CDU-Wahldebakel in Baden-Württemberg - „Wie aus der Zeit gefallen“

Vor einer Woche musste die CDU bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg eine herbe Niederlage hinnehmen. Warum hat die Partei es nicht geschafft, sich in den vergangenen zehn Jahren zu regenerieren? Die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan übt in einem Gastbeitrag Kritik an ihrer Union – und sagt, was sich ändern muss.

Banner der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg / picture alliance
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Autoreninfo

Annette Schavan (68) war 25 Jahre in Politik und Diplomatie tätig, u.a. als Bundesministerin für Bildung und Forschung (2005–2013) sowie als Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl (2014–2018). Ihr neuestes Buch trägt den Titel: „geistesgegenwärtig sein. Anspruch des Christentums“, Patmos Verlag, 2. Auflage 2021. Foto Laurence Chaperon

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Die Baden-Württemberg-Partei 2021 heißt Bündnis 90/Die Grünen. Das wäre vor zehn Jahren noch schwer vorstellbar gewesen. Damals erhielt die CDU bei der Landtagswahl im Ländle 39% der Stimmen. Teile der Partei, leider auch der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus, pflegten eine ausgeprägte Abneigung gegen die Grünen, so dass für sie eine schwarz-grüne Koalition nicht infrage kam.

2011 fand die Landtagswahl wenige Wochen nach dem Atomreaktorunfall in Fukushima statt. Dieses Ereignis und der nachfolgende Ausstieg aus der Kernenergie, den eine von CDU/CSU geführte Bundesregierung vollzog, wäre in Baden-Württemberg der Kairos, also der günstige Moment, für eine schwarz-grüne Regierung gewesen.

Es war die Zeit, in der sich politische Prioritäten bereits verändert hatten. Die Zukunft der Energieversorgung, neue Konzepte für die Mobilität, die Gefahren der Klimaentwicklung gehörten ebenso dazu wie die generelle Feststellung, dass für all die neuen Prioritäten eine Stärkung der Innovationskraft in Deutschland wichtig ist.

Zukunftsweisende Lösungen

Daran hätte sich diese Koalition gleichsam als Pionier beteiligen können, zumal Baden-Württemberg mit seinen Universitäten und zahlreichen innovativen Unternehmen beste Voraussetzungen hatte und hat, Avantgarde bei zukunftsweisenden Lösungen zu sein.

Es kam anders. Winfried Kretschmann, der damalige Spitzenkandidat der Grünen, erreichte 24,2% der Stimmen und schmiedete eine Koalition mit der SPD, die 23,1% der Stimmen bekommen hatte. Seither regiert er das Land als Ministerpräsident mit hohen Zustimmungswerten in wechselnden Koalitionen. Die Vorstellung, eine grün geführte Landesregierung werde in Baden-Württemberg eine Episode sein, machte in der CDU die Runde. Das hat sich nun endgültig als Irrtum erwiesen.

Was ist in den zehn Jahren mit der CDU im Ländle passiert? Nach sechs Jahrzehnten als „Baden-Württemberg-Partei“ mit starken Wahlergebnissen war die Erfahrung, in der Opposition zu sein, ein Schock. Bis heute sagen manche in der CDU-Landtagsfraktion – auch gute Freunde sagen es mir –,  man könne halt Opposition nicht. Es stimmt ja auch, dass Oppositionsarbeit anspruchsvoll ist und eher ernüchternd.

Annette Schavan

So, wie wir in den CDU-Ministerien die Papiere der Opposition in den Mülleimer geworfen haben, so tat es die neue Regierung nun auch. Winfried Kretschmann war lange genug der Vorsitzende einer Oppositionspartei gewesen, um den Frust zu kennen, den eine Fraktion in der Opposition erlebt, wenn ihre Ideen abgelehnt werden – und zwar nicht, weil sie schlecht sind. Sondern einfach nur, weil sie von der Opposition kommen. Trotzdem hatte sich Kretschmann 2011 offenkundig eine Sammlung jener Ideen angelegt, die bislang keine Chance hatten. Nun war die Zeit gekommen, um sie zu verwirklichen.

Die Zeit nicht genutzt

Weil die CDU die neue Regierungspartei als Episode verstehen wollte, nutzte sie die Zeit nicht für eine programmatische Weiterentwicklung der Landespartei. Sie wirkte bei manchem Thema wie aus der Zeit gefallen. Sie verlor den Blick für die Veränderungen im Land, in den für sie wichtigen Milieus – und hing am Gewohnten.

So begann eine Dekade des zunehmenden Vertrauensverlustes, der bei der jüngsten Landtagswahl zu erschreckenden Ergebnissen in den Wahlkreisen führte und dazu, dass die CDU von den fünf Jahren als Partner der Grünen in der Landesregierung seit 2016 nicht profitieren konnte. Sie hatte in dieser Regierung zentrale Ressorts, wie das Kultusministerium und das Innenministerium, sowie drei weitere Ministerien, mit denen sich gestalten lässt. Sie hatte also richtig gute Chancen, die jedoch ungenutzt blieben.

Hinzu kommt, dass die Gründe für eigene Schwächen immer bei anderen gesehen wurden – vornehmlich „bei denen in Berlin“. So wurde aus einem einst starken Landesverband, der in Berlin großen Einfluss hatte, eine nörgelnde und sich selbst verzwergende CDU.

Vertrauen zurückgewinnen

Nun gilt es, einen umfassenden Erneuerungsprozess auf den Weg zu bringen und neues Vertrauen in allen Regionen des Landes zurückzugewinnen. Dazu wird gehören:

1.) Eine Kommunikation in allen Wahlkreisen, die die CDU als interessierte und neugierige Partei mit überzeugenden Ideen und zukunftsfähigen Konzepten zeigt.

2.) Eine Präsenz in den städtischen und ländlichen Räumen, die erkennen lässt, dass die CDU die Stärken des Landes kennt und das in Baden-Württemberg vorhandene Potential wahrnimmt und mit politischen Lösungen verbindet.

3.) Eine Erneuerung, die von der Kommunalpolitik ausgeht. Stadt- und Gemeinderäte müssen eine wichtige Rolle spielen, ebenso die Spitzen der Kommunen und Landkreise. Es gibt viele gute Frauen und Männer, die Verantwortung tragen jenseits der „Stuttgarter Blase“.

4.) Sorgfalt bei der Auswahl der Personen, die landesweit für die CDU stehen, die Vertrauen aufbauen können, also vertrauenswürdig sind und verankert in der Bürgerschaft. Denn es stimmt ja nicht, wenn gesagt wird, man finde niemanden. Die Bindekraft aller Parteien hat sich in den vergangenen 20 Jahren verändert. Bindungen werden eingegangen, wenn damit interessante Erfahrungen und Gestaltungsmöglichkeiten verbunden sind. Aus Tradition geht niemand mehr in eine Partei, und es übernimmt auch niemand ein Mandat oder ein Parteiamt. Eine interessante Person zieht andere Personen nach sich. 

5.) Zukunftspartei sein zu wollen, das kann der programmatische Schlüssel für die CDU sein. Sie kann an Zukunftsverträgen arbeiten, Region für Region, und ihre immer noch vorhandenen guten Kenntnisse über das Land dafür nutzen. Sie kann auch wieder nahe an den Traditionen im Land sein, die den Zusammenhalt wesentlich stärken.

Erneuerung meint den Willen, wieder stimmig aufzutreten. Wer regieren will, muss zum Land passen. Baden-Württemberg ist ein wunderbares Land mit vielen Talenten und Möglichkeiten, mit Liebe zum Detail und Stolz über das, was das Ländle in den fast 70 Jahren seines Bestehens (2022 wird gefeiert!) erreicht hat, mit dem Selbstbewusstsein der Gemeinwesen und einem kulturell und wirtschaftlich reichen Leben.

Erneuerung meint, eine tragfähige Verbindung aufzubauen zwischen der gewünschten Stabilität, die Traditionen geben, und der Kreativität, die zu neuen Wegen führen, um eine gute Zukunft zu ermöglichen.

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