Bundeswehr - „Niemand traut sich mehr, Verantwortung zu übernehmen“

Bundeswehroffizier Florian Kling über Rechtsextremismus in der Bundeswehr, fehlendes Rückgrat in der Führungsebene, das schädliche Mikromanagement der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und darüber, wie sich das alles auf die Moral der Soldaten auswirkt

Wachsender Spalt: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die Truppe / picture alliance
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Herr Kling, nun ist klar, dass der festgenommene Oberleutnant Franco A. Helfer in der Truppe hatte. Offenbar gibt es ein rechtes, gewaltbereites Terrornetzwerk in der Bundeswehr. Wie gehen die Soldaten damit um?
Die Soldaten sind verärgert und frustriert. Denn auch die Soldaten, die wirklich Staatsbürger in Uniform sind und mit vollem Herzen das Grundgesetz verteidigen, werden da mit runtergezogen. Für die ist es sehr wichtig, dass es eine starke, demokratische Bundeswehr gibt, die in der Gesellschaft anerkannt wird. Das ist jetzt natürlich wieder einmal gefährdet und das Image bleibt beschädigt. 

Franco A. und sein mutmaßlicher Komplize waren Offiziere. Wie kann es sein, dass Leute mit so einer Gesinnung in der Bundeswehr Karriere machen?
Das sind eben nicht die einfachen Nazis mit Hakenkreuz auf der Brust und Hitlergruß am Kasernentor. Sie haben mit der heimlichen Unterwanderung versucht, ihr völkisches, rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten. Die lassen sich eben schwer fassen vom Militärischen Abschirmdienst oder den übrigen Behörden. Im Fall Franco A. kommt noch hinzu, dass er im Ausland gedient hat. Da ist der Vorgesetzen- und Kameradenkreis viel kleiner. An der Bundeswehr-Universität wäre so etwas wohl eher aufgefallen, weil viele andere mit ihnen zusammengewohnt, gegessen und -studiert hätten. Je mehr aufmerksame Soldaten wir in der Bundeswehr haben, desto eher werden solche Täter enttarnt.

Wie weit ist denn rechtsextremes Gedankengut in der Bundeswehr verbreitet und wird da genug dagegen getan?
Es gibt da leider immer noch welche, die den Knall nicht gehört haben, keine Frage, das bekomme ich vor allem in den Sozialen Netzwerken mit. Und da müssen sich auch die Verantwortlichen vor allem des Heeres Vorwürfe gefallen lassen. Diese Wehrmachts-Devotionalien zum Beispiel, bei so was wurde in der Luftwaffe schon in den 90ern rigoros durchgegriffen. Im Heer hat man es da offenbar gehörig schleifen lassen. Da muss man die politische Bildung und Aufmerksamkeit für solche Dinge stark verbessern, ganz klar. Jeder Soldat muss wissen, dass Gegenstände ohne Einordnung in den historischen Kontext symbolisch von außen falsch interpretiert werden können.

Nun haben aber Franco A. und seine mutmaßlichen Komplizen nicht nur mit altem  Zeugs posiert, sondern offenbar konkrete Anschlagspläne gehabt. Dass Bundeswehr-Soldaten mit Zugang zu Waffen sich gegen den Staat wenden, was Schlimmeres kann man sich kaum vorstellen. 
Ja, das ist furchtbar und geht gegen alles, wofür die Bundeswehr eigentlich steht. Ganz wird man aber solche Fälle nicht verhindern können, auch in der besten Armee nicht. Wenn man möchte, dass die Soldaten selbstbestimmt handeln, müssen gerade Vorgesetzten auch Freiräume zugesprochen werden. Da werden auch Fehler bei der Rekrutierung und der Verfolgung von Straftaten passieren. Am Ende lässt sich dann aber trotzdem das Gesamtsystem Bundeswehr verteidigen – und die  Vorkommnisse sollte man nicht pauschal auf die gesamte Truppe projizieren.

Die Bundeswehr hat  ja enorme Schwierigkeiten, Nachwuchs zu rekrutieren. Wird da bei der Einstellung nicht mehr so genau hingeschaut?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Es kann sein, dass die Regeln gelockert werden, wenn es um die physische Eignung geht. Und man nimmt vielleicht auch eher Schulabbrecher, was früher nicht möglich war. Aber beim Thema Rechtsextremismus gehen eigentlich sofort die Alarmglocken an. Jeder Zuständige in der Bundeswehr oder im Verteidigungsministerium weiß, dass einem so etwas sofort auf die Füße fällt, wenn es bekannt wird, und auch die eigene Karriere gefährdet. 

Kann es aber sein, dass durch die Abschaffung der Wehrpflicht, also der Bürgerarmee, die Bundeswehr vor allem für Menschen aus bestimmten Milieus als Arbeitgeber interessant ist?
Entscheidender ist, dass sich die Rolle der Bundeswehr gewandelt hat, vor allem mit den Auslandseinsätzen. Seitdem suchen Soldaten verstärkt nach Sinn, nach Halt und Rückendeckung in der Gesellschaft. Das bekommen sie aber kaum. Da fühlen sich viele Soldaten unverstanden und es könnte einige dazu bringen, nach einem anderen Rückhalt für ihr Tun zu suchen. Es gibt ganz klar Tendenzen in der Bundeswehr, den archaischen Kämpfer herauszuschälen, den Krieger, der vor allem für sich selbst und seine elitäre Truppe sorgt. So ein Gedankengut ist für Rechtsextreme sehr interessant. Dann kommt hinzu, dass es durch die Abschaffung der Wehrpflicht eine weniger starke gesellschaftliche Durchmischung der Bundeswehr gibt. Viele Leute haben damals erst während der Wehrpflicht gemerkt, dass sie trotz ihres Querdenkens in der Bundeswehr auch was werden konnten. Die fehlen jetzt, weil sie nie in Kontakt kommen mit der Truppe. 

Gibt es stattdessen eine Kultur des Schweigens, des Verschweigens von Missständen?
Es gibt auf jeden Fall ein Absicherungsproblem, eine Absicherungsmentalität, weil sich niemand mehr traut, überhaupt noch verantwortlich zu agieren, Entscheidungen zu treffen und auch mal einfach Rückgrat zu haben. Jeder Soldat bekommt den  Grundsatz  „Melden macht frei“ eingeimpft – das heißt, das man, wenn man ein Problem erkannt hat und es meldet, nicht mehr selbst damit zu tun hat. Das führt aber dazu, dass immer weitergemeldet wird und niemand etwas tut – strukturelle Verantwortungslosigkeit sozusagen. Das hat auch der Vorgesetzte von Franco A. getan. Er hat einen Disziplinaranwalt hinzugeholt, der ihm praktisch einen Blankoschein dafür gegeben hat, dass alles abgesichert ist. Hätte er doch einfach das Ganze verantwortlich in die Hand genommen! 

Und das zieht sich bis nach ganz oben durch?
Ja.

Bis zur Verteidigungsministerin?
Ja. Da fängt das Problem der schlechten Fehlerkultur an. Frau von der Leyen benennt zwar die Probleme, ist aber zum Teil durch vorschnelles Handeln auch selbst Teil des Problems. Das ist ein Mikromanagement bis auf die kleinste Ebene hinunter. Ein Vorgesetzter bekommt gar nicht mehr das Vertrauen zugesprochen, überhaupt noch selbst zu führen und selbst Verantwortung zu tragen. Da kann die Bundeswehr gar nicht mehr ermitteln, weil schon am selben Tag in den Nachrichten Frau von der Leyen die Flucht nach vorn antritt und anordnet, dass jetzt alle Kasernen untersucht werden müssen und das Ganze damit im Grunde schon vorverurteilt. Wenn dann ein General ohne Nennung von Gründen einfach geschasst wird, dann fühlen sich die Soldaten veräppelt. 

Wie wirkt sich das auf die Moral eines Soldaten aus, der in Afghanistan oder in Mali im Lager sitzt und morgen auf Patrouille muss? 
Ich hoffe, die ist überhaupt noch vorhanden. Die Leute müssen damit klarkommen, dass ihr Arbeitgeber oft zu Hause nur noch als Lachnummer wahrgenommen wird. Die Flugzeuge funktionieren nicht, die Panzer kommen vom Schrott, die Bundeswehr wird dauerreformiert und jetzt kommen auch noch diese verallgemeinernden Aussagen aus dem Ministerium. Die Soldaten müssen ständig die Frage beantworten, bei was für einem Verein sie eigentlich arbeiten. 

Florian Kling ist Hauptmann der Bundeswehr und Sprecher des „Darmstädter Signals“, einer Vereinigung von Soldaten, die sich kritisch mit den Geschehnissen innerhalb der Bundeswehr auseinandersetzt.

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