sie sinnvoll: In Deutschland ist sie letztlich irrational – und in der Debatte unhaltbar.

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