CDU-Kanzlerkandidatin - Merkel ist längst Ballast

Ein neues Gesicht verleiht der SPD Flügel. Seitdem Sigmar Gabriel Platz geschaffen hat für Martin Schulz, befindet sich die SPD im Höhenflug. Die CDU sollte es ihr gleichtun: Ihr Gabriel heißt Angela Merkel. Die Kanzlerin wird für die CDU zur Last

Gabriel hat den politischen Richtungswechsel im Gegensatz zu Merkel schon eingeschlagen / picture alliance
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Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Einmal immerhin ist Sigmar Gabriel seiner Kanzlerin um mehr als eine Nasenlänge voraus: Er hat rechtzeitig den Absprung geschafft und sich in ein ehrenvolles Austragshäuschen gerettet. Dafür gebührt dem Niedersachsen ein Ehrenplatz in der sozialdemokratischen Ruhmeshalle. Denn sein „freiwilliger Verzicht“ auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur verleiht den Genossen Flügel. Seitdem der gewichtige Spitzengenosse den Führungskorb verlassen hat, verspürt der rote Ballon einen fast schon stürmischen Auftrieb: Erstmals seit 2006 zieht die SPD sogar demoskopisch an der Union vorbei.  

Und das alles wegen Martin Schulz! Einem Mann, der so gut wie nie Verantwortung in der deutschen Innenpolitik getragen hat und sich in den großen Linien auch gar nicht so sehr von der noch amtierenden Kanzlerin unterscheidet: Auch Merkel will Brüssel mehr Befugnisse geben und die EU weiter ausdehnen und vertiefen. In der umstrittenen Flüchtlingspolitik steht Schulz der CDU-Vorsitzenden näher als große Teile ihrer eigenen Partei.

Spesenritter Schulz von Brüssel

Dass Merkel nun Schulz Siegesfanfare mit dem Verweis auf die Erfolge von Schröders Agenda-Reformen übertönen will, nimmt man ihr ohnehin nicht so recht ab. Nach Mindestlohn und Rente mit 63 ist der von ihr sozialdemokratisierten CDU durchaus zuzutrauen, dass sie auch das Arbeitslosengeld für die „hart arbeitenden Menschen“ wieder auf die Vor-Schröder-Zeit erweitert. Also Deutschland auf die Blüm-Jahre zurückfällt, als Unternehmen die über 55-Jährigen so elegant in die staatliche Fürsorge entlassen konnten: Erst die Altersteilzeit, dann drei Jahre subventionierte Langzeitarbeitslosigkeit, um schließlich in die vorgezogene Rente zu entschwinden. Sozial war das nicht. Und teuer dazu.

Aber was zählen schon Fakten? Ein neues Gesicht, das vage Versprechen macht, genügt. Der Spesenritter Schulz von Brüssel versetzt zu Hause als heiliger Martin das linke Lager in einen wahren Siegesrausch. Der Elite-Europäer darf populistisch auf die Eliten schimpfen. Er kann sogar aussehen, wie man sich den Buchhändler in den achtziger Jahren vorstellt. Selbst mangelnde Glaubwürdigkeit lässt man dem Mann durchgehen, dessen größte „Leistung“ als Bürgermeister von Würselen ein Spaßbad als Finanzruine ist.

Merkel: Abwarten und Durchwurschteln

Wenn es also weder auf Inhalt noch auf die angeblich so notwendige Telegenität ankommt, dann hat der Aufstieg von Schulz einen viel schlichteren Grund: Er ist vor allem ein Misstrauensvotum gegen Merkel. Der Angie-Bonus hat sich zum Angie-Malus gewandelt. Mit Schulz bietet sich die Chance, Merkel abzustrafen, ohne zu viel zu riskieren. Nicht wenige Wähler nähmen dafür sogar Rot-Rot-Grün in Kauf. Das will etwas heißen.

Noch vertraut die CDU darauf, dass der Schulz-Heißluftballon an zu viel Selbstgefälligkeit zerplatzt. Doch spätestens, wenn nach dem Saarland und Schleswig-Holstein für die Christdemokraten auch die Landtagswahl in NRW – also im rot-grün regierten faled state der Problemhäuser und No-go-Areas – verloren geht, dürfte es vorbei sein mit der gespielten Gelassenheit. Dann spüren auch treueste Merkel-Fans, dass sie handeln müssen. Und zwar Ballast abwerfen: programmatisch und/oder personell. Gegen eine auf „soziale Gerechtigkeit” gekämmte Schulz-SPD zieht das Merkelsche Abwarten und Durchwursteln nicht mehr. Wer sich mit unkalkulierbaren Halbheiten begnügt, hat nun tatsächlich eine Alternative.

Konservative Verlässlichkeit mit Schäuble

Aber welche Alternative hat die Union? Zumindest hätte sie mit Wolfgang Schäuble eine Persönlichkeit, welche das eigene Milieu aus der Lethargie befreit. Der knorrige Finanzminister ist in der Partei stets Stimmenkönig. Er könnte glaubwürdig einen Kurswechsel vertreten: Kein weiteres deutsches Steuergeld mehr für die südeuropäischen Dauerpumpstaaten wie Griechenland; kein weiteres Treibenlassen der Migrationspolitik; keine Hau-ruck-Kurswechsel wie in der Energiepolitik. Ein Schäuble würde das Staatsvolk nicht zur beliebigen Masse erklären, wie das Merkel jetzt in Verkennung von Grundgesetz und Amtseid tat. Stattdessen: klare Kante und konservative Verlässlichkeit.

Erst dann wird der demokratische Wettbewerb in Gang kommen, den manche Medien bereits mit der Brüsseler Erscheinung namens Schulz für gegeben sehen. Mit Merkel tritt hingegen Langeweile an gegen Vollmundigkeit. Sie sollte es Sigmar Gabriel gleichtun: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person. Diese politische Verhaltensregel stammt übrigens von Erwin Teufel, dem einstigen CDU-Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg. Der war und ist hoch angesehen. Aber auch das kann die Union lernen: Das einzig Beständige ist der Wandel. Oder sarkastischer ausgedrückt: Man sollte wenigstens absteigen, wenn das Pferd zu Tode geritten ist.

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