Corona-Demo in Berlin - Die Liebe zwischen Wölfen und Schafen

Nachdem gleich zwei Gerichte das Verbot der Berliner Corona-Demo durch Innensenator Andreas Geisel gekippt hatten, versammelten sich am heutigen Samstag Tausende, um gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zu demonstrieren.

Ein Teilnehmer trägt eine Kappe mit einer Spritze und einem Button "Querdenken 711 Stuttgart" am Brandenburger Tor bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Am Samstagmittag stehen an der Berliner Friedrichstraße Tausende, um wie schon am 1. August ihren Protest gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen auszudrücken. Möglich ist das trotz des „Geisel-Dramas”, wie es unter den Demonstranten scherzhaft heißt: Der Berliner Innensenator Geisel hatte die Demonstration verboten, ein Gericht hob das Verbot wieder auf.

Der gemeinsame Nenner der Demonstranten ist die Unzufriedenheit mit der Regierung des Landes. Ab da aber geht es weit auseinander.

Der Schaden war größer als der Nutzen

Da ist die 40-jährige Bayerin mit Migrationshintergrund, die eine Tourismusfirma betreibt, und deren Geschäft seit März praktisch tot ist. Sie bezweifelt nicht die Existenz des Corona-Virus, ist aber überzeugt: Die Kollateralschäden durch den Lockdown waren größer als sein Nutzen. Sie berichtet von einer Kollegin in der Tourismusbranche, die unter dem Druck der Schulden Selbstmord begangen hat. Auch für ihr eigenes Geschäft sieht sie für die Zukunft schwarz.

Die Frau sitzt auf dem Bordstein, weil kurz nach dem Start der Demo bereits die Durchsage der Polizei kommt: Der Demonstrationszug ist gestoppt, weil die Abstandsregelungen nicht eingehalten wurden. Ein Polizist erklärt, schon von Anfang an sei das der Fall gewesen. Bei den Demonstranten bleibt eher der Eindruck, der Zug sei mit Absicht gestoppt und der „Verdichtungseffekt” erst dadurch entstanden.

Neue Bündnisse

Auch die Bayerin hält die Einschränkung für völlig überzogen. „Wer überprüft denn die Abstandsregelungen an den Stränden? Kommen Sie mal nach Bayern, da ist alles pickepackevoll”, sagt sie. Politisch steht sie eher der FDP nahe.

Da ist die Hamburger Café-Besitzerin Ursula Arowa, die von sich sagt: Ich bin links, und alle meine Vorfahren waren es.” In Hamburg ist sie aktiv bei Extinction Rebellion, als die Corona-Krise begann, hat sie einen Kreis der „Zweifler” begründet. 25 Leute sind sie, die meisten sind heute hier. Sie verteilt Aufrufe für einen „Bürgerrat”, eine basisdemokratische Form der Entscheidungsfindung. „Ich habe Texte gegen die Einschränkung der Demokratie gelesen - und war dann erschrocken, als ich am Ende sah, dass sie von der AfD kamen”, erzählt sie. Sie hat Appelle an die Linkspartei geschrieben, aber erfolglos.

Corona - eine höhere Macht?

Da ist der sächsische Anhänger des Youtubers Heiko Schrang. Er und seine Frau tragen T-Shirts aus der „Schrang-Kollektion”: Sie zeigen einen gelben Kreis mit einem Punkt in der Mitte, darunter steht: „Erkennen, erwachen, verändern.” Der Mann ist überzeugt, dass die Corona-Maßnahmen der Regierung von einer höheren Macht gesteuert sind (Wie hoch das geht, kann ich nicht sagen”) und der „satanischen Agenda von Gates” folgen. Er glaubt, dieses Wochenende könnte „die letzte Chance sein, der Versklavung zu entgehen.”

Auf einem LKW auf der Brücke über die Spree steht derweil der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner, der Ende 2017 aus der AfD ausgetreten war und seitdem vor allem dadurch Schlagzeilen macht, dass er sich von der Polizei aus dem Landtag tragen lässt. Er ruft die Menschen dazu auf, entgegen der Aufforderung der Polizei nicht die Friedrichstraße zu verlassen: „Wie in einer guten Armee bleibt jeder an seinem Gefechtsstandort. Von dort werden wir weiterkämpfen.”

In der Liebe bleiben

Der Ton gefällt nicht allen: „Du bist nicht in der Liebe”, wirft ihm gleich darauf vor dem LKW ein Bayer vor (52, ehemals Unternehmensberater). Dieser trägt ein Shirt mit der Aufschrift „call for a world of love” - eine Bewegung, die er gerade begründet hat. Er ist es auch, der versucht, zwischen den Demonstranten und den Polizisten zu vermitteln, als diese gegen 14 Uhr einige Menschen hinwegtragen. Eine Eskalation bleibt aus, die Polizei lässt den Demonstrationszug gegen 16 Uhr Richtung Brandenburger Tor abziehen.

Man passiert die russische Botschaft, wo einige Dutzend Reichsbürger „Putin hilf uns!" skandieren, auch vor der amerikanischen Botschaft fordern sie mit wehenden schwarz-weiß-roten Flaggen den Friedensvertrag mit dem Deutschen Reich. Von einem LKW wird die Frage aufgeworfen, wo die jährlich Tausenden verschwundenen Kinder seien - es geht um angeblich von der Politik geschützte Pädophilennetzwerke.

Merkwürdige Verbrüderung

Auch nicht „in der Liebe” sind die kräftig gebauten Typen mit den „Thor Steinar”- und „Division Odin”-Shirts, die am Rande des Brandenburger Tors den Antifa-Demonstranten gegenüberstehen. Letztere rufen „Ihr marschiert mit Nazis und Faschisten”, die Skinheads antworten mit dem Hitlergruß, lassen es dann aber sein, als die Polizei die Kamera auf sie richtet. 

Am Rand der Polizeikette diskutiert eine junge schwarze Frau, die mit demonstriert, mit einem dunkelhäutigen Gegendemonstranten, dabei stehen zwei Bayern in Camouflage und mit Reichsflagge. Es geht um die Schlüsselfrage: „Wie kannst Du denn hier mit Nazis demonstrieren?” fragt der Gegendemonstrant. Die Frau sagt: „Die meisten, die hier sind, sind doch für Frieden und Freiheit.” Er: „Ja, aber dann müsst ihr die rausfiltern.” Die beiden Männer outen sich ausdrücklich als Nicht-Nazis, sondern lediglich als Anhänger der Idee, die BRD sei kein souveräner Staat - kurzum Reichsbürger. Am Ende, man glaubt es kaum, verbrüdern sich die vier. „Wenn die Nazis nicht wären, würde ich hier mitlaufen”, sagt der Gegendemonstrant. Denn mit den Corona-Beschränkungen ist auch er nicht einverstanden. „Wir müssen echt mehr miteinander reden”, kommen sie überein.

Fest der Völker

Und diese ganze redselige und bunte Mischung versammelt sich am Ende auf der Straße des 17. Juni, wo dann um 16 Uhr die Abschlusskundgebung stattfindet. Stand diese am 1. August noch unter dem vermutlich ungewollt von Leni Riefenstahl entlehntem Motto „Tag der Freiheit“, so ist das, was sich diesmal rund um die Siegessäule ereignet, so etwas wie das „Fest der Völker“. Nicht umsonst hatte der Stuttgarter Demo-Veranstalter Michael Ballweg für seine zweite Berliner Groß-Demo einen polyglotten Claim gewählt: „Berlin invites Europe. Celebrating Freedom and Peace“. Und diese Einladung wird angenommen: Immer wieder kann man niederländische, griechische oder gar US-amerikanische Fahnen sehen. Und dafür, dass eben auch diesmal wieder Rechtsextreme den Bürgersteig am Großen Stern säumen, klingt die über blecherne Lautsprecher ausgegebene Aufforderungen, den Mindestabstand zu beachten, erstaunlich wort- und weltgewandt: Sie reichten von Russisch über Griechisch bis zu Hebräisch. 

So muss die „Goldelse“ von ihrem erhöhten Sockel am Ende auf eine rational kaum zu erklärende Ansammlung tausender von Menschen hinabblicken. Wie Puzzlekartons, die man über- und durcheinandergeworfen hat, schaut sie an diesem Nachmittag auf Regenbogenflaggen und Kriegsfahnen, AfD-Shirts und Rasta-Locken. „Hallo Medien, könnt ihr auch Wahrheit“, fragt das Pappschild einer älteren Dame in lila Hosen, die mit gebührendem Abstand an einem weißen Transparent „Stoppt Chemtrails und Soros“ herumschleicht.

Schwäbische Spiritualität

Als IT-Unternehmer und Demo-Organisator Michael Ballweg die Veranstaltung schließlich mit Meditation und Mantra-Gesängen eröffnet, verharrt die Mehrheit in Stille oder zumindest in einer Form schwäbischer Hausfrauenspiritualität. Eine Minderheit krakeelt im Chor. Vielleicht ist das jene Liebe und Konsensgesellschaft, nach der sich nicht nur im Berliner Tiergarten dieser Tage so viele sehnen: Rechte, Linke und Bürgerliche vereint und friedlich wie Wolf, Lamm und Schafspelz. Indes, vergessen wird in dieser zum Glück gewaltlosen Menge, dass auch die mit Angst vor Krankheit  die, die Covid-19 aus berechtigten Gründen nicht für eine gewöhnliche Grippe halten  zu jenem großen All-Einen zählen, das Ballweg und die vielen anderen Demo-Redner in den folgenden Stunden mit immer neuen Worten beschwören werden. 

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