Abgesagter CDU-Parteitag - Kann man es Merz verdenken?

Für seine harsche Reaktion auf die Absage des CDU-Parteitags hat Friedrich Merz ordentlich Prügel bezogen: Er stelle seinen persönlichen Machtwillen über die Partei, heißt es. Als ob jemals ein Politiker in höchste Staatsämter gelangt wäre, ohne dafür auch etwas zu riskieren.

Sitzt auf heißen Kohlen: Anwärter auf den CDU-Parteivorsitz Friedrich Merz / dpa
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Stefan Dietrich leitete bis 2011 das Ressort Innenpolitik bei der FAZ und lebt heute als Publizist in Celle

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Für sein Ausscheren aus der geordnet marschierenden Kandidaten-Truppe der CDU bezieht Friedrich Merz gerade Klassenkeile. Von den angesprochenen „großen Teilen der Partei-Oberen“ ebenso wie von Medien, bei denen er schon immer einen schweren Stand hatte. Sein Frontalangriff auf das „Establishment“ wird als absurde Verschwörungstheorie abgetan. Hat er sich vergaloppiert? Wohl kaum. Der ungewöhnlich emotionale Ausbruch des Sauerländers ist zeitlich gut gewählt, präzise auf Wirkung berechnet und bringt endlich Dynamik in ein furchtbar lahmes Rennen. Was nicht heißt, dass er es gewinnen wird.

Verlängerung einer ungleichen Partie

Mehr als sechs Monate sind seit der Rücktrittsankündigung der amtierenden Parteivorsitzenden verstrichen. Sechs Monate, in denen alle drei Kandidaten so tun mussten, als gäbe es auch für sie zur Zeit nichts Wichtigeres als sich in den Dienst einer größeren Sache, nämlich der Pandemie-Bekämpfung zu stellen. Für Merz und Röttgen hieß das: Wahlkampf findet jetzt nicht statt; für Laschet aber: Jetzt zeige ich mal, was ich kann. Gegen den Platzhirschen traten die zwei Außenseiter mit zusammengebundenen Beinen an. Jetzt soll diese ungleiche Partie in die Verlängerung gehen, damit der immer noch abgeschlagene Favorit der Partei-Oberen doch noch die Pole-Position einnehmen kann.

Ohne Verlierer keine echten Sieger

Kann man es Merz verdenken, dass ihm da der Kragen geplatzt ist? Nun aber hat er sich nicht nur des Vergehens schuldig gemacht, den Bundesvorstand anzugreifen, sondern auch noch die „Basis“ gegen diesen Vorstand aufzubringen. Er sät Zwietracht in einer Partei, der Geschlossenheit über alles geht. Der Gipfel der Vorwürfe ist: Er stelle seinen persönlichen Machtwillen über die Interessen seiner Partei. Als ob jemals ein Politiker in höchste Staatsämter gelangt wäre, der nicht den Willen zur Macht gehabt und dafür auch etwas riskiert hätte. Das Interesse der CDU ist es, an der Macht zu bleiben. Merz will das nicht weniger als seine Mitbewerber.

Eine Frage des politischen Instinktes 

Tatsächlich teilt Merz' Ausbruch aus der Kohorte das Berwerberfeld neu ein: in zwei, die sich bewerben und einen, der alles in die Waagschale wirft, um „es“ zu werden; einen, der seinen Führungsanspruch unabhängig macht von alten Loyalitäten. Viele in der CDU dürften auf so einen gewartet haben. Oder ist schon vergessen, wie groß das Murren war, bevor die alles beherrschende Angela Merkel den Vorsitz abgab? Die Umfragen sagen seit langem, dass Merz die größte Zustimmung an der Parteibasis genießt. Man müsste an seinem politischen Instinkt zweifeln, wenn er diesen Vorsprung nicht zu nützen versuchte.

Der Plan, die Neuwahl des oder der Parteivorsitzenden so zu organisieren, dass sie die Partei nicht spaltet, hat einmal halbwegs funktioniert. Beim Schaulaufen vor zwei Jahren agierten alle drei Bewerber mit angezogener Handbremse, um das harmonische Erscheinungsbild der Partei nicht zu beschädigen. Das Ergebnis hat nicht überzeugt und nicht lange gehalten. Im zweiten Anlauf sind die Bremsen noch schärfer angezogen worden. Monatelang durfte nicht einmal der Anschein erweckt werden, dass hier drei Parteifreunde gegeneinander kämpfen. Und als es endlich doch losgehen sollte, zwängte man sie in das Korsett einer Casting-Show der Jungen Union. Wo nicht gekämpft werden darf, damit keine Verlierer auf dem Platz zurückbleiben, wird es auch keinen echten Sieger geben.

Schwache Ausrede 

Dem Bundesvorstand der CDU, der die Verschiebung des Parteitags mit der „Infektionslage“ begründete, hat der frühere hessische Ministerpräsident Koch soeben entgegengehalten, dass es staatliche Aufgabe sei, auch in einer Pandemie die Demokratie funktionsfähig zu halten. Der Bundestag, die Länderparlamente, die Stadträte tagen; landauf, landab finden Parteiversammlungen zur Aufstellung von Bundestags- und Landtagskandidaten statt – nur ein Bundesparteitag der stärksten Regierungspartei soll unmöglich sein?

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