Cicero im Februar - Wozu noch wählen?

Am 24. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Der Sozialdemokrat Martin Schulz fordert die Kanzlerin heraus. Doch viele Wähler fühlen sich ohnmächtig, das Parlament nickt die Vorschläge der Exekutive nur noch ab. Und am Ende bleibt Merkel im Amt. Die Februar-Ausgabe des Cicero befasst sich mit den Schwächen der repräsentativen Demokratie und was man dagegen tun könnte

Egal, was man oben einwirft – das Ergebnis bleibt doch immer das gleiche / Illustration: Otto Dettmer
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der Zufall will es, dass ich dieser Tage nach abgebrochener Zwangslektüre zu Studienzeiten Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ endlich wirklich zu lesen begann. Eine gute Entscheidung. Was für ein sprachlich wie gedanklich herausragendes Werk über eine Zeit, in der sich der Epochenbruch der ausgehenden K.u.k.-Monarchie mit einer frivolen Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit und Ohnmacht der Menschen mischte.

Das Deutschland dieser Tage erinnert an Musils Kakanien, das sich auf das 70. Thronjubiläum des Kaisers Franz Joseph vorbereitet: einerseits Umbrüche epochaler Art, die gerade dabei sind, den ganzen europäischen Kontinent neu zu formen. Und zugleich die Bestätigung des Bestehenden.
Denn man kann in diesem Wahljahr 2017 wählen, was man will: Am Ende kommt zum vierten Mal Angela Merkel als Kanzlerin dabei heraus.

Die Zufalls-Demokratie

Wie kann das sein? Wie kann so viel äußerer Wandel mit so wenig demokratischem Wandel einhergehen? Woher kommt dieses Ohnmachtsgefühl des Wählers, bei dem sich unsere Titelautorin Ursula Weidenfeld an einen Satz des Soziologen Niklas Luhmann erinnert hat? „Alles könnte anders sein – und fast nichts kann ich ändern.“ Weidenfelds Befund: Die Große Koalition und ihre Kanzlerin haben über die Jahre systematisch die Opposition unschädlich gemacht, das Parlament entmachtet und den Wähler in einer repräsentativen Demokratie damit auch.

Das Auftauchen einer radikalen Opposition namens AfD, als deren Geburtshelferin Weidenfeld die Kanzlerin ausmacht, wird nach Lage der Dinge an
den zementierten Verhältnissen in Berlin nichts ändern. Im Gegenteil: Je mehr AfD, umso besser für Merkel. Anlass für meinen Kollegen Alexander Marguier, grundsätzlicher nachzudenken über die Erhabenheit unserer real existierenden Demokratie. Auch er hat dafür ein Buch zur Hand genommen und neue Ideen bei David Van Reybrouck gefunden, der das Heil der Demokratie im Losverfahren sieht. Und das nicht mit einem schielenden Blick in Richtung Diktatur. Sondern unter Rückgriff auf die griechischen Urväter dieser nach wie vor besten aller Staatsformen.

 

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